Obwohl sich der Arbeitersport „in der historischen Milieuforschung seinen festen Platz erobert“ hat, weist Lars Geiges darauf hin, dass „die wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit dem Thema Mitte der 1990er Jahre rar geworden ist und der Teilbereich Arbeiterfußball „überhaupt erst im Laufe der 1980er Jahre ins Interesse einzelner Sporthistoriker rückte“
( "Fußball in der Arbeiter-, Turn- und Sportbewegung", S. 6). Zwar erschien bereits 1973 „Frisch, frei, stark und treu. Die Arbeitersportbewegung in Deutschland“ von Horst Ueberhorst, doch schon
bei Hajo Bernett (1983) war der Arbeitersport nur ein Teilaspekt auf dem „Weg des Sports in die nationalsozialistische Diktatur“. 1987 präsentierten Hans Joachim Teichler und Gerhard Hauk ihre
„Illustrierte Geschichte des Arbeitersports“ und 1988 beschäftigte sich Frank Filter mit dem „Fußballsport in der Arbeiter-Turn- und Sportbewegung“. Aus dem Blickwinkel ihrer Betrachtungen fast
logisch ist die nahezu vollständige Nichtthematisierung des Arbeitersports in „»English Sports« und deutsche Bürger“ von Christiane Eisenberg (1999).
Während Erik Eggers dem Arbeiterfußball in „Fußball in der Weimarer Republik“ (2001) gerade einmal sieben Seiten widmete, rückte Andreas Luh 2006 „das (sport-)historische Selbstverständnis und die politischen Konflikte im organsierten Arbeiterfußball“ in den Mittelpunkt. Ebenfalls 2006 stellte Eike Stiller seine Bibliographie „Literatur zur Geschichte des Arbeitersports in Deutschland von 1873 bis 2005“ vor, der 2008 sein Beitrag „Fußball in der organisierten Arbeitersportbewegung“ im von Lorenz Peiffer und Dietrich Schulze-Marmeling herausgegebenen Sammelband „Hakenkreuz und rundes Leder“ folgte. Den DFB-Bundestag 2013 in Nürnberg nahm René Martens in Zeit Online zum Anlass, über eine Konkurrenz zum DFB nachzudenken. „Verwandte von Franz Beckenbauer und Uwe Seeler haben es vorgemacht.“
Was bisher noch völlig fehlt, ist eine statistische Aufarbeitung der Geschichte des Arbeiterfußballs. Zwar hat Hardy Grüne 1996 die ATSB- und Rotsport-Meisterschaften sowie die Bundesauswahlspiele in Band 1 seiner „Enzyklopädie des deutschen Ligafußballs: Vom Kronprinzen bis zur Bundesliga“ aufgenommen und 1998 in seiner Betrachtung „100 Jahre Fußball in Göttingen“ einen Blick auf den Arbeiterfußball in Südniedersachsen geworfen, was für die Geschichte des 13. Kreises nicht unerheblich ist. Ein „richtiges“ Statistikwerk lieferte aber erst Rolf Frommhagen 2011 mit seiner Betrachtung „Die andere Fußball-Nationalmannschaft: Bundesauswahl der deutschen Arbeitersportler 1924–1932“. Es gibt allerdings eine Reihe recht interessanter regionaler Beiträge.3
Warum aber gestaltet es sich so schwer, die Geschichte des Arbeiterfußballs aufzuarbeiten? Das A und O jeder rückwärts orientierten Recherche ist die Existenz auswertbarer Quellen. So sind in Eike Stillers Bibliographie zur Geschichte des Arbeitersports in Deutschland auf 335 Seiten zwar über „3000 Aufsätze, Monographien sowie Dissertationen und Zeitschriftenbeiträge zum Thema“ zusammengefasst, allerdings ist ein Großteil der für eine (auch statistische) Auswertung notwendigen Quellen nicht mehr vorhanden, für die Benutzung gesperrt oder die Einsichtnahme mit großen logistischen Schwierigkeiten verbunden.
Im Juni 2014 feierte der FC Sportfreunde Ostheim sein 90-jähriges Bestehen. Aus diesem Grund überarbeitete Frank Wagner die Vereinschronik. Um die Jahreswende 2011/12
erreichte mich sein Hilferuf aus dem Altkreis Hanau: „Uli, ich finde nichts im Hanauer 'Anzeiger'! In den alten Schriften steht vor 1933 immer 9. Kreis, 4. Bezirk. Damit kann ich nichts anfangen.“
Nun, zu dieser Zeit konnte ich damit auch noch wenig anfangen, doch allmählich dämmerte es: Das ist Arbeiterfußball! Kein Wunder, dass der gute Frank davon nichts im "Hanauer Anzeiger" finden konnte,
denn in der sog. „bürgerlichen“ Presse wurde selten bis gar nicht über den Sport im „proletarischen“ ATSB berichtet.
Da der Arbeiter-Turn- und Sportbund der SPD nahe stand, suchte ich zunächst nach sozialdemokratischen Zeitungen im Rhein-Main-Gebiet und fand schließlich im Suchportal der Universitätsbibliothek
Frankfurt den Hinweis auf die Volksstimme: Mitteilungsblatt der SPD Hessen, erschienen in der Union-Druck- und
Verlagsanstalt in Frankfurt von 1889 bis 1954. Mit diesen Daten machten wir uns auf die Suche. Die in Frankfurt erschienene Hauptausgabe mit dem Untertitel "Sozialdemokratisches Organ für
Südwestdeutschland" konnte auf Mikrofilm im Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt eingesehen werden. Frank fand im Stadtarchiv Hanau Zugang zur dortigen Lokal-Ausgabe. Es existiert eine weitere
Ausgabe für Wiesbaden, Rhein-Maingau, Untertaunus und Lahntal, deren Bestände in der Hochschul- und Landesbibliothek
RheinMain in Wiesbaden wegen des schlechten Zustands des Papiers aber momentan für die Benutzung gesperrt sind. Ein Problem, über dass wir noch häufiger stolpern sollten.
Auf jeden Fall war ein Anfang gemacht. Frank recherchierte für seine Ostheimer Chronik und auch mich hatte die Neugier gepackt. Rolf Frommhagen aus Magdeburg wies mir den richtigen Weg und machte
mich mit den Strukturen des Arbeiterfußballs in der Weimarer Republik vertraut. „9. Kreis“ war Hessen-Nassau, „13. Kreis“ Kurhessen-Waldeck-Südhannover. Und auch die Bezirkseinteilung – zumindest des
9. Kreises – bereitete mir bald keine Probleme mehr. Problematisch blieb aber die Suche nach Ergebnissen, die sich zu Tabellen zusammenfügen ließen und ein ungefähres Bild über die Abläufe eines
Spieljahres geben konnten. Und dann stellte sich natürlich die Frage, was aus all den Vereinen geworden ist, die nach der nationalsozialistischen Machtergreifung verboten, aufgelöst oder gezwungen
waren, sich neu zu organisieren.
Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Uli Stielike, Klaus Allofs und Philipp Lahm kennt in Deutschland jedes Kind. Doch neben der Tatsache, dass sie alle Nationalspieler waren und in der Bundesliga spielten, haben sie alle auch eine Verbindung zum Arbeiterfußball.
Erwin Seeler, der Vater von Uwe, spielte zwischen 1929 und 1931 neunmal für die ATSB-Bundesauswahl und erzielte dabei elf Tore. 1929 und 1931 wurde er mit dem SC Lorbeer 06 Hamburg ATSB-Bundesmeister. Als er Anfang 1932 mit Alwin Springer zum „bürgerlichen“ SC Victoria Hamburg wechselte, wurden beide vom SPD-Organ Hamburger Echo als „verirrte Proletarier“ bezeichnet.
Alfons Beckenbauer, ein Onkel von „Kaiser Franz“, spielte für die Sportfreunde Giesing und erzielte in fünf ATSB-Bundesauswahl-Spielen acht Tore. Der Verein ist in der Säbener Straße 59 beheimatet und damit direkter Nachbar des großen FC Bayern.
Uli Stielike, der Europameister von 1980, der zwischen 1977 und 1985 für Real Madrid spielte, kommt von der Spielvereinigung 06 Ketsch, die 1925 als Meister des 10. Kreises (Baden, Pfalz) an der Süddeutschen Meisterschaft des ATSB teilnahm.
Klaus Allofs und sein jüngerer Bruder Thomas stammen aus dem Düsseldorfer Stadtteil Gerreseheim, der in der Weimarer Republik eine Hochburg der KPD war, die hier Ergebnisse zwischen 64,5 und 77,5 Prozent erzielen konnte. TuS Gerresheim bezeichnet die Freie Turnerschaft von 1901 als einen ihrer Stammvereine.
Auch die Freie Turnerschaft München-Gern hat ihre Wurzeln im Arbeitersport. Dort ist Daniela Lahm, die Mutter des deutschen Weltmeister-Kapitäns von 2014, Jugendleiterin. Bei den Freien Turnern aus München ist es auch am Einfachsten, auf eine Tradition im Arbeitersport zu schließen. Die Bezeichnung „Freie Turnerschaft“ wurde nämlich von vielen Arbeitervereinen als bewusste Abgrenzung zur bürgerlichen-nationalen „Deutschen Turnerschaft“ gewählt.
Allerdings sind die „Freien Turner“ in Hessen recht selten. In der Auflistung von hessischen DFB-Vereinen mit Wurzeln im Arbeiterfußball lassen sich unter derzeit 125 Vereinen zwei Handvoll finden, die das Kürzel „FT“ in ihrem Vereinsnamen führen, z. B. die FT Frankfurt-Oberrad 07, die FTSG Gießen 02, die FT 1897 Kassel-Niederzwehren, die FTG 1900 Pfungstadt und die FT 1896 Wiesbaden. Dass ein „F“ nicht immer für „Fußball“ stehen muss, zeigen auch die Beispiele FSV 1912 Dorheim, FSVgg 06 Erbach, FSV Münster 1899, FSV Spachbrücken 1911 und FSG 1921 Wisselsheim.
Doch wie findet man Spuren für die Mehrzahl der anderen Arbeiterfußballvereine? Ein großes Manko ist, dass die Vereine von den Zeitgenossen, sei es in der lokalen Arbeiter-Presse, der Volksstimme oder dem amtlichen ATSB-Organ "Freie Sport-Woche" (ab 1932 "Der Fußball-Stürmer") meist nur mit ihrem Ortsnamen genannt wurden. Zudem änderten die Vereine durch Zusammenschlüsse oder Verselbständigung von Fußball-Abteilungen eines Arbeiter-Turnvereins oft ihre Namen, wie der Rubrik „Veränderungen im Bestande der Bundesvereine“ sowohl in der "Freien Sport-Woche" als auch in der "Arbeiter-Turn-Zeitung" (ab 1931 "Arbeiter-Turn- und Sportzeitung") zu entnehmen ist.
So tauchen unsere anfangs erwähnten Sportfreunde aus Ostheim im Zeitraum 1928 bis 1931 gleich viermal auf: Am 24. Oktober 1928 wird die (vorübergehende) Auflösung von „Ostheim, Sptfrde.“ mit 60 Mitgliedern vermeldet, am 14. August 1929 der Beitritt von „Ostheim, Fr. Tschft.“ mit 27 Mitgliedern, am 7.Mai 1930 die Neugründung von „Ostheim, Sportfrde.“ mit 56 Mitgliedern und am 9. September 1931 die Vereinigung von „Ostheim, Fr. Tschft.“ mit „Fkl.Sptfrde“ „unter letzterem Namen“. So muss man das Pferd im wahrsten Sinne des Wortes von hinten aufzäumen.
Das Ende des 2. Weltkriegs brachte 1945 auch im Sport grundlegende Neuerungen. Nach dem Gesetz Nr. 52 der alliierten Siegermächte waren „alle Vereine und Verbände, die von der NSDAP betreut wurden, verboten, und ihr Vermögen ... beschlagnahmt. Die Auflösung der NSRL-Vereine ist nicht nur eine formelle, sondern jede irgendwie geartete Weiterführung ist nicht statthaft.“ (Frankfurter Rundschau vom 29.August 1945)
Da die Amerikaner aber rasch auf Selbstverwaltung auf allen Ebenen setzten, wurde im August „im Einvernehmen mit der Militärregierung Frankfurt am Main ... ein Komitee, bestehend aus Vertretern der früheren Arbeiter-, bürgerlichen und konfessionellen Sportvereine“ gebildet, das die Neuorganisation des Sports vorbereiten sollte ... In den einzelnen Ortschaften wird jeweils nur ein Sportverein zugelassen, der sinngemäß alle Sportarten umfaßt. Der Einwohnerzahl entsprechend können in den Städten mehrere Vereine zugelassen werden.“ (Frankfurter Rundschau vom 30. September 1945)
Ziel des Volkssportverbandes war die Überwindung der sportlichen Zersplitterung, wie sie vor 1933 bestanden hatte, und „kleinlicher Vereinsmeierei“. „Der Wegfall traditionsreicher Vereinsnamen mag oft schmerzlich empfunden werden, er war notwendig ... Die Frankfurter Sportler sehen in dem Begriff Sportgemeinschaft weniger einen neuen Namen als ein Programm ..., das die Arbeiter wie die bürgerlichen und katholischen Sportler verbindet.“ (Otto Großmann in der Frankfurter Rundschau vom 22.September 1945)
Mit diesem Wissen konnten nun die recht zahlreich existierenden „SG“-Vereine nach Wurzeln im Arbeitersport abgeklopft werden. Mit einbezogen wurden dabei auch Vereinsnamen wie TSG, TSV, TuS und Tuspo. Da viele Vereine neben Sport auch ein kulturelles Programm anboten, kamen Bezeichnungen wie KSG (Kultur-und Sportgemeinschaft), KSV (Kultur- und Sportvereinigung), SKG (Sport-und Kulturgemeinschaft) und SKV (Sport- und Kulturvereinigung) dazu. Zur Not musste man auch einfach nach einer Verbindung des Ortsnamens mit den Begriffen „Sport“ und/oder „Fußball“ suchen und bei dabei gefundenen Vereinen einen Bezug zum Arbeitersport bzw. -fußball vor 1933 suchen.
Das war nicht immer einfach, denn bei vielen Vereinen ist online entweder keine Chronik zu finden oder die Zeit zwischen 1933 und 1945 wird im Schnelldurchlauf behandelt. Davor machen selbst gedruckte Chroniken nicht halt. So werden in der Broschüre "50 Jahre Fußball in Wiesbaden-Dotzheim 1910 –1960" über 20 Jahre Sportgeschichte auf drei kurze Abschnitte reduziert: „Die in dem Jahr 1923 gebildete Fußball-Abteilung der Freien Turnerschaft Dotzheim, welche den Namen VfR führte, aber 1933 wegen der damaligen politischen Verhältnisse aufgelöst wude, verfügte über recht brauchbares Spielermaterial. Leider ging der Großteil der Aktivität dem Sport verloren. Nur wenige fanden den Weg zu uns, so u.a. unser langjähriger Verteidiger der I. Mannschaft, August Krebs.“ Nach Erwähnung des 25-jährigen Jubiläums der Sportfreunde 1910 Dotzheim 1935 folgt gleich die Nachkriegszeit: „Die Not ließ uns näher zusammenrücken. Einer war vom anderen abhängig. So entstand in Dotzheim eine Sportgemeinschaft. Die ehemals sporttreibenden Turner, Radfahrer, Fußballer, Ringer und Stemmer vereinigten sich im »Turn- und Sportverein Dotzheim«. Im Jahre 1946 wurde noch eine Handballabteilung ins Leben gerufen.“
Immerhin gibt es ein Foto der VfR-Mannschaft, allerdings ohne Datumsangabe. Das Beispiel Dotzheim ist kein Einzelfall. 1960 war man im bundesrepublikanischen Fußball nicht – oder besser gesagt: nicht mehr – bereit, sich mit der Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen. Schließlich hatte sich schon bald nach Kriegsende die alte DFB-Führungselite wieder an die Spitze der Bewegung gesetzt. Der von ehemaligen Arbeitersportlern über die Landessportbünde in Angriff genommene Neuaufbau des deutschen Sports stieß dort auf taube Ohren. So hoffte der in Köln erscheinende "Fußball-Sport" im Vorfeld der im Juli 1949 versuchten Neugründung des DFB auf eine Wiederherstellung der Zustände vor 1933: „Einige wilde Männer glaubten, nach 1945 all den Verdienten im Fußballsport, die in der Nazizeit das Schiff nicht verließen, sondern treu ihrem Sport dienten, ins Gesicht springen zu dürfen ...“
Mit der Neugründung des DFB, „ungeändert in seiner Struktur, hoffentlich auch ungeändert in seinem Wesen“ könne schließlich auch der Einfluss dieser „Wilden“ gebrochen werden, „die in den letzten vier Jahren in törichter Weise versuchten, nach zentralistischen Grundsätzen den Sport auszurichten ... Da außer Sorg (Frankfurt) die meisten seiner Anhänger ... sich zur Vernunft bekehren ließen, darf man ... wohl zur Tagesordnung übergehen. Wenigstens im Lager der Fußballsportler.“2
Bereits 1954 stellte Carl Koppehel nach dem WM-Sieg in seiner Geschichte des Deutschen Fußballsports zufrieden fest, dass die Einschränkungen durch die Besatzungsmächte überwunden und „politische Einflüsse ... abgewehrt“ wurden. Zwar lag „die Leitung des Sports ... vorerst bei den Kommunalbehörden“, doch „der Sportgedanke war kräftig genug, um politische Hemmnisse unbeachtet zu lassen.“ So konnte „der politisch gelenkte Einfluß der kommunalen Ämter ... laufend zurückgedrängt werden, die alte Selbständigkeit des Sportes marschierte.“3
Genau dies hatte der aus Bischofsheim bei Frankfurt (heute Maintal) stammende Heinrich Sorg (1898 –1963), bis 1933 in der Leitung des 9. Kreises im ATSB tätig, bereits 1946 aus seinem englischen Exil beklagt. In einem Brief an den SPD-Vorstand kritisierte er die Entwicklung in der „Sport- und Kulturbewegung“: „Die Vorstellung unserer Genossen war, daß nach dem Dritten Reich der Ton in der Sportbewegung von den verboten gewesenen Arbeitersportlern angegeben wird. Es ist heute in den meisten Fällen umgekehrt.“4
Er konnte sich aber parteiintern nicht gegen Friedrich Wildung (1872 –1954), vor 1933 Leiter der Zentralkommission für Arbeitersport und nach dem Krieg Sportreferent der SPD, durchsetzen. Wildung begründete den Verzicht auf die Neugründung des ATSB „nicht nur mit den Anordnungen der Militärregierungen, die keinen politischen Sport zulassen, sondern auch in der Erwägung, daß wir uns jeden Einflusses auf die Entwicklung der allgemeinen Sportbewegung Deutschlands begeben würden, wenn wir uns jetzt einkapseln. Es bleibt uns gar kein anderer Weg, als zunächst alle Anstrengungen zu machen, um den deutschen Sport in eine demokratische Richtung zu drängen.“5
So wurde auf der Sportkonferenz der SPD am 26./27. September 1946 in Frankfurt zwar einstimmig auf eine eigene Organisation verzichtet, der Anspruch auf die sozialistische Durchdringung der Sportbewegung aber nicht aufgegeben.6 Mit dieser Entscheidung konnte sich schließlich auch Sorg, seit dem 6. November 1946 Nachfolger Wildungs als SPD-Sportreferent, arrangieren. Von Seiten des DFB wurde dieser Verzicht 1950 mit der Ernennung Wildungs zum Ehrenmitglied „honoriert“.7
1950 enthielt die Jubiläumsschrift "50 Jahre Deutscher Fußball-Bund" noch den vierseitigen Beitrag "Fußball im einstigen Arbeiter-Turn- und Sportbund" mit einer Übersicht der ATSB-Länderspiele und einem Foto der Bundesauswahl vor dem Spiel am 3.August 1930 in Kassel gegen England (3:1). Der Beitrag von Ulrich Preussner schloss mit den Worten: „Möge der DFB stets des Opfers bewußt bleiben, das der einstige Arbeiter-Turn- und Sportbund zur Überwindung der früheren Zersplitterung gebracht hat.“8
Zehn Jahre später war davon keine Rede mehr. Da referierte Carl Koppehel über die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und konnte einen Dr. Josef Klein ungeniert als „politisch sehr rührigen Mann“9 bezeichnen. Erst im Jubiläumsbuch "100 Jahre DFB" wird daraufhingewiesen, dass Klein „eine bedeutsame Rolle durch Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts in der Jugendarbeit [des Westdeutschen Spielverbandes, Anm. d. Verf.] spielte“ und „von 1932 bis 1936 ... für die NSDAP im Reichstag“ saß. Außerdem wird erstmals seit 1950 auch der ATSB wieder erwähnt.10
Vor dem Hintergrund der kontrovers geführten Diskussion der Nachkriegsjahre wird verständlich, warum viele Fußballvereine diese quasi von oben verordnete politische Neutralität zum Teil bis heute mittragen. Während des kalten Krieges und der Westintegration der Bundesrepublik bedeutete dies schließlich die Anerkennung des westlichen Wertesystems, der sich auch die SPD nicht entziehen konnte. So wollte Sorg „keine parteipolitischen Dinge in [den] internen Vereinsbetrieb tragen ... Wir sind froh, daß die Gegensätze vor 1933 aus dem Sport verschwunden sind. Ebenso wünschen wir nicht noch einmal solche unglücklichen Zustände, wie wir Sportler sie von 1933 bis 1945 durchstehen mußten, wo der Sport rein parteipolitischen Interessen dienen mußte.“11
Diese Einstellung findet ihren Niederschlag in vielen Vereinssatzungen, in denen Bekenntnisse wie „Religiöse und politische Betätigung innerhalb des Vereins ist nicht gestattet“ ganz selbstverständlich klingen. Auch beim FSV 07 Bischofsheim 22, der seine Wurzeln im Arbeitersport hat und in dem vor 1933 auch Heinrich Sorg aktiv war, nach dem in Maintal-Bischofsheim sogar eine Straße benannt ist. Über die historische Entwicklung gibt die Internet-Chronik der Turnerschaft 1886 e.V. Auskunft. 1886 als Turnverein gegründet, spaltete sich 1891 die Turngesellschaft ab. „Eine endgültige scharfe Trennung erfolgte 1907 ..., denn aus weltanschaulichen Gründen trat die Turngesellschaft aus der Deutschen Turnerschaft aus und schloß sich dem Arbeiterturnerbund an.“ 1907 wurde auch der Fußball-Sport-Verein gegründet, der sich 1927 mit der Turngesellschaft zusammenschloss. Zu diesem Zeitpunkt gehörte der FSV dem ATSB an. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde die Turngemeinde aufgelöst und „ihr Vereinsvermögen beschlagnahmt“. 1945 wurden alle örtlichen Klubs in der SG Bischofsheim vereinigt. „Aber schon 1948 brach dieses künstliche Gebilde wieder auseinander, die Fußballer wollten wieder ihren eigenen Verein.“ 1953 entstand schließlich aus der „losen Verbindung“ zwischen TV und TG die heutige Turnerschaft 1886 Bischofsheim.
Das Beispiel aus Bischofsheim ist kein Einzelfall. So führt Lars Geiges an, dass „in Orten mit einer starken industriellen Arbeiterschaft häufig zwei, drei oder mehr Vereine der DT [entstanden], deren Mitgliederstrukturen relativ homogen waren und sich gerade darin voneinander unterschieden: Ein Verein war für das Bürgertum, ein zweiter für den Mittelstand und der dritte für die Arbeiterschaft. Mitglieder, die sich offen zur Sozialdemokratie bekannten, bzw. Vereine, in denen sozialdemokratische Mitglieder die Mehrheit besaßen, wurden aus der DT ausgeschlossen.“12
Für Bischofsheim dürfte bei rund 1330 Einwohnern im Jahr 1895 das Bürgertum eher eine untergeordnete Rolle gespielt haben, denn der Ort lebte bis Mitte des 20. Jahrhunderts v.a. von Landwirtschaft, Kleingewerbe und von Beschäftigung in der Chemieindustrie im Osten Frankfurts.
Die Sezession von Fußballabteilungen aus den neu gebildeten Sportgemeinschaften Ende der 1940er Jahre war aber nicht nur auf kleinere Orte beschränkt, wie das Beispiel von Nied zeigt, das 1928 mit den anderen westlichen Stadtteilen nach Frankfurt eingemeindet wurde. Die günstige Lage zwischen den Industriestandorten Höchst und Griesheim ließ die Einwohnerzahl des Dorfes von 1035 im Jahr 1873 auf 7928 bei Kriegsausbruch 1914 steigen. Die Errichtung eines Eisenbahn-Ausbesserungswerks im Jahr 1918 zog noch einmal viele neue Arbeitskräfte an, für die gegenüber des Werkes eine eigene Siedlung gebaut wurde. Die Eisenbahnersiedlung „zählt zu den wenigen in Deutschland noch in ihrer ursprünglichen Art erhaltenen Wohndenkmälern und steht als Kulturdenkmal ... unter Denkmalschutz.“14 1933 hatte Nied 9241 Einwohner, die in 29 Vereinen organisiert waren. 1933/34 fanden sich der Turnverein (gegründet 1877), die Turngemeinde (1907) und die Freie Turnerschaft (1911) „politisch zwangsvereint als »Turnerschaft 1877« wieder.
Auch in Nied kam es nach dem 2. Weltkrieg zum Gründung einer Sportgemeinschaft, in der alle Sportarten vereinigt waren. Ende 1949 verließen jedoch die Fußballer die SG und gründeten den FV Alemannia 08 neu, weshalb die SG 1877 Nied nicht in der Liste ehemalige Arbeiterfußballvereine auftaucht, da sie seitdem über keine Fußballabteilung mehr verfügt.
Die SG Nied war nicht die einzige Sportgemeinschaft, die nach dem Krieg in Frankfurt entstand. Wie der Frankfurter Rundschau vom 8. September 1945 zu entnehmen ist, wurden „noch in den folgenden Vororten solche gegründet: Industrieviertel, Rödelheim, Bockenheim, Bornheim, Riederwald und Sachsenhausen. In Eckenheim, Preungesheim, Schwanheim, Innenstadt, Fechenheim und Ostend sind die Vorarbeiten im Gange, und die gleiche einmütige Zustimmung ist zu erwarten.“
Zwischenzeitlich firmierte sogar die traditionsreiche Eintracht als „SG Frankfurt“. Als sie sich jedoch für eine Teilnahme an der neuen süddeutschen Oberliga entschied, nahm die Reserve als SG Frankfurt an denAusscheidungsspielen für die neue Mainliga teil.
Nur einen Steinwurf entfernt vom im Krieg zerstörten alten und vom 1952 eröffneten neuen Eintracht-Sportplatz liegt die zwischen 1910 und 1928 errichtete Arbeitersiedlung Riederwald. Die Riederwaldwiesen sind mit zwei Rasen- und zwei Hartplätzen heute eine der größten Sportanlagen in Frankfurt. Bis 1933 trugen hier der im Riederwald beheimatete Arbeiterfußball-Verein SpVgg Vorwärts (gegründet 1923) und der VfL 1913 Bornheim ihre Heimspiele aus. Der VfL 1913, bis 1928 Abteilung 6 der Freien Turnerschaft Frankfurt, war eine große Nummer im süddeutschen Arbeiterfußball. Viermal (1919, 1920, 1921 und 1927) waren die „Bernemer“ Meister des 9. Kreises. 1921 schieden sie als Süddeutscher Meister im Halbfinale der Bundesmeisterschaft gegen den späteren Meister TB Leipzig-Stötteritz mit 0:3 aus. Mit Karl „Daller“ Heldmann (1908 – 1985) hatte der Klub sogar einen Bundes-Auswahlspieler, der in 18 Spielen acht Tore erzielt hatte. 1933 wechselte er zum „bürgerlichen“ FSV, mit dem er Süddeutscher Meister wurde und 1938 das Pokalendspiel gegen Rapid Wien erreichte.
Über das Schicksal des VfL 1913 nach 1933 ist nichts bekannt. Anfragen beim Institut für Stadtgeschichte und beim Vereinsregister des Amtsgerichts Frankfurt blieben ohne Erfolg. Vermutlich fanden die Mitglieder Unterschlupf in anderen Vereinen – so wie die der Freien Turnerschaft, die „geschlossen in die Turngemeinde ein[trat] und ... so das Dritte Reich [überlebte].“13
Ob der VfL 1913 nach 1945 als Fußballabteilung der neuen SG Bornheim zu neuem Leben erweckt wurde, kann nur gemutmaßt werden, da die Vereinschronik darüber keinen Aufschluss gibt: „An einem schönen Septembertag des Jahres 1945 trafen sich sportbegeisterte Bornheimer Sportfreunde, um im Lokal »Zum dickenFritz« die Sportgemeinschaft Bornheim aus der Taufe zu heben. Vorstandsmitglieder der verschiedensten Sportarten gesellten sich zueinander und ebneten den Weg für den Bornheimer Sport. Traditionsreiche Bornheimer Vereine gaben ihre Selbstständigkeit auf ... Ende 1946 hatte der Verein 805 Mitglieder, die sich auf fünf Abteilungen verteilten, und zwar auf Fußball, Handball, Radsport, Schwerathletik und Turnen."14
ASV Westend
Wie der VfL 1913 Bornheim war auch der ASV Westend (ehemals FT Frankfurt, Abteilung 2) viermal Kreismeister und stand außerdem 1928 im Endspiel um die Bundesmeisterschaft (4:5 gegen den Pankower SC Adler 08). Mitte der 1960er Jahre war die SG Westend mit Trainer Udo Klug, dem späteren Eintracht-Manager, nach Eintracht und FSV zeitweise die Nr.3 im Frankfurter Fußball und erreichte 1966 das Halbfinale der Deutschen Amateurmeisterschaft. Zum 90-jährigen und 100-jährigen Bestehen erschienen noch Jubiläumsbroschüren, doch da waren die besten Jahre des Vereins schon lange vorbei. „100 Jahre SG Westend : Der tiefe Fall von der Hessenliga in die B-Klasse“ überschrieb die Frankfurter Neue Presse ihren Beitrag zum Jubiläum 1996.
