Der italienische Arbeitersport war durch die politischen Verhältnisse gezwungen, sich in den bürgerlichen Sportorganisationen zu organisieren, um überhaupt existieren zu können. Das galt auch für die Fußballer, deren Vereine daher Mitglieder des italienischen Fußballverbandes, der Federazione Italiana Giuoco Calcio (F.I.G.C.) waren.
Es kam daher einer Sensation gleich, als der ATSB informierte, dass mit dem FBC Milano im Juli 1926 erstmals italienische Arbeiterfußballer in Sachsen und Süddeutschland Spiele bestreiten würden. Damit kam es erstmals zu direkten Begegnungen zwischen ATSB und einem über die F.I.G.C. der FIFA angeschossenen Verein.
Leider beschränkten sich die Informationen in der Arbeitersportpresse nur auf einige wenige Meldungen, die wir aber unseren Besuchern nicht vorenthalten möchten. Der Auftakt erfolgte am 2. Juli 1926 in Leipzig.
"Die Verpflichtung der Mailänder durch die Amateure bedeutet zweifellos eine sportliche Großtat. Gab sie uns doch Gelegenheit festzustellen, dass auch im Lande des Nationalradikalismus in höchster Potenz der Volkssport ein zähes Leben hat, und wenn nicht alles trügt, die derzeitige Epoche der Unterdrückung keine Ewigkeit dauern wird. Diese Erkenntnis fand auch ihren Ausdruck in der Begrüßungsansprache des Vereinsleiters des Gastgebers. Die darauf folgenden kurzen Dankesworte der Italiener mussten – bezeichnend für die politische Freiheit – vorher beim Konsulat niedergelegt werden."1
Der SV Amateure 04 Leipzig-Mölkau gewann gegen FBC Milano 1:0 (1:0) vor 4000 Zuschauern im Sportpark Mockau.
Im zweiten Spiel trafen die Lombarden am 4. Juli auf die Freie Turn- und Sportvereinigung Dresden-Löbtau. "Nach einer würdigen Begrüßung auf dem Bahnhof zog sich der Demonstrationszug durch Dresdens Westen nach dem Kommerslokal. Der Kommers war prächtig dazu angetan, den Italienern ein paar genußreihe Stunden zu bieten ... Pünktlich betraten beide Mannschaften unter den Klängen der Internationale den Platz. Ehe das Spiel begann, wies ein Genosse in seiner kernigen Ansprache auf die Bedeutung dieses Treffens hin."2 Das anschließende Spiel gewann Mailand mit 2:0.
Über Plauen im Vogtland und ein Spiel gegen die dortige Stadtauswahl ("Beiden Mannschaften gebührt ein Gesamtlob in Bezug auf Disziplin und faires Spielen."3) ging es weiter nach Nürnberg, München und schließlich nach Stuttgart auf dem Platz des bürgerlichen Stuttgarter SC von 1900. Dort lief die italienische Mannschaft vor Anpfiff zu einer Schweigeminute zum Gefallenendenkmal des SSC. "Diese stille Ehrung löste einen spontanen Beifall der 5000 aus."4
Anzumerken ist noch, dass der FBC mit Francesco Soldera einen ehemaligen Spieler von US Milanese und Inter im Aufgebot hatte. Diese beiden Vereine fusionierten 1927 auf Druck des Regimes zu Ambrosia Mailand, womit auch der von den Faschisten ungeliebte Name "Internazionale" vorläufig getilgt wurde.
Alle Spiele dieser Reise:
Im Juli 1928 gastierte noch einmal eine Stadtauswahl Mailänder Arbeiterfußballer in Deutschland mit folgenden Resultaten:
Danach kam es zu keinen weiteren Begegnungen zwischen Italien und ATSB und auch zu keinen weiteren zwischen FIFA- und ATSB-Bereich. Doppelt kurios sind diese Spiele als die einzigen zwischen ATSB-Fußballern und Angehörigen eines faschistischen Staates!
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Text und Mockau-Foto: Rolf Frommhagen
Für die Löbtau-Fotos vielen Dank an Manfred Schneider, Dresden!
1 "Freie Sport-Woche" vom 7. Juli 1926
2 "Freie Sport-Woche" vom 14. Juli 1926)
3 ebenda
4 "Freie Sport-Woche" vom 21. Juli 1926
5 "Freie Sport-Woche" vom 28. Juli 1926
6 "Freie Sport-Woche" vom 30. Juli 1928
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