Kampfplatz der Eisernen Front:

Das Stadion am Lindener Berg

Es gibt im deutschen Fußball den Betzenberg in Kaiserslautern, den Bieberer Berg in Offenbach und die Bielefelder Alm. Unvergessen bleibt im kollektiven Gedächtnis noch lange Zeit der Mönchengladbacher Bökelberg, dessen Stadion im Frühjahr 2006 abgerissen wurde. Mit dem Lindener Berg (89 Meter über dem Meeresspiegel) hat auch Hannover einen Stadiongipfel. Da dieser nie die Heimstatt eines überregional bedeutsamen Fußballklubs war, ist er den Besuchern der vorgenannten Hochlagen kaum bekannt. Interessant ist die Geschichte des Lindener Stadions dennoch, auch für die Freunde des Arbeitersports.

 

Blick auf Hannover vom Lindener Berg aus, Merian-Stich von 1654

 

Größtes Dorf von Preußen

 

Die Bedeutung des Lindener Bergs lag über Jahrhunderte in seinen Rohstoffen. Im heutigen Stadtbild stößt man noch vielerorts auf das einst aus ihm herausgebrochene Material. Außer Kalkstein wurde hier auch Ton gefördert, in der Nähe Salz und sogar Asphalt. Im Mittelalter siedelten sich erste Kalkbrennereien und Töpferstuben an, und ab dem 13. Jahrhundert versorgten sich die Erbauer von Hannovers Stadtbefestigung mit dem Lindener Gestein. Während des Dreißigjährigen Krieges, im Oktober 1625, stand General Tilly, der Feldherr der katholischen Liga, auf dem Berge. Der Turm der damaligen Windmühle ist als Zeitzeuge übrig geblieben. Heute gehört er zu einem Ausflugsrestaurant.

Der Unternehmer Johann „Kalkjohann“ Egestorff (1772 bis 1834) erwarb 1803 die Stukenbrocksche Kalkbrennerei und leitete mit dem Ausbau seiner Unternehmen die Frühindustrialisierung Lindens ein. Egestorff betrieb Kalköfen, Ziegeleien und Kohlehandel, sein Sohn Georg setzte die Geschäfte mit noch größerem Erfolg fort. So nahm er 1846 den Bau von Lokomotiven auf. Aus diesem Betrieb entwickelte sich die Hanomag.

Durch die Niederlassung metallverarbeitender Unternehmen wuchs Linden zum größten Dorf Preußens, ehe es zum 1. April 1885 Stadtrecht erhielt. Durch Zuwanderung und Eingemeindung wuchs die Bevölkerung bis 1913 auf 86.500 an. Im ehemaligen welfischen Königreich hatte nur das angrenzende Hannover selbst noch mehr Einwohner.

Ausgedehnte Industrie und hochverdichtetes Wohnen prägten das Leben in der Stadt Linden. Als Abhilfe gegen den Mangel an Erholungsräumen hegte Oberbürgermeister Lodemann schon vor 1914 den Plan zu einer ausgedehnten Parkanlage am Lindener Berg. Die städtischen Kollegien beschlossen für dort aber mehrheitlich den Bau eines musterhaften Sportparks.

Das Gelände des früheren Steinbruchs, uneben und abschüssig, diente der Lindener Jugend seit seiner Stilllegung als Abenteuerspielplatz. Um den Sportplatz fachgerecht anzulegen, holte der Magistrat sogar Erkundigung beim Deutschen Fußball-Bund ein. Der empfahl die Anlage eines Fußballfeldes als universelle Grundlage für alle Schulsportspiele – und natürlich die Beseitigung des Gefälles.

 

Der stillgelegte Steinbruch auf dem Lindener Berg mit Trinkwasser-Hochbehälter und Aussichtsturm, um 1910

 

Bürgerliche und proletarische Sportler an einem Strang

 

Die erforderlichen Mittel von 138.500 Mark waren bewilligt und die Bauarbeiten sollten im Herbst 1914 beginnen, doch vorher brach der Erste Weltkrieg aus. Nach Kriegsende stand die erste deutsche Republik vor der Herausforderung, den vielen zurückkehrenden Männern und den von der Rüstungsindustrie massenweise freigesetzten Arbeitskräften Beschäftigung und Verdienst zu verschaffen.

Auf einer Versammlung aller Lindener Turn- und Sportvereine am 8. Februar 1919 gaben Stadtvertreter offiziell die Pläne für einen Volkspark mit Spielplätzen bekannt. Die Freude in Sportlerkreisen war groß, denn die Stadt Linden hatte bis dato nur einen kleinen, in vielerlei Hinsicht ungeeigneten Sportplatz in der Salzmannstraße geschaffen.

Daher stellten die Lindener Sportvereine ihre eigenen Anlagen dem schulischen Sportunterricht zur Verfügung, obwohl diese nicht einmal für die eigenen Mannschaften ausreichten. Alle Flächen waren von der Stadt oder Privatleuten angepachtet, die Vereine blieben somit immer vom guten Willen anderer abhängig und konnten nach kurzen Kündigungszeiten des Geländes verwiesen werden.

In Linden existierten Anfang 1919 zwölf Spielplätze mit je höchstens 60 mal 100 m, in der Summe 72.000 m². Bei der damaligen Gesamtbevölkerung von rund 80.000 blieb pro Einwohner 0,9 m². Die damalige Mindestforderung des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen lag bei 3 Quadratmetern. Da sechs der Plätze in Vororten lagen, kam die Stadt demnach sogar nur auf einen halben Quadratmeter pro Kopf. Die Spielflächen in der Lindener Ohe lagen zudem im Überschwemmungsgebiet, waren damit im Frühjahr oft nicht bespielbar.

Da an den Sportanlagen in anderen Städten aus Unkenntnis der Planer häufig Mängel hafteten, wählte die Lindener Versammlung einen Ausschuss zur Vertretung ihrer Interessen unter Vorsitz des Schulrektors Hillebrecht, der die Pläne maßgeblich vorantrieb. Im Ausschuss waren folgende Vereine vertreten: Spielvereinigung Lindener Lehrer, Turn-Klub Linden, Spielvereinigung Viktoria, Arbeiter-Turnverein von 1898, MTV Linden von 1874, SV Alexandria, FV 1897 Linden und der Verein Arbeiterjugend. Bürgerliche und proletarische Vereine also, die im März 1919 zu einer gemeinsamen Resolution kamen, in der es u.a. hieß:

„Durch die Kürzung der Arbeitszeit und den frühen Geschäftsschluß ist die Ruhezeit verlängert und daher mehr Gelegenheit wie früher, sich in frischer Luft zu ergehen. Doch die Ermüdung nach der Arbeit will erst überwunden sein. Vielen fehlt die Entschlusskraft, die Ermüdung durch Bewegung in frischer Luft zu besiegen. Die Nerven sind erschlafft und verlangen einen besonderen Kitzel. Da lockt auf der einen Seite die träge, schädliche Ruhe in den dumpfen Wohnungen, auf der anderen Seite die Freudenstätten der Großstadt, die Gasthäuser und Kaffees mit leichter Musik und noch leichteren Verführungen, die Tanzlokale mit ihrer Sinnlichkeit, die Kinos mit sensationellen Darstellungen usw. Alle sind sie leicht erreichbar und darum stark besucht.

Für die Kinder aber bleibt die Straße! Dort sind sie dem Staube und den Gefahren des Verkehrs ausgesetzt. Zu rechten Jugendspielen, namentlich Ballspielen, fehlt ihnen ausreichender Platz; dennoch stören sie den Verkehr und durch den leider unvermeidlichen Lärm die ruhebedürftigen Erwachsenen in ihren Wohnungen. Nicht selten hört man das Schelten der Erwachsenen über die ,ungezogenen Kinder’, die doch in Wirklichkeit nichts anderes tun, als sich die unerlässliche Bewegung auf ihre Art zu verschaffen. Viele freilich werden durch den mangelnden Platz für regelrechte Spiele dazu getrieben, sich in den Ecken herumzudrücken, Knallkörper anzuzünden oder andere Dummheiten zu verüben, oder ihre überschüssigen Kräfte in regelrechten Straßenkämpfen zu versuchen.“

 

Idealplan vom Volkspark Linden, um 1914

 

Produktive Erwerbslosen-Fürsorge

 

Die voraussichtlichen Baukosten für den Sportpark hatten sich da durch den Verfall der deutschen Währung bereits mehr als verdoppelt. Die Bauflächen dienten noch als Schrebergärten der Ernährung der Bevölkerung in Zeiten des Hungers. Aus beiden Gründen verschob sich die Herstellung der Anlagen. Deren Ausführung setzten die Vertreter Lindens bei den Verhandlungen zur Eingemeindung nach Hannover als eine Bedingung durch.

Seit dem 1. Januar 1920 ist Linden Teil der ehemaligen Haupt- und Residenzstadt Hannover. Wenige Wochen zuvor begannen die Arbeiten nach den Plänen von Baurat Behrens durch die Lindener Stadtgärtnerei. Da man nicht wie befürchtet auf harten Steinuntergrund stieß, schien es noch im Februar 1920 möglich, mit 338.000 Mark auszukommen. Die charakteristische Tribüne entstand als aufgeschüttete Rampe mit einer Grundfläche von 69 mal 21 Metern. Aus hochkant gestellten Kiefernbohlen formten die Arbeiter 20 Stufen für Sitz- und Stehplätze.

Am 15. Oktober 1920 lagen die geschätzten Gesamtkosten schon bei einer Million Mark. Ohne Fördermittel aus der Erwerbslosenfürsorge wären weitere Arbeiten vorerst unterblieben. Vom 7. November 1920 bis zum 30. April 1921 fanden 80 männliche Erwerbslose über 21 Jahren für 192 Arbeitstage mit durchschnittlich acht Stunden Beschäftigung. Je vollem Arbeitstag gab es einen Zuschuss von 24 Mark, von dem der Arbeiter 10 Mark und weitere 6 bei zwei unterstützungsberechtigten Angehörigen erhielt. Die Hälfte der Kosten übernahm das Reich, ein Drittel der Staat Preußen, ein Sechstel die Gemeinde.

Ende April 1922 wurde das letzte Spielfeld begonnen und die Einfriedung fertiggestellt. Die Straße hinter dem Grünstreifen wurde erst 1926 angelegt und heißt seitdem „Am Spielfelde“, wobei der Name sich nicht etwa auf das Sportgelände, sondern auf einen viel älteren Flurnamen bezieht! Am 28. April 1922 beschloss der Magistrat von Hannover den Namen „Volkspark Linden“, um den Stadion-Begriff für die städtische Kampfbahn auf der Kleinen Bult, das heutige Eilenriede-Stadion, exklusiv zu halten. Der Volksmund einigte sich schon während der Bauzeit auf „Lindener Stadion“. Die Nachbewilligung von 250.000 Mark machte den Volkspark fast ebenso teuer wie das größere Stadion der Stadt Hannover.

 

Der Sportpark auf dem Lindener Berg, unterhalb davon die enge Wohnbebauung der Arbeiterviertel, um 1930

 

Eröffnung durch Arbeitersportler

 

Am 18. Juni 1922 wurden die Spiel- und Sportplätze der Öffentlichkeit übergeben. Wenige Wochen zuvor hatten bürgerliche Vereine das städtische Stadion von Hannover eingeweiht, in Linden begingen die ATSB-Vereine die Feierlichkeiten: der Arbeiter-Turnverein von 1898, der ATV Badenstedt, die Freien Turnerschaften von Limmer, Ricklingen und Davenstedt/Bornum sowie die Sportfreunde und der Ballspielklub Union Linden. Den Auftakt zum Fest bildete ein Umzug mit 900 Arbeitersportlern vom Lindener Markt auf den Festplatz südlich der Hauptkampfbahn.

