Groundhopping - Deutsche Fußballstadien mit Arbeitersport-Tradition

 

In den Hochzeiten des Arbeiterfußballs rollte der Ball allsonntäglich über hunderte Plätze in ganz Deutschland. Hier wollen wir mal nachschauen, welche dieser Felder heute noch von prominenten Vereinen bespielt werden. Fangen wir dazu in der 4. Liga an und arbeiten uns hoch bis in die Beletage, die 1. Bundesliga.

 

In der Regionalliga Nord geht das Lübecker Stadion Lohmühle auf die ATSB-Vereine ATSV und BSV Vorwärts 1919 zurück. Nach Verbot und Enteignung 1933 wurde der Platz, damals noch mit Laufbahn, der Sportvereinigung der Polizei zugewiesen und in Adolf-Hitler-Kampfbahn umbenannt. Nach 1945 ging er an den wiedererstandenen ATSV (heute TuS Lübeck 1893) über. Im selben Jahr gründete sich der VfB Lübeck als Rechtsnachfolger von Vorwärts und Polizei-Verein, wobei die Jahreszahl im Emblem 1919 sich auf den Arbeiterverein bezieht. 

Die II. Mannschaft von Hannover 96 spielt im Eilenriede-Stadion, das in der Weimarer Zeit häufiger Ort von Arbeitersport-Veranstaltungen war. Nach 1963 gab es hier sogar einige Spiele der 1. Bundesliga. Von 2012 bis 2016 gastierte Hannovers Zweite im Beeke-Stadion der Sportfreunde Ricklingen. Dis sei erwähnt, da die Sportfreunde direkter Nachfolger der Freien Turnerschaft Ricklingen von 1906 sind, die das heutige Gelände 1924 pachtete und aus eigener Kraