Widerstand im Verein

 

Das Verbot des Arbeitersports 1933 bedeutete das Ende der meisten Arbeitersportvereine, indem sie sich selbst auflösten, behördlich verboten oder  ihnen mit den Sportanlagen die Existenzgrundlage entzogen wurde. Einige Sportgemeinschaften aus ATSB und KG durften aber weiterbestehen. Dazu mussten sie Vertreter von NS-Organisationen als Fürsprecher und Bürgen gewinnen sowie die neuen Einheitssatzungen mit Arier-Paragraph und Führerprinzip übernahmen. Üblicher war es, sich als Arbeitersportler benachbarten "unpolitischen" Sportclubs anzuschließen. Es kam aber auch vor, sich in den kommenden Monaten und Jahren unter neuem Namen zu reorganisieren.

So existierte Sparta Lichtenberg weiter als SC Empor, unter dessen Dach sich zahlreiche namhafte Arbeitersportler und Antifaschisten sammelten: Erwin Nöldner, Johannes Zoschke, Felix und Käthe Tucholla sowie der wegen seiner sportlichen Erfolge als Ringer wohl bekannteste von ihnen, Werner Seelenbinder, der bei Empor Fußball als Ergänzungssport betrieb. 

 

Festakt zur Umbenennung des Stadion Neukölln in Werner-Seelenbinder-Kampfbahn, 29. Juli 1945

 

Subversive Tätigkeiten eines derartigen antifaschistischen Sportvereins schildert ein Gedächtnisprotokoll aus dem Fundus des Museum Lichtenberg. Wenn es darin auch um einen Schwimmverein geht, so dürfte vieles davon auf einen Tarnverein wie Sparta/Empor übertragbar sein:

Nach der Selbstauflösung des ASV Fichte Berlin Anfang 1933 beschlossen Schwimmer der Fichte-Abteilung 58, unter den neuen politischen Bedingungen zusammen zu bleiben. So entstand der Schwimmclub Undine von 1930. Die Rückdatierung sollte den Anschein einer bereits länger bestehenden Gruppe erwecken. Als Vorsitzendem wählte man mit dem namentlich nicht genannte Gedächtnis-Protokollanten ein bei Polizei und Gestapo noch unbeschriebenes Blatt. Die alte Trainingsstätte, wo man als kommunistische Gruppe wohlbekannt war, galt es nun strikt zu meiden. Als neuer Treffpunkt diente das Flussbad Wilhelmstrand in Oberschöneweide, dessen Pächter Karl Faber (1944 Tod durch Bombenangriff) zwar etwas ahnte, aber nicht weiter nachfragte. Im Herbst 1933 forderte die Gauleitung des Deutschen Schwimmverbandes alle Badbetreiber auf zu überprüfen, ob sich illegale Gruppen verbotener Organisationen bei ihnen aufhielten, um diese gegebenenfalls zu melden. Im vertraulichen Gespräch mit den Undine-Schwimmern riet Karl Faber daher, durch Verbands-Beitritt Legalität zu erlangen.

Nach Ausarbeitung einer unverfänglichen Legende stelle "Undine 1930" beim Deutschen Schwimmverband den Antrag auf Aufnahme. Wie üblich folgte eine Bekanntmachung im DSV-Zentralorgan, um Vereinen mit Namensgleichheit Gelegenheit zum Einspruch zu geben. So meldete sich der Berliner Schwimmklub Undine von 1895, der den Neulingen einen Zusammenschluss anbot. "Da ein Teil unserer Mitglieder politisch noch nicht so gefestigt war, wollten wir so weit wie möglich sie der faschistischen Ideologie entziehen," heißt es in den Erinnerungen, und dass der Vorsitzende der älteren Undine ganz offen darauf hinwies, dass sein Verein lediglich 25 Mitglieder zählte, die Undine von 1930 jedoch 120 und auch nach Beitritt die Mehrheit hätte. Folgerichtig kam es im Januar 1934 zum Zusammenschluss, gleichbedeutend mit einer kommunistischen Übernahme. Daraus folgende Spannungen mit Altmitgliedern sind nicht überliefert.

 

Gedenkkundgebung für die Opfer des nationalsozialistischen Terrors in der Werner-Seelenbinder-Kampfbahn in Berlin-Neukölln am 9. September 1945

 

Bis Herbst 1934 hielt die antifaschistische Zelle im Verein noch Kontakt zur illegalen Roten Sporteinheit, bezog verbotene Literatur und illegale Solidaritätsmarken durch den Verbindungsmann Erhard Stoll aus Berlin. Mit den Brüdern Harry und Heiner Salinger verkehrten satzungswidrig zwei Juden als gleichberechtigte Mitglieder im Verein. Harry Salinger flog Anfang 1934 wegen Tätigkeit für den illegalen Kommunistischen Jugenverband KJVD auf. Er überlebte die Gefängnishaft nicht. 

Der Genosse Alfred Brunat aus Karlshorst wurde 1934 trotz politischer Vorstrafe aufgenommen. Weitere wegen kommunistischer Betätigung vorbestrafte Vereinsmitglieder waren Paul Ode (zu DDR-Zeiten bei der Wasserschutzpolizei), Heinz Gröning, (später SED-Parteisekretär beim Rat der Stadtbezirks Lichtenberg), Hans Gögge (DDR-Ministerium für Bauwesen) und der im Krieg gefallene Kurt Gögge.

1938 kam es zur Verhaftung von Werner Gladosch aus Lichtenberg, der beim Osterausflug seines Vereins in die Sächsische Schweiz illegale Literatur aus Böhmen geholt hatte. Weil ihn die sudetendeutschen Genossen nicht kannten, musste er "als Sicherheit" seinen Ausweis dort lassen. Nach der Besetzung des Sudetenlandes 1938 fiel dieser durch Verrat in Gestapo-Hände. Der Undine-Vorsitzende wurde in dieser Angelegenheit mehrmals verhört und eine Aufstellung aller Vereinsmitglieder von ihm verlangt.

"Ich fuhr sofort nach Hause und nahm die Karteikarten mit zur Vorlage. Vorher entfernte ich alle verdächtigen Mitglieder, insbesondere die, welche vorbestraft waren. Die Genossen Ode ind Brunat ließ ich bewusst in der Kartei, da dieselben nach meinem Dafürhalten zu bekannt waren. Prompt nach einigen Tagen erhielt ich eine Vorladung und es wurde mir aufgetragen, diese beiden aus dem Verein auszuschließen, da sie nicht tragbar seien. Formal wurde ihre Mitgliedschat gestrichen aber sie blieben trotzdem weiterhin im Verein. Werner Gladesch wurde verurteilt und erhielt Probebewährung und auch er blieb weiterhin Mitglied unseres Vereins."

Auch in der Jugendarbeit blieb "Undine" den antifaschistischen Prinzipien treu. Es gab Diskusionsabende und Buchbesprechungen mit vertrauenswürdigen Jugendlichen  in Privatwohnungen und bei Wanderungen am Wochenende. "Auch nahmen wir Jugendliche auf, die auf Nachfrage, ob sie Mitglied der HJ seien, dieses verneinten und mir erklärten, dass sie von ihren Eltern den Hinweis erhielten, dss sie in unserem Verein nicht Mitglied der HJ zu sein  brauchten. Ca. 95 % unserer Jugendlichen waren nicht Mitglied der HJ, trotzdem sie dann zu offiziellen Schwimmfesten nicht starten konnten. Sie verzichteten lieber auf den Start als Mitglied der HJ zu werden."

 

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© Christian Wolter

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