Der ermittelte Lebensweg der unbesiegten ATSB-Spitzensprinterin Wilma Dittmar (geb. 4. November 1907) ist mit einigen Unklarheiten belastet. Schon im Dezember 1924 stand sie in der Liste der sportlichen Bestleistungen des ATSB mit einer Zeit von 12,4 s über 100 m. Offenbar erfüllte diese Zeit nicht die Anforderungen zur Anerkennung eines Weltrekordes.
Bei den Bundes-Meisterschaften 1923 in Berlin und 1924 in Frankfurt am Main war sie mit den beachtlichen Ergebnissen von 12,9 und 13,1 s Meisterin geworden. Bei der Arbeiter-Olympiade 1925 in Frankfurt belegte sie im Alter von 16 Jahren mit 12,9 s über 100 m den 1. Platz, In der 4×100-m-Staffel lief sie mit ihren ATSB-Kameradinnen 50,3 s und verbesserte damit den "bürgerlichen" Weltrekord um fünf Zehntelsekunden. Als Schlussläuferin erzielte sie zudem eine Zeit von 12,4 s, ebenfalls Weltrekord!
Nach den damaligen Regeln konnte er aber nicht anerkannt werden, da er in einem Staffel-Rennen erzielt worden war. Bis Mitte September 1925 wurde er vom ATSB noch als "Höchstleistung", also als verbandsinterner Rekord geführt. Danach wurde diese Zeit sowohl im deutschen wie im internationale Arbeitersport nicht mehr als "Höchstleistung" anerkannt.
Beim Internationalen Arbeiter-Sportfest in Riga (Lettland) am 19. Juni 1926 gewann Wilma Dittmar mit 12,6 s über 100 Meter. Mit der gleichen Siegerzeit, die sie am 26. Juni 1926 beim Abendsportfest in Burg bei Magdeburg erzielt hatte, stand sie in der offiziellen ATSB-Bestenliste von Ende 1932, die infolge des Arbeitersport-Verbotes durch die Nazis auch die „ewige Bestenliste“ des ATSB ist. Diese 12,6 s bedeuteten auch Rekord im internationalen Arbeitersport. Erst bei der Arbeiter-Olympiade 1931 in Wien wurde diese Zeit von der englischen Arbeitersportlerin Walker auf 12,4 s verbessert. Wie erwähnt, wurde bei der Arbeiter-Olympiade 1925 ein weiterer Weltrekord, der über 10 × 1000 m durch die ATSB-Staffel, an der sie auch teilnahm, ebenfalls nicht anerkannt.
Nach ihrem letzten Start bei einem Sportfest in Leipzig am 15. August 1926 verschwand Wilma Dittmar im besten Sportalter von 18 Jahren „spurlos von der Bildfläche“. Keine Arbeitersport-Zeitung berichtete darüber, auch die Abwerbung zu einem bürgerlichen Verein wurde nicht vermeldet.
Nach dem Verbot 1933 wechselte sie mit 145 Mitgliedern der FT Hannover zum bürgerlichen Verein SV Odin 1905, der noch heute besteht und betrieb dort Hand- und Korbball als Freizeitsport. Es ist zu vermuten, dass sie während ihrer ersten Ehe, die kinderlos blieb, den Leistungssport aufgegeben hatte. Nach dem Tod ihres Mannes heiratete sie noch einmal und hieß dann Wilma Blanck. Die letzte Spur datiert vom Oktober 1988, als sie allein in Hannover lebte.
Babette Kehrt (Vereinigte Freie Turner 1898 Ludwigshafen)
Vom weiteren Lebensweg der besten Weitspringerin und Werferin des ATSB, Babette Kehrt geb. Bayerlein konnten wir bisher keine Informationen ermitteln. Beim internationalen Sportfest im Juli 1926 in Prag vertrat sie zusammen mit Babette Hochholzer den ATSB und errang Platz 1 im Weitsprung.
Bei der Arbeiter-Olympiade 1931 in Wien gewnn sie die Titel im Weitsprung und im Diskus-werfen. Bei der letzten ATSB-Meisterschaft 1932 in Dresden gab es im Weitsprung den 1. Platz und jeweils 2. Plätze im Kugelstoßen und Diskuswurf. Das war aber schon die letzte Nachricht zu ihr. Auch der heutige Nachfolgeverein ASV 1898 Ludwigshafen konnte leider nicht weiter helfen.
Frieda Schuchhardt (ATV 1898 Linden)
Die sportliche Laufbahn der Nachwuchs-Athletin Frieda „Fiete“ Schuchhardt verh. Schüddekopf (1914-2003) aus Hannover-Linden ist hingegen umfangreich geklärt und lässt eine sportliche Entwicklung erkennen, die durch das Verbot des Arbeitersports 1933 abrupt unterbrochen wurde.