Zu den sportlichen Vorführungen schrieb das SPD-Blatt "Der Volkswille": „Die Freiübungen der Kinder zeigten den nach Tausenden zählenden Zuschauern, daß die jüngste Generation sich der besonderen Liebe der Arbeiter-Sportvereine erfreut. Einwandfrei wurden die Uebungen vorgeführt. Nach den Kindern traten dann 200 Turner und 70 Turnerinnen auf den Plan, um die schwierigen und einzig schönen Freiübungen zum Bundesfest in Leipzig vorzuführen. Auch diese gelangen wunschgemäß.

Nach dem Abmarsch traten die leichtathletischen Wettbewerbe in den Vordergrund. Vorläufe über 100 und 400 Meter wurden ausgetragen, beachtenswerte Zeiten wurden von den sehnigen Sportlern und Turnern erzielt. Jeder gab sich Mühe, dem Gegner den Vorrang abzugewinnen. Nach den Läufen belebte sich der Platz durch Schlagball-, Faust- und Tamburinspiele, alles erstklassige und gelungene Propagandaspiele, die ihren Zweck wohl auf die Zuschauer erreicht haben dürften.

 

"Lebende" Choreographie des ATV Linden zu dessen 25-Jahr-Feier im Lindener Stadion, 1923

 

 

Einen würdigen Schluß der ganzen wohlgelungenen Veranstaltung, deren Hauptzweck es war, dem Fernstehenden die Vielseitigkeit der Arbeitersportbewegung vor Augen zu führen, bildete dann ein vorzüglich ausgeführtes erstklassiges Fußballspiel. Dieses sowohl wie sämtliche übrigen Spiele und Veranstaltungen werden der Einwohnerschaft gezeigt haben, daß auch die über die Achsel angesehenen Arbeitersportler in der Lage sind, Vorzügliches zu leisten.“

Das Eröffnungsspiel zwischen den beiden in Hannovers ATSB-Fußball erstklassigen Vereinen Sportfreunde und Union endete 2:2. Im 100-m-Lauf gewann Wildhagen vom ATV Badenstedt in 12,1 Sekunden. "Der Volkswille" rühmte die Qualität des Platzes und der ganzen Anlage, bedauerte aber, dass wegen der Schwierigkeiten der Zeit noch nicht alle Nebenplätze fertiggestellt werden konnten. Auch die Umkleiden und Toiletten fehlten noch.

„Könnten nicht mal die großen Fabriken, Hawa, Hanomag usw. Material usw. kostenlos für einen großen Umkleideraum zur Verfügung stellen, diese Firmen ,machen’ doch sonst viel in Sport-Reklame. Der Stadt wäre damit sehr geholfen und die Veranstaltungen könnten in noch größerer Ordnung und noch besser arrangiert werden. Die beiden Einbuchtungen in den Berg sind doch ideale Stellen für solche Baulichkeiten. Ebenfalls muß auf dem Platz ein alkoholfreier Ausschank vorhanden sein, auch dieses könnte einem Unternehmer evtl. übertragen werden, natürlich gegen genügende Sicherheit wegen Wuchergelüste.“

Die bürgerliche Presse Hannovers ignorierte die gutbesuchte Eröffnungsfeier, berichtete dafür aber eine Woche später von der "bürgerlichen" Einweihung durch Lindens ältesten Turnverein, den MTV von 1874, Mitglied der Deutschen Turnerschaft.

 

 

Ein Volkspark für Linden

 

Die Tribüne mit 20 Stufen, 700 Sitz- und 3.000 Stehplätzen war zur Einweihung fertig. 1923 entstand ein Umkleideraum. Die Errichtung von Toiletten, Waschräumen, Kartenhäuschen am Eingang, Sportgeräte und Werkzeuge für die Platzpflege verhinderte vorerst die Hyperinflation. Diese Mängel wurden bis 1928 behoben.

Die Verwaltung des Volksparks lag in den Händen des Ausschusses für Jugendpflege. Beim Entwurf der Benutzerordnung orientierte sich der Magistrat am Beispiel des städtischen Stadions in Hannover. Über die Vergabe an Schulen und Vereine entschied die Gartenbaudirektion, die dem Magistrat gegenüber die Anlage verantwortete. Im ersten Jahr wurde der Hauptplatz ausschließlich an Sonntagen offiziell bespielt. Um eine zu starke Abnutzung zu vermeiden, sollte der Hauptplatz nur für Punktspiele und stets unter Aufsicht eines Wärters genutzt werden.

„Die Erfahrung des Vorjahres hat gelehrt, daß die auf dem Platze spielenden Vereine mit wenigen Ausnahmen sich trotz unserer fortgesetzten Aufforderungen nicht im geringsten bemüht haben, irgendwelche Ordnung während der Spiele zu halten. Fortgesetzt betreten die Zuschauer die Anlagenflächen außerhalb der freigegebenen Sitz- und Stehplätze. Sogar die Kampffläche wird ohne Widerspruch der Spielleitungen ständig von Kindern und jungen Leuten betreten und belagert. Oft entwickeln sich dort wilde Spiele neben den eigentlichen Kampfspielen.

Auch die Spielenden selbst lassen es häufig an der allernötigsten Rücksichtnahme fehlen. So haben die Schlagballspieler des Turnvereins Jahn [kein ATSB-Verein, Anm. d. Verf.] es in diesem Winter, als der Boden der Kampffläche sehr aufgeweicht war, trotz dringender Aufforderung unsres Rasentechnikers Leffler abgelehnt, die Tore zu verlegen, was mit geringer Mühe zu bewerkstelligen war. Die Folge ist, daß der Grasnarbe ein nicht gut zu machender Schaden zugefügt worden ist.“

Die zwei Kinderspielplätze waren täglich überfüllt. Viele Kinder kamen nicht bis zum Sandkasten durch und spielten in den umliegenden Anlagen zu deren Schaden. Nach den Vorstellungen der Gartendirektion sollten die Kinder zu ihren Sportzeiten in geschlossenen Zügen erscheinen, denn das wenige Wachpersonal konnte die Kinder unmöglich alle „in Schach“ halten. Der Arbeitsauschuss widersprach, da es wenige andere Spielplätze gab und es sich beim Lindener Stadion schon dem Namen nach um einen Volkspark handelte.

Hatte das Stadion geöffnet, so tummelten sich auf seinen Spielplätzen Mannschaften und Vereine bürgerlicher, proletarischer und christlicher Verbände. Der ATV Linden, die katholische Deutsche Jugendkraft, der Arbeiter-Rad- und Kraftfahrerbund „Solidarität“, Schulen, Betriebe und andere trugen hier alljährlich Wettkämpfe und Meisterschaften aus. Für einen Teil des politischen Spektrums allerdings blieb das Lindener Stadion vorläufig tabu – nationalsozialistische Organisationen konnten sich hier erst ab 1933 schadlos blicken lassen.