Zwar gelang durch das finanzielle Engagement eines neuen Vorstands 2010 nach zwei Aufstiegen in Folge noch einmal der Aufstieg bis in die Gruppenliga (siebthöchste deutsche, dritthöchste hessische Spielklasse), doch als es 2014 finanzielle Engpässe gab und viele Leistungsträger dem Verein den Rücken kehrten, war der Höhenflug vorbei. Auf diesem war allerdings auch die Erinnerung an die große Vergangenheit des Vereins, der mit Franz Caspari (1898 –1978), August Dehnhardt und dem späteren FSV-Stürmer Christian Hensel immerhin drei ATSB-Bundesauswahlspieler in seinen Reihen hatte, auf der Strecke geblieben.
Zwar wollte man nach dem Abstieg 2014 auf „Spieler, die nur die Hand aufhalten“ verzichten, doch sahen einige darin lediglich die Bestätigung eines seit Jahren gescheiterten Konzepts: „Mit viel Geld – kein Erfolg.“ Als es im Oktober 2014 nach dem Spiel gegen den KSV Tempo „zu teaminternen Auseinandersetzungen“ kam, „was einen Polizeieinsatz nötig machte“, trat zunächst der Trainer zurück und anschließend die Mannschaft dreimal nicht mehr an, was nach den Statuten des HFV den Ausschluss vom Spielbetrieb bedeutete.
So ist es der Geschichtswerkstatt Gallus und Helga Roos zu verdanken, die im September 2013 an „Die Sportanlage an der Sondershausenstraße“ erinnerte. Diese gehört zu den ältesten Fußballplätzen Frankfurts und war einst Teil des Griesheimer Exerzierplatzes, auf dem schon zu Kaisers Zeiten Meisterschaftsspiele ausgetragen wurden. Neben den Griesheimer Vereinen waren hier auch der FFC Victoria und die Frankfurter Kickers (Vorläufer der Eintracht), Germania 94 (Frankfurts ältester Fußballverein) und der FSV zu Gast. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein Teil des Exerzierplatzes in Kleingärten umgewandelt, der andere mit der Friedrich-Ebert-Siedlung überbaut.
SG 1945 Dietzenbach
Wesentlich besser sieht die Quellenlage bei den Vereinen des Frankfurter Umlands aus, die fünf der insgesamt 15 Kreismeister stellten. Letzter Meister des 9. Kreises war 1933 die Freie Turn- und Sportvereinigung Dietzenbach, die sogar noch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme an den Spielen um die süddeutsche Verbandsmeisterschaft teilnahm.
Bei der heutigen SG 1945 Dietzenbach wird diese Tradition bis heute gepflegt. Unter dem Menüpunkt „Verein“ schreibt der parteilose Bürgermeister Jürgen Rogg (seit 2009) in einem Grußwort, dass der Verein „seine Wurzeln über dieses Gründungsdatum hinaus [hat]. Die Geschichte der SGD ist mehr als die Geschichte eines Sportvereins, sie ist wie bei vielen anderen Vereinen auch politische Geschichte.“ Klare Worte. Kein Rückzug auf die seit Kriegsende oft postulierte Neutralität des Sports. Unter „Vereinsgeschichte“ ist festgehalten, dass am 4. November 1945 die SG Dietzenbach „als Nachfolgeorganisation aller früheren Sportvereine gegründet werden konnte ... Voraussetzung für die Genehmigung zur Vereinsgründung war, dass dem Vorstand keine früheren Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen angehören durften.“ Als Gründungsvereine werden genannt: Freie Turn- und Sportvereinigung, Rot-Sport Union, Sportclub 06, Turngemeinde und Turngesellschaft.
Über den „Arbeitersport am Ende der Weimarer Republik in Dietzenbach“ gibt es zudem einen Zeitzeugenbericht von Lina Weilmünster (1916 –2009). Dietzenbach war eines von vielen „roten Dörfern“ im Frankfurter Umland. Über Mörfelden, die einzige Gemeinde im Volksstaat Hessen mit einem kommunistischen Bürgermeister und das ausgeprägte Vereinsleben dort wurde bereits im Hessen-Almanach 2011 berichtet.15
Auch in Sprendlingen, Kreismeister 1925, ist die Geschichte der örtlichen Arbeiterfußballer gut dokumentiert. Im "Sprendlinger Anzeiger" finden sich Berichte über alle im Ort aktiven Vereine, vom „bürgerlichen“ FV 06, von den Fußballern in der DT, vom Arbeitersport in der TG 1886 und ab 1931 auch vom Rotsport. Die 1945 entstandene Sport-und Kulturgemeinschaft von 1886 e.V. sieht sich bis heute in der Tradition des ehemaligen „Arbeitervereins mit starken sozialdemokratischen Tendenzen“, der „1933 ins Visier der neuen Machthaber [geriet] und wurde sofort verboten“ wurde.
Besonders stolz ist man in Sprendlingen auf Heinrich Anthes (1904–1964), der 1927/28 in acht Bundes-Auswahlspielen (davon vier Länderspielen) zehn Tore erzielte und später auch einmal für die IG-Auswahl (Rotsport) aktiv war. Anthes widerstand allen Abwerbungsversuchen des FSV Frankfurt und spielte nach 1933 und dem Verbot der TG 1886 für die Sprendlinger Turngemeinde 1848.
TSG Neu-Isenburg
Ähnlich wie in Sprendlingen sieht es im wenige Kilometer nördlich gelegenen Neu-Isenburg aus. Auch hier finden sich im örtlichen Neu-Isenburger Anzeigeblatt nebeneinander Artikel aller Sportvereine. So auch am 11. Januar 1927 die Meldung, dass sich „die Fußballabteilung der »Freien Turnerschaft« ... unter dem Namen Sportverein »Vorwärts 1911« ab 1. Januar selbstständig gemacht“ habe. Höhepunkt der Vereinsgeschichte war die Kreismeisterschaft 1930 und die anschließende Teilnahme an der süddeutschen Verbandsmeisterschaft, bei der immerhin Platz 2 erreicht wurde. Ob es dem Verein nach der nationalsozialistischen Machtübernahme gelang, sich neu aufzustellen, ist unklar. Die Online-Chronik der SpVgg Neu-Isenburg berichtet, dass der „Sportverein 1911, der selbst gerne seine Selbständigkeit behalten hätte“, 1938 auf politischen Druck mit dem VfL zur SpVgg 03 Neu-Isenburg zwangsfusioniert wurde.
In der Vereinschronik der Fußballabteilung der TSG Neu-Isenburg heißt es, dass es „durch das Verbot des Arbeitersportvereins »Vorwärts« im Jahr 1933“ möglich wurde, die „Mannschaft durch einige Übertritte spielerisch zu verstärken.“ Keine Skrupel hatten die neuen Machthaber dagegen mit der Freien Turnerschaft (gegründet 1899), der man „in einer im wahrsten Sinne des Wortes Nacht- und Nebelaktion ... zu Leibe rückte“ und dabei die Turnhalle und das Vereinslokal verwüstete und plünderte. „Es war uns unmöglich, vor der Zerstörungswut der Leute, die in Neu-Isenburg eingesetzt waren, irgend etwas zu retten oder in Sicherheit zu bringen ... Ein offzielles Verbots- oder Auflösungsdekret hat der Verein nie erhalten.“
Nach dem 2.Weltkrieg entstand auch in Neu-Isenburg eine Sportgemeinschaft. „Es gab keine Außenseiter, da sich Freie Turnerschaft, Turngemeinde, Turnverein, Kraftsportverein, Rote Sport- und Spielgemeinschaft, Spielgemeinschaft 03 (Fußball), DJK, RV Solidarität, Freie Athleten, SV Vorwärts und Schachfreunde 32 alle anschlossen.“ Mit Ludwig Arnoul wurde der 1.Vorsitzende des SV Vorwärts 1911 aus dem Jahr 1927 in den geschäftsführenden Vorstand gewählt. Nachdem sich einzelne Vereine wieder verselbständigt hatten, kam es 1953 zur Fusion zwischen Turngemeinde 1885 und Freier Turnerschaft zur Turn- und Sportgemeinschaft 1885 e.V. Neu-Isenburg. „Als Rechtnachfolgerin der Freien Turnerschaft führte die TSG noch einen 6 Jahre dauernden Schriftwechsel mit den zuständigen Behörden, um für die Verluste, die durch die NSDAP verursacht worden waren, eine Entschädigung zu erhalten. Dies gelang zum Schluß auf dem Wege eines Vergleichs mit der Behörde beim Regierungspräsidium in Darmstadt.“16
KSV Urberach
Auch der KSV Urberach knüpft an die Zeit vor 1933 an und versteht sich als „Wiedergründung der Urberacher Vereine, die ... durch den Nationalsozialismus aufgelöst und deren Vermögen beschlagnahmt wurde ... Ein Stück deutscher Kultur war damit ausgelöscht.“ Nachdem ein erster direkt nach dem Krieg vorgenommener Versuch zum Zusammenschluss „aller sporttreibenden Vereine der Gemeinde unter dem Namen Verein für Leibesübungen“ nach nur zwei Jahren infolge „innerlicher Machtkämpfe wie auch politischer Argumente“ gescheitert war, schlossen sich „die Turner der späteren »Freien Turn- und Sportgemeinde«, die Sänger der »Freien Sängervereinigung« und die Fußballer der »Spielvereinigung« schließlich am 16. Januar 1949 zu einem Verein zusammen“, dem Kultur- und Sportverein Urberach 1888 e.V. Noch heute blickt man voller Stolz zurück auf die Kreismeisterschaft 1929 und das Spiel gegen Nürnberg, das „eine Zuschauerzahl zu verzeichnen hatte, wie man sie selten in Urberach und Umgebung sehen konnte. Außerdem wurde in diesem Jahr sowohl die 2. Mannschaft als auch die Jugendmannschaft Bezirksmeister."
FASV Vorwärts Lampertheim
Der erste Kreismeister aus der „Provinz“ war 1924 der Freie Arbeiter-Sportverein Vorwärts Lampertheim, obwohl es durch die Besetzung rechtsrheinischer Brückenköpfe durch die Franzosen zu großen Problemen im Spielverkehr kam. Dies führte schließlich auch dazu, dass der 8. Bezirk um Worms und das südliche Ried Anfang 1925 aus dem 9. Kreis ausschied und dem 10. Kreis (Baden-Pfalz) zugeteilt wurde. Auch in Lampertheim kam es Ende der 1920er Jahre zur Bildung von Rotsport-Gruppen. „In den ersten Apriltagen des Jahres 1933 wurden alle den Arbeiterparteien nahestehenden Sport- und Kultur-Vereine aufgelöst, so der Sportverein »Vorwärts« am 1. April, der Volkschor am 4. April, der Freie Athletenklub und die Arbeiter-Samariter am 5. April, die Naturfreunde und die Radfahrer-Ortsgruppe »Solidarität«“ am 7. April. Bei allen Auflösungen gab die "Lampertheimer Zeitung", statt der wahren Gründe, die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse als Grund dafür an.“17 Zu einer Neugründung von Arbeitersportvereinen in Lampertheim kam es nach 1945 nicht.
TuS Naunheim
Bereits 1902 war in Gießen die Freie Turnerschaft gegründet worden, der 1906 die Einrichtung des 3. Bezirks folgte, in dem bis zur Einführung der bezirksübergreifenden Kreis-klasse 1927 dieVereinigungen aus Marburg und Gießen dominierten. Mit dem Beschluss des Kreisfußballtages vom 23. März 1930 in Frankfurt, „sämtliche Klassen aufzuheben und die Spiele künftig nur in einer Einheitsklasse auszutragen“, ging auch hier der Stern eines kleinen Vereins vom Lande auf.
Noch 1931 hatte der TuSpV Naunheim als Bezirksmeister in der Kreismeisterschaft Lehrgeld zahlen müssen, doch ein Jahr später gelang der große Wurf. Erst am 1.November 1924 war der 1906 gegründete Turnverein dem ATSB unter dem Namen „Turn- und Spielverein“ beigetreten. „Aus heutiger Sicht eine richtige Entscheidung, da dieMehrzahl der Mitglieder Arbeiter sind.“ Nachdem die Fußballmannschaft in den Folgejahren einen rasanten Aufschwung genommen hatte, holte man sich 1932 mit nur einer Niederlage aus 16 Spielen überlegen die Gruppenmeisterschaft in der inzwischen wieder eingeführten Kreisklasse.
Auch in der Kreismeisterschaft gab es für die favorisierten Frankfurter Vertretungen bei den heimstarken Naunheimern nichts zu holen. Der VfL 1913 Bornheim unterlag zum Auftakt mit 2:5, die FT Bockenheim mit 2:8. Die Begeisterung war riesengroß und die drei Kreisspiele zogen rund 7000 Zuschauer an. Dabei zählte die Gemeinde keine 2000 Einwohner. Zum ersten Spiel um die Süddeutsche Meisterschaft wich man nach Gießen aus, wo über 5000 Begeisterte ein 6:3 gegen den Pfalz-Meister Kickers Ludwigshafen sahen. Im Halbfinale beim württembergischen Meister VfL Neckargertach hielt man bis zur Halbzeit mit (1:1), doch dann fielen „in der zweiten Hälfte die Tore rasch aufeinander“. Trotz einer 2:6-Niederlage „behielt Naunheim eine ganz vorzügliche sportliche Haltung.“ Die Kreismeisterschaft gilt bis heute als Höhepunkt der Vereinsgeschichte.
Die Vereinschronik berichtet weiter, dass Hermann Schäfer und Heinrich Bill „zu einem Kursus und anschließendenSpielen nach Wien eingeladen“wurden und „Adolf Kern ... zu einem Lehrgang an die Bundesschule des Arbeitersportsnach Leipzig“ fuhr. Kern (1905 –1985) war 1924 Übungsleiter der neugegründeten Sparte Frauenturnen, als rechter Läufer Mitglied der Meistermannschaft 1932, bereits vor 1933 SPD-Gemeindevertreter, nach 1933 Vereinskassierer, von 1946 bis 1971 Bürgermeister und 1951/52 auch Vorsitzender des Klubs, dem die durch die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 „geforderte Auflösung nach dem Prinzip der Gleichschaltung und [die]anschließende Neugründung ... einen herben Schlag[versetzte].
Am 24.8.1933 erscheinen nur etwa 40 Personen bei der Gründungsversammlung in der Gastwirtschaft Jakob Bill. Nur 22 Männer tragen sich als Mitglieder ein.“ Am 10. Oktober 1945 gründeten 47 Einwohner den Verein neu.
Das Beispiel Naunheim zeigt, dass auch in Orten mit geringer Einwohnerzahl große Leistungen erbracht wurden. Daher soll nun nach Betrachtung der „Spitzenvereine“ ein Blick geworfen werden auf die große Masse der „kleinen“ Vereine, die auch im Arbeiterfußball die Basis der Bewegung bildeten. In seiner Anfangsphase hatte sich der AT(S)B nämlich durch Ablehnung des Leistungsgedankens vom „bürgerlichen“ Sport mit seinem Auswüchsen des Individualismus und der „systematischen Züchtung von Kanonen des Sports“ abgegrenzt.
Mit dem Anwachsen der Mitgliederzahlen in der Weimarer Republik und der zunehmenden Popularität des Fußballs auch innerhalb des ATSB wurde es aber immer schwieriger, diesem Anspruch in der Realität gerecht zu werden. Längst waren die Top-Arbeiterfußballer ins Blickfeld „bürgerlicher“ Vereine geraten und ständigen Abwerbungsversuchen ausgesetzt. So musste man auch in der Fußballsparte den Leistungsgedanken akzeptieren, was im 9. Kreis 1927 zur Einführung der bezirksübergreifenden Kreisklasse führte. Doch neben den anfangs 21 (später 36) Kreisligavereinen gab es zwischen Rheinhessen und Marburg, Odenwald und Dilltal Dutzende von Vereinen, die auf Bezirksebene Woche für Woche dem Ball nachjagten.
Diese Entwicklung ist auch in der Berichterstattung sowohl in der lokalen (Arbeiter-) Presse als auch in der "Freien Sportwoche" zu beobachten. Noch 1920 galt die Prämisse „Unwahres, Selbstverständliches und Ueberflüssiges lasse man von vornherein weg. Schade um die Tinte.“ Dazu gehörten auch Minutenangaben bei Toren, denn „die Wichtigkeit des Momentes liegt nicht in der Zeit, die Erde bleibt auch nicht stehen“.
Unterlassen werden sollten auch „alle Lobhudeleien und hervorhebenden Namensnennungen ... Im Rahmen des Arbeitersports soll es keinen Personenkultus geben.“ Getadelt wurde auch die Einsendung von Mannschaftsbildern. „Ehe mal ein solches Verwendung finden kann, ist die Mannschaft schließlich nicht mehr zusammen, das Bild wertlos und die jetzt hohen Ausgaben für Autotypien besser für belehrende Bilder angewandt. Besser ist, einen Moment aus dem Spiel bildlich zu bringen. Mit 1/250 Sekunde gearbeitet, ist der Erfolg sicher. Auch vier Jahre später stand die Pressearbeit der Vereine weiterhin in der Kritik. „Warum liest man so wenig vom Arbeitersport in der Presse? Ist unter den vielen Tausend Arbeitersportlern wirklich niemand, der in einem vernünftigen Deutsch einen genießbaren Aufsatz über eure Veranstaltungen und Ziele schrieben kann?“ Da aber „gewöhnlich ... in der Generalversammlung ein Genosse so lange gedrängt [wird], bis er sich das Amt des Pressewartes aufhalsen läßt“, wird „der so gepreßte Genosse ... in den meisten Fällen nur das allernotwendigste arbeiten. Hier muß der Hebel angesetzt werden. Es muß sich in jeder Sparte ein Genosse finden, der freiwillig Berichte und Aufsätze schreibt.“
Doch anscheinend stieß der Appell auf taube Ohren, denn am 30.September 1925 bemängelte Karl Krebs in der "Freien Sport-Woche" erneut die mangelhafte Berichterstattung im 9. Kreis. „In der Berichterstattung war wieder mal der Sonntag einer der schwärzesten. Bericht erstatten heißt schnell und pünktlich arbeiten. Es muß ... mehr als seither darauf hingewirkt werden, daß die Partei- und Gewerkschaftsgenossen die Plätze der Arbeitersportvereine besuchen.“
Im Geschäftsbericht 1928/29 „35 Jahre 9. Kreis“ betont Heinrich Sorg die wichtige Rolle der Kreispresse, ohne die „heute kein geregelter Verkehr im Kreisgebiet“ möglich sei. Eine „wahllose Vermehrung der Bundespresse“ wurde aber abgelehnt, da „der Schwerpunkt der gesamten Agitation und Vorwärtsentwicklung heute mehr denn je in dem Verein und den untersten Organisationsmitgliedern liegt“. Eine Bundeszeitung müsse „so ausgestaltet werden, daß alles, was die Bundeszentrale den Bundesmitgliedern mitzuteilen hat, hierin Raum finden kann. Stünde einer solchen Bundespresse ... eine gut entwickelte Kreispresse zur Seite, hätten wir, in Verbindung mit den Tageszeitungen, ein Pressenetz, daß nicht nur innerorganisatorisch allen Anforderungen gerecht werden könnte, sondern auch dem außenstehenden Publikum beizukommen in der Lage wäre.“
Zumindest im Rhein-Main-Gebiet muss es diesen Idealzustandzeitweise gegeben haben. Neben der Bundespresse erschien auf Kreisebene bis 1926 die von Karl Krebs herausgegebene Wochenzeitung "Arbeitersport", die ab 1926 von Heinrich Sorg unter dem Titel "Freier Sport" als „Offizielles Nachrichtenblatt für die gesamte freie Sportbewegung in Hessen und Hessen-Nassau“ weitergeführt wurde.
Die Berichterstattung über den Arbeiterfußball im 1. (Darmstadt/Groß-Gerau), 2. (Frankfurt) und 4. Bezirk (Offenbach/Hanau) kann man ab Mitte der 1920er Jahre zunehmend als „gut“ bezeichnen. Aus dem Jahr 1930 existieren außerdem im Bundesarchiv Berlin 13 Ausgaben von "Der Rote Sportler", dem Organ der IG für Hessen-Nassau und Westbayern. Im September und Oktober wurden dort die Tabellenzwischenstände aller Gruppen des 1., 2. und 4. Bezirks veröffentlicht. Über die Probleme im 5. Bezirk (Wiesbaden/Mainz) im Zusammenhang mit der (Wiesbadener) Volksstimme" wurde schon anfangs berichtet.
Hilfreich – zumindest für die Jahre 1931 und 1932 – ist der Sportteil der "Sozialistischen Arbeiter-Zeitung", die über das von der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Uniwersytet Wrocławski gemeinsam initiierte „Portal Breslauer Arbeiterbewegung“ in digitaler Form eingesehen werden kann.
Zu den Problemfeldern gehörten die Randgebiete des 9. Kreises, so der Odenwald, wo 1922/23 kurzzeitig der 7. Bezirk bestand, der aber nur 1922 mit dem dem AC Teutonia Münster einen Bezirksmeister ermittelte, dessen Beteiligung an der Kreismeisterschaft (vermutlich gegen Borussia Mainz-Kastel) aber (noch) im Dunkeln liegt. Die heutige Freie Sportvereinigung 1899 Münster knüpft an die Tradition der Teutonia an, wie der 1.Vorsitzende Hans-Peter Samoschkoff auf Anfrage mitteilte.
