Zu den bürokratischen Pflichten eines jeden ATSB-Vereins gehörte das alljährliche Ausfüllen und Absenden von Kreisfragebögen, auf deren Grundlage der ATSB seine Vereins- und Mitgliederstatistiken erstellte. Zu den besonderen Überraschungen im Konvolut des Geesthachter Zeitungsfundes gehören die entsprechenden Formulare von allen ATSB-Vereinen des 3. Kreises (Hamburg, Schleswig, Holstein und Mecklenburg) der Jahre 1925 und 1928. Als Beispiel präsentieren wir hier den des SC Lorbeer 06 Hamburg mit Vorder- und Rückseite:
Neben vielen Informationen wie den damaligen Vereinsfunktionären, den Sportplätzen und Vereinslokalen, Sportarten und Mitgliederzahlen weisen die meisten dieser Bögen auch noch den Vereinsstempel auf. Aus unserem reichen Fundus zeigen wir ein paar typische wie auch ausgefallene Exemplare:
Der Stempel von Lorbeer 06 auf dem Bogen von 1925 gehört zu den prächtigsten seiner Art. Die Grundform kommt bei keinem anderen Verein im 3. Kreis des ATSB vor. Sie dürfte noch aus der Kaiserzeit herrühren. Drei Jahre später scheint das prächtige Siegel allerdings ausgedient zu haben, und sehr viel schlichter ist sein Neahfolger auf dem Statistikbogen von 1928:
Ein Großteil der Vereinsstempel dürfte im Arbeiter-Turnverlag Leipzig hergestellt worden sein. So auch untenstehendes Beispiel. Der Arbeiter-Turnverlag gehörte zum ATSB-"Imperium" und befand sich wie die ATSB-Geschäftsstelle und die Bundesschule sowie bundeseigene Wohnhäuser in der Fichtestraße in der Leipziger Südvorstadt. Die Freie Turnerschaft Hammerbrook-Rothenburgsort verschmolz nach dem Krieg mit Lorbeer 06 zum heutigen FTSV Lorbeer Rothenburgsort.
Die Freie Turnerschaft Schwarzenbek bei Hamburg zeigt ebenfalls das ATSB-Emblem, es ist hier aber mit viel Zierrat und der Devise "FRISCH, FREI, STARK, TREU" auf einer Banderole geschmückt:
Die Freie Turnerschaft Bergedorf-Sande aus Hamburg führte in ihrem Stempel das sozialistische Turnerkreuz mit Lorbeerkranz und ATSB-Gruß "Frei Heil!"
Für das gleiche Stempelklischee aus dem ATV-Katalog hatte sich auch der Husumer Fußball-Verein mit dem originären Namen "Republik" entschieden:
Eine häufige vorkommende Variante war das im Oval frei schwebende Turnerkreuz, wie es die Freien Turner aus Soltau in der Lüneburger Heide verwendeten:
Diesem ähnlich, aber doch in jeden Detail verschieden ist der Stempel des Gehörlosen-Sportverein Hamburg-Altona:
Die Freie Turnerschaft Veddel von 1907 leistete sich sogar einen Vorstands-Stempel. Nach 1945 ging der Verein im heutigen TSV Veddel Hamburg auf.
Zur Abwechslung hier mal ein stehendes Oval am Beispiel der Freien Turnerschaft Preetz, die übrigens immer noch unter diesem Namen besteht und 2017 ihren 120. Geburtstag feierte:
Der Sportklub Güldenstern Stade stellte auch ohne Turnerkreuz klar, dass er der Arbeitersport-Bewegung angehörte; zumindest für alle, die das Kürzel M.d.A.T.-u.Sp.-B. dechiffrieren konnten.
Der Sportklub Elbe Altona schrieb den Namen seines Verbandes lieber aus und nannte auch noch Kreis und Bezirk (3. Kreis = Nordmark, 1. Bezirk = Hamburg).