 

Volkssport Fußball im Stadion Linden, um 1923

 

Hannovers einziges ATSB-Länderspiel

 

In der Weimarer Zeit wurden städtische Stadien nur in Ausnahmefällen von Fußballklubs angemietet. Üblicherweise spielten sie auf ihren eigenen Plätzen in ihren angestammten Vierteln, wo sie verwurzelt waren, und wichen in die kommunalen Arenen nur bei höherem Zuschauerandrang aus. Gut besuchte Derbys oder Spiele von Auswahlmannschaften gingen in Hannover bis 1922 für gewöhnlich in der Radrennbahn und später meist im Stadion an der Eilenriede über den Rasen. Wichtig waren die städtischen Stadien für Leichtathleten und deren Meisterschaften, da sie alle Aschenbahnen, Wurf- und Sprunganlagen aufwiesen.

Bis auf wenige Großereignisse lag das Lindener Sportfeld immer im Schatten des anderen städtischen Stadions. Sein Profil schärfte es durch Arbeitersport und politische Kundgebungen. Zum Ende der Weimarer Zeit, im Dezember 1931, bildete sich reichsweit die Eiserne Front. Drei parallele Pfeile stellten ihr Symbol dar. Sie standen für Aktivität, Disziplin und Einigkeit. Im Wesentlichen bestand die Eiserne Front aus der SPD und ihren Vorfeldorganisationen, darunter natürlich auch der Arbeiter-Turn- und Sportbund. Ziel war der Erhalt der Republik und damit die Verhinderung der Naziherrschaft.

Die zweite Front verlief gegen die KPD. Beide Arbeiterparteien bekämpften sich gegenseitig als „Sozialfaschisten“ bzw. „von Moskau gesteuert“. Zu den Appellen der Eisernen Front versammelten sich einige Male bis zu 30.000 Menschen im Lindener Volkspark. In die Wahlkampfzeit zur Reichstagswahl am 31. Juli 1932 fiel ein Fußball-Ländervergleich zwischen den Arbeiter-Auswahlen Deutschlands und Österreichs im Stadion am Lindener Berg. Im ATSB-Kader standen keine Spieler aus Hannover, dafür aus führenden Arbeiter-Vereinen wie TSV Nürnberg-Ost (ATSB-Meister 1930 und 1932), VfK Leipzig-Südwest und SC Lorbeer Hamburg (ATSB-Meister 1929 und 1931).

Zu diesen Spielern erklärte "Der Volkswille" am 1. Juli 1932: „Größtenteils haben sie schon in der Knaben- und Jugendmannschaft ihres Vereins gespielt und, obwohl in wirtschaftlicher Bedrängnis, allen Angeboten bürgerlicher Aufkäufer getrotzt. Einige Spieler sind als Vereinstechniker oder auf anderen Verwaltungsposten in der Fußballbewegung tätig und helfen dort als Amtsverwalter. Es sind also keine Eintagsfliegen und keine Sportler, die um eines wirtschaftlichen Vorteils wegen ihrer Bewegung untreu werden.“

Dies war ein Seitenhieb auf die ATSB-Internationalen Erwin Seeler und Alfons Beckenbauer, die kurzzuvor zu den DFB-Vereinen Victoria Hamburg bzw. Bayern München übergewechselt waren und damit in den Augen linker Sportideologen Verrat geübt hatten.

Das Rahmenprogramm zu Hannovers einzigem ATSB-Fußball-Länderspiel gestalteten 400 Leichtathleten und zwei Rugbyteams. 200 Ordner sicherten den reibungslosen Ablauf. Das Hauptspiel gewann die ATSB-Auswahl mit 5:4 gegen ihren Angstgegner Österreich vor 6.468 zahlenden Zuschauern, zuzüglich Freikarten sogar etwa 9000 Besuchern und damit wohl mehr als bei jedem anderen Fußballmatch in diesem Stadion.