WenigeKilometer südlich liegt die heute zu Reinheim gehörende Ortschaft Ueberau, wo der 1919 gegründete Arbeiter-Sportverein „ein Kristallisationspunkt der lokalen Arbeiterbewegung [war]. Als Mitglied der 1930 gegründeten »Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit« war der Verein nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten dem Terror der NS-Organisationen ausgesetzt.“
Seit 1919 bildete der Wetteraugau den 6. Bezirk des 9. Kreises. In einem Schreiben des Staatskommissars für das Polizeiwesen in Hessen an das Kreisamt in Friedberg vom 6.Juni 1933 werden 30 Arbeiter-Turn- und Sportvereine genannt, „deren Vermögen ... sicherzustellen“ sei. „Falls das Verzeichnis nicht vollständig ist, wollen Sie berichten.“
Der "Oberhessische Anzeiger" veröffentlichte am 24. Januar 1934 eine Liste von 72 Vereinen und Organisationen aus 27 Städten und Gemeinden des Kreises Friedberg, dessen Vermögen auf Grund des „Gesetzes über die Einziehung von volks- und staatsfeindlichen Vermögens“ vom 14.Juli 1933 beschlagnahmt „und in das Eigentum des Landes Hessen überführt“ wurde.
Im „Vorkriegsarchiv Wetterau“ findet man weitere Artikel über den Arbeiterfußball im Landkreis, den letzten am 10. Mai 1933 über ein Freundschaftsspiel des ATSV Nieder-Florstadt mit Dietzenbach, dem„Kreismeister des 9. Kreises“ (4:4).
Zwei Wochen später gab es den ATSV Nieder-Florstadt nicht mehr. Um seiner Auflösung zuvorzukommen, schloss sich der Verein der Turngemeinde an, die „jetzt der DT. angehöre und demzufolge auch das Führersystem Platz greife. Eine Gleichschaltung erübrige sich, da der Gesamtvorstand auf nationalem Boden stehe und schon immer gestanden habe. Die Mitglieder des seitherigen Arbeiter-Turn- und Sportvereins stellten verschiedene Anfragen, die bald in zufriedenstellender Weise geklärt werden konnten. Auch der inzwischen eingetroffene kommissarische Bürgermeister Hübner hieß den Zusammenschluß der Turnvereine willkommen.“ Allerdings konnte man „ueber die Fußballfrage ... eine restlose Einigung nicht erzielen.“
Trotz dieser scheinbaren Billigung von oben blieben die Nieder-Florstädter Arbeitersportler weiter im Visier der neuen Machthaber, und der Verein stand sowohl auf der Liste des Staatskommissars vom 6. Juni 1933 als auch auf der im "Oberhessischen Anzeiger" vom 24. Januar 1934 veröffentlichten Aufstellung des Kreisamts Friedberg.
Ausgesprochen unbefriedigend ist die Quellenlage für die frühe Zeit im 3. Bezirk, obwohl hier Walter Bernsdorff bereits 1983 einen Beitrag „über fast vergessene Arbeiter-Fußballer in Marburg“ veröffentlicht hatte. Schon damals musste er freilich feststellen, dass „die Jahre vor dem 1.Weltkrieg noch ganz im Dunkeln“ liegen und es auch „aus den ersten Jahren nach dem Kriege ... keine zuverlässigen Nachrichten“ gibt. Denn weder die "Freie Sport-Woche" noch die Marburger Zeitungen berichteten ausführlich über den 3. Bezirk. Für die Jahre 1921 und 1922, in denen der MTV Marburg Bezirksmeister war, fanden sich in der "Oberhessischen Zeitung" nur vier Artikel über ihn. So ist weiterhin unklar, warum der Verein 1921 nicht an der Kreismeisterschaft teilnahm. Die "Freie Sport-Woche" veröffentlichte am 23. Februar 1921 kommentarlos einen Spielplan ohne den Vertreter des 3. Kreises.
1922 spielteMarburg in Friedberg gegen die FTG Mörfelden. Das Spiel ist im "Oberhessischen Anzeiger" vom 9. März 1922 angekündigt, das Ergebnis jedoch nicht überliefert. Da Mörfelden bis ins Kreisendspiel vordrang, ist von einer Marburger Niederlage auszugehen. Die "Oberhessische Sportzeitung" berichtete gar nicht über den Arbeitersport. Der MTV Marburg taucht dort ab der Ausgabe Nr.3 (14.September 1920) lediglich in der Rubrik „Vereinskalender“ auf. So wurde in der Nr.5 (21.September 1920) zu einer Vorstandssitzung am 23.September in „Dörrs Bierhaus (Vereinslokal)“ geladen und ab der Nr.6 (23. September 1920) auf die Turnstunde verwiesen, die „jeden Montag in der Oberrealschule von 7 ½ – 9 ½ Uhr“, ab Januar 1921 „jeden Dienstag und Freitag in der Turnhalle der Südschule“ abgehalten wurde.
Überhaupt gehörte der 3. Bezirk in Bezug auf den Fußball zu den Spätentwicklern im 9. Kreis. DerATSB-Geschäftsbericht für 1920 führt mit der Freien Turnerschaft Gießen lediglich eine Vereinigung mit Fußball-Abteilung, in der 40 der insgesamt 180 Mitglieder aktiv waren. Kein Wunder, dass Gießen im Spieljahr 1919/20 an den Serienspielen des 2. Bezirks teilnahm. Aus diesem Grund ist auch wenig wahrscheinlich, dass 1920 ein Arbeiter-Fußballverein aus dem Dillkreis Bezirksmeister war.
Der heutige Ortsteil Offenbach der Gemeinde Mittenaar zählte 1910 799 und 1925 906 Einwohner. 28 von ihnen hatten am 20.Juni 1914 den Turnverein Jahn Offenbach gegründet. Im Juli 1920] wurde der erste Fußball angeschafft, bereits im Oktober konnte das zweite Exemplar gekauft werden.“ Ab 1922 nahm der TV Jahn an den Punktspielen im „bürgerlichen“ Westdeutschen Spielverband teil.
Der ATSV Herborn nahm 1923 als Meister des 3. Bezirks an der Kreismeisterschaft teil und unterlag dort am 11. März dem späteren Kreismeister FT Frankfurt, Abt. 2 (Westend) in Friedberg mit 0:8. Ein Foto der Meistermannschaft wurde 1991 imBildband „Herborn und seine Stadtteile in alten Fotografien“ veröffentlicht. „Längst vergessen“, heißt es da, „Der ATSV Herborn entstand – wie der SV Herborn – 1920 und wurde nach der»Machtergreifung«Hitlers 1933 aufgelöst.“ Recherchen in der regionalen Presse brachten keine neuen Erkenntnisse, obwohl sowohl die "Dill-Zeitung" als auch das "Herborner Tageblatt" amtlichen Charakter hatten. Im Frühjahr 1920 gehörten die Schlagzeilen dem Kapp-Putsch, im Frühjahr 1923 der französischen Besetzung des Ruhrgebiets und der Hyperinflation. Sportmeldungen sind sehr selten. Zwar gibt es Hinweise auf Veranstaltungen der örtlichen SPD und USPD, Arbeitersport sucht man allerdings vergeblich.
Uli Matheja (Erstveröffentlichung im Hessen-Almanach 2013)
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Anmerkungen:
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