Dagegen war der Freien Sportvereinigung Neustadt 1924 Hamburg mehr an der Benennung von Leipzig als Sitz des ATSB gelegen.
Die Freie Turnerschaft an der Kieler Förde benutzte in den 20er Jahren noch einen Stempel aus der Vorkriegszeit, wie das Kürzel ATB verrät und das Jugendstil-Geflecht unterstreicht.
Mit dem Arbeiterturner-Gruß "Frei Heil!" weist dagegen der TV Tesperhude-Grünhof auf seine Mitgliedschaft im Arbeitersport hin...
...und die Freie Turnerschaft Glückstadt und Umgebung mit dem Händedruck als Symbol proletarischen Zusammenhalts.
Die Sportabteilungen des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold waren grundsätzlich im ATSB organisiert. Der Adler hat allerdings kaum Ähnlichkeit mit seinem Artgenossen im Reichsbanner-Emblem. Wahrscheinlich hatte sich der Stempelmacher seine Arbeit erleichtert, indem er auf ein Klischee für Behördenstempel der Weimarer Republik zurück griff.
Die ziehrenden Kringel im Stempelbild der Rostocker Ball-Athleten erinnern entfernt an Streuselschnecken und Hufeisen:
Nach den bisherigen Beispielen kommt der Stempel der Freien Turnerschaft Groß Flottbek mehr wie ein Kartoffeldruck daher:
Schlicht und ergreifend präsentiert sich in seinem Stempelbild auch der ATSV Marne...
...und ebenso der SC Staatskai von 1928, Hamburg. Beachtenswert ist hier auch die Auflockerung des Vereinsnamens mittels Komma.
Bei der Freien Sportvereinigung 1913 Lüneburg, heute noch unter ähnlichem Namen existent, stand schon damals der Fußball im Mittelpunkt.
Die Stempelschneider reagierten auf den Fußball-Boom der 20er Jahre, indem sie zunehmend Stempel mit Fußballern anfertigten, wie diesen für den FC Vörwärts 1920 Teterow in Mecklenburg.
Das Signum des SC Fortuna Hamburg könnte dessen Vereinsemblem entlehnt worden sein. Typischerweise zeigten die Embleme der ursprünglichen Turnvereine im ATSB eine Variation des Arbeiter-Turnerkreuzes oder das ATSB-Panier, ergänzt mit dem jeweiligen Vereinsnamen oder -kürzel, oft auch noch Lorbeer oder Eichenlaub.
Hingegen hatten viele reine Fußballvereine im ATSB eigenständige Zeichen, die sich nicht von denen ihrer bürgerlichen Konkurrenz unterschieden. Das galt besonders für Vereine, die vom DFB zum ATSB gewechselt waren und ihre liebgewordenen Erkennungszeichen danach meistens beibehielten. Diese waren also meist aus Buchstaben, Schildformen oder Fahnen gebildete Embleme oder von Schriftringen umkreiste prägnante Formen wie im untenstehenden Beispiel.
Wassersportvereine im ATSB führten auf älteren Stempeln das Zeichen des Arbeiter-Wassersportvervandes, wie das Beispiel aus Rostock zeigt...
... oder auf jüngeren Petschaften das ATSB-Emblem, nachdem der Arbeiter-Wassersportverband Ende 1922 dem Arbeiter-Turn- und Sportbund beigetreten war:
Zum Inventar des 3. Kreises gehörte mit der Arbeiter-Gymnastik- und Sportvereinigung Aabenraa auch ein in Dänemark ansässiger Verein. Aabenraa hatte seit 1867 zu Preußen und ab 1871 zum Deutschen Reich gehört, bis es 1920 durch die Schleswigsche Volksabstimmung wieder zu Dänemark kam. Der Verein bestand vermutlich hauptsächlich aus proletarischen Vertretern der deutschen Volksgruppe.
Der ATSB war also in gewissem Sinn und Maß ein staatenübergreifender Sportverband. Ihm gehörten auch Vereine aus Österreich und dem Freistaat Danzig an.
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