 

Werbung für das Länderspiel gegen Österreich mit den drei Pfeilen der Eisernen Front

 

Kampfplatz für das "Rote Linden"

 

1932 wanderte Deutschland auf der Talsohle der Wirtschaftskrise. Am 30. Mai dankte die Regierung Brüning ab, die als letzte der Weimarer Republik über eine parlamentarische Mehrheit verfügt hatte. Die nachfolgende Minderheitsregierung unter Reichskanzler von Papen wurde durch die NSDAP toleriert, die dafür weitreichende Zugeständnisse erhielt. Die Aufhebung des SA-Verbots am 14. Juni 1932 forderte in den nächsten Wochen Hunderte Todesopfer unter den Gegnern der Nationalsozialisten.

Am 20. Juli 1932 setzte von Papen die preußische Regierung von SPD-Ministerpräsident Otto Braun ab. Durch den „Preußen-Staatsstreich“ verlor die SPD ihr vermeintliches „Bollwerk der Demokratie“, nämlich die Ausführungsmacht über den mächtigsten deutschen Verwaltungsapparat. Als Reichskommissar übernahm von Papen selbst die Macht im Freistaat Preußen, zu dem auch Hannover und Linden gehörten.

Dort ging an jenem 20. Juli das Gerücht um, die Eiserne Front werde am Abend im Lindener Stadion das Signal zum aktiven Widerstand gegeben. Im überfüllten Stadion blieb das erwartete Zeichen aus. Die Eiserne Front verharrte im Zustand der Bereitschaft. Zum Generalstreik, wie 1920 gegen den Kapp-Putsch, fehlte den linken Gewerkschaften diesmal die Bereitschaft.

Die eigene Hilflosigkeit wurde mit Zeitungsartikeln und Durchhaltereden überdeckt, die immer wieder die eigene Stärke beschworen. Die letzte Kundgebung vor der Reichstagswahl erlebten am 30. Juli 1932 wiederum schätzungsweise 30.000. Zunächst stimmte ein 3:2 zwischen den ATSB-Kickern von Freier Turnerschaft Kleefeld und FSV Wacker die Besucher ein. In der Halbzeitpause zeigten Radsportler einen „6er Farbenreigen Schwarz-Rot-Gold“, nach dem Spiel fanden Läufe statt. Fackeln erhellten die zunehmende Dunkelheit.

 

 

Zu den schneidigen Märschen der Kapellen von Reichsbanner und Arbeiterjugend trugen Genossen die Fahnen der Republik und sozialdemokratischer Organisationen herein und brachten sie neben dem Rednerpult in Aufstellung. Die Badenstädter Abordnung präsentierte gar zwei museale Raritäten: einer Fahne aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und das erste Banner der Badenstädter Arbeiterschaft von 1872. Als Redner traten Vertreter sozialdemokratischer Gewerkschaften auf. Tausende vernahmen die Übertragung aus Riesenlautsprechern. Im Wahlappell beklagten die Redner erneut die Politik des Sozialabbaues bei gleichzeitigen Millionengeschenken an die Großunternehmer, mit der von Papens „Kabinett der Barone“ die Wünsche Hugenbergs und Hitlers erfüllte.

„Unter den Klängen des Eisernen-Front-Marsches marschierten dann die Sportlerinnen und Sportler zu drei Pfeilen auf. Phantastisch war der Anblick des Flammenschwingers. Und im Hintergrunde verbrannten die Reichsbannerkameraden ein riesiges Hakenkreuz. Krachend brach es zusammen. Doch plötzlich standen auf den Trümmern dieses Sklavensymbols die Bannerträger der neuen Zeit. Im roten Licht schwangen sie die Fahnen der Freiheit, unter denen wir marschieren.“ ("Der Volkswille" vom 31. Juli 1932)

Zeitgleich zu dieser Veranstaltung führte die NSDAP ihren Wahlkampfabschluss im ebenfalls vollbesetzten Stadion der Stadt Hannover durch. Die Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 machte die NSDAP erstmals zur stärksten Fraktion. Im Kreis Linden lag die SPD mit 10.996 Stimmen nur noch knapp vor der NSDAP (10.471). Die KPD errang hier 3.017 Stimmen. "Der Volkswille" feierte das Ergebnis dennoch als klare Niederlage Hitlers und als deutliches Bekenntnis des deutschen Volkes gegen das Dritte Reich.

Zum Verfassungstag am 11. August 1932 lehnten es die Vertreter der bürgerlichen Sportbewegung ab, noch einmal unter den Farben der dahinschwindenden Republik anzutreten. Zur vom Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und dem Arbeiter-Sportkartell durchgeführten Feier war das Lindener Stadion noch einmal überfüllt. Die Massen stauten sich neben der vollbesetzten Tribüne und um die Laufbahn herum.

"Der Volkswille" schrieb wiederum von der größten und imposantesten Kundgebung, die das Linden je erlebt hatte. Immer wieder ertönte der Kampfruf „Freiheit!“ Zehntausende bekundeten noch einmal ihre Sympathie für die längst historische Braun-Severing-Regierung und für die Fahne der Republik, die am letzten Verfassungstag nur noch spärlich an öffentlichen Häusern und Plätzen aufgezogen wurde.

 

Verfassungsfeier der Eisernen Front am 12. August 1932 im Stadion Linden

 

Das Stadion wird zur Schlageter-Kampfbahn

 

Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Zum 1. Februar wurde der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen zum 5. März angesetzt. Der folgende Wahlkampf überbot in Hannover die Gewalttätigkeiten der vorangegangenen noch. In den folgenden Wochen fanden auch in Linden immer häufiger Nazi-Veranstaltungen statt. Hierbei übernahm die SA Polizeiaufgaben und räumte die Straßen von Nazi-Gegnern.

Am 19. Februar marschierten SA, SS und HJ mit Fahnen und Musik unter Polizeischutz erstmals durch Linden, vom Klagesmarkt über den Schwarzen Bären zum Lindener Stadion. Hier sprachen NSDAP-Kreisleiter Bakemeier und Reichstags-Abgeordneter Berthold Karwahne und forderten die Arbeiter auf, sich von ihren sozialistischen Führern zu trennen, um sich dem „Arbeiter Adolf Hitler“ anzuschließen. Die Eiserne Front mobilisierte am selben Tag noch einmal 45.000 Menschen zu einer Kundgebung auf dem Klagesmarkt. Am anschließenden Zug durch die Südstadt beteiligten sich nach Polizeiangaben bis zu 35.000 Menschen.

Am 3. März fand mit dem Wahlkampf-Abschluss im Lindener Stadion die letzte öffentliche Kundgebung der Eisernen Front in Hannover statt. Auf Weisung des Polizeipräsidenten erging an den Spitzenkandidaten Richard Partzsch ein Rede- und Teilnahmeverbot.

Mit dem sogenannten Ermächtigungsgesetz, das am 23. März 1933 mit 444 Ja- zu 94 Gegen-Stimmen vom Reichstag beschlossen wurde, erhielt Hitler die absolute Macht. Am 1. April besetzten SA-Leute in ganz Hannover die Plätze der Arbeitersportler. Spätestens damit endete die Geschichte des Lindener Stadions als Schau- und Kampfplatz der Arbeiterbewegung.

Auf Antrag der Rathausfraktion der NSDAP wurde der Lindener Volkspark am 26. Mai 1933 nach dem 1923 in Düsseldorf hingerichteten Freikorpskämpfer Albert Leo Schlageter benannt. Eine Feier im Stadion zu diesem Anlass gab es erst am 26. Mai 1934 mit der Weihe des Schlageter-Gedenksteins durch den Deutsche Leichtathletik-Verband. Wenige Monate später wurde das griechische Wort „Stadion“ durch die reindeutsche Wortschöpfung „Kampfbahn“ ersetzt, die Bezeichnung „Schlageter-Kampfbahn“ ab dem 28. August 1934 im offiziellen Gebrauch und für die Presse verbindlich.

 

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© Christian Wolter

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