Mit 10 Jahren begann sie in einer Kinder-Turngruppe und zwei Jahre später im ATV 1898 Linden mit der Leichtathletik. Ihre Spezial-Disziplinen waren 100 m und Weitsprung. Ebenfalls spielte sie in der Frauen-Mannschaft ihres Vereins Handball. Das talentierte Mädchen musste mit den Männern trainieren, da sie im Verein keine weibliche Konkurrenz hatte.
Im September 1928 vertrat sie als 14-Jährige ihre Heimatstadt beim Leichtathletik-Städtekampf Hamburg-Bremen-Hannover im Hamburger Stadtpark. Beim 2. Arbeiter-Turn- und Sportfest im Juli 1929 in Nürnberg war es ein 11. Platz über 100 m und eine Vorlaufzeit von 13,8 s, die für die nun 15 Jahre alte Sportlerin zu Buche stand.
1930, beim 1. Niedersächsischen Kreis-Turn-und Sportfest auf dem Platz des ATV 1898 Linden, besiegte sie ihre spätere Vereinskameradin Wilma Kohne, verh. Boose, über 100 m mit knappem Vorsprung und entschied damit den internen Kampf um die beste Sprinterin Hannovers für sich.
Am 31. Mai 1931 fanden in Bückeburg die Ausscheidungs-Wettkämpfen der Leichtathleten des 11. Kreises (Nordwestdeutschland) für die 2. Arbeiter-Olympiade statt. Hierbei konnte Frida Schuchhardt sich als Platzierte über 100 m und Siegerin im Weitsprung (4,90 m) als einzige Leichtathletin Hannovers für Wien 1931 qualifizierne.
In Wien hatte sie ihren ersten Wettkampf gegen renommierte internationale Wettbewerberinnen. Kein Wunder, dass die 17-jährige ihre Leistungsgrenze nicht erreichte. Immerhin kam sie in die Endkampf über 100 m und wurde mit 13,4 s Siebente, während im Weitsprung der achte Platz (4,50 m) heraus sprang. Bei den ATSB-Meisterschaften im August 1932 in Dresden wurde sie über 100 m ebenfalls Siebente.
Zum Zeitpunkt des Arbeitersport-Verbots war sie gerade 19 Jahre. Zwar ging es für sie mit der Leichtathletik in den bürgerlichen Vereinen von Linden und Limmer weiter; es war ihr aber kein Leistungssport mehr möglich. 1938 heiratete die gelernte Weißnäherin und siedelte nach Barsinghausen. Dort schloss sie sich 1945 dem TSV 1891 Barsinghausen an, dem sie die nächsten 50 Jahre angehören sollte. Die sportliche Seniorin hielt sich hier mit Gymnastik fit.
Gute Leichtathleten des ATSB hatten unter Beachtung der Formalitäten, die das Naziregime für solche Fälle vorsah, offenbar keine Mühe neue Vereine zu finden, um ihre
sportlichen Laufbahnen fortzusetzen. Das galt sogar für international noch nicht in Erscheinung getretene Sportler wie den Weitspringer Antrick oder den Mittelstreckler Knäschke.
Der Leipziger Max Wagner, der 1933 das Alter von 30 Jahre bereits überschritten hatte, profitierte dabei von seinen Ruf als Spitzensportler, den er sich in zahlreichen nationalen und internationalen
Kämpfen erworben hatte. Wenn man bedenkt, dass die Leistungen der Sportler in den sogenannten bürgerlichen Verbänden i. d. R. besser waren, müssen wohl auch Faktoren wie der persönliche Ruf,
Heimatverbundenheit und Teamfähigkeit, die im Arbeitersport gelebt wurden, bei der Aufnahme in den neuen Vereinen dazu gekommen sein.
Offensichtlich ist, dass bei diesen Veränderungen der Ort zumeist nicht gewechselt wurde.Die nachfolgende Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und beinhaltet nur Sportler, die von uns
bisher nicht thematisiert wurden.
Im Gegensatz dazu betrieben andere Leichtathleten des ATSB ab 1933 nur noch Freizeit-Sport. So beim SV Odin 05 Hannover, der viele Mitglieder von der Freien Turnerschaft Hannover aufnahm.
Anmerkung zu Otto Antrick: Der spätere Politikwissenschaftler und Professor gewann am 31.5.1931 in Berlin-Wannsee den Weitsprung in den Qualifikationskämpfen des 1., 2. und 15. Kreises für die Arbeiterolympiade 1931 in Wien. Er war der Sohn von Otto Friedrich Wilhelm Antrick, der als SPD-Mitglied in der Weimarer Republik Minister in der Braunschweigischen Landesregierung und 1922 Kommissarischer Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig war.
***
Recherchen: Rolf Frommhagen, Reiner Fricke
Danke an Silke van Laak und Susanne Böhmer von der Geschichtswerkstatt im Freizeitzentrum
Hannover-Linden, an Jürgen Schüddekopf, Barsinghausen, an den SV Odin 1925 Hannover sowie an Frau Windolf und Horst Penne aus Hannover für die Hilfe mit Informationen und Bildern.
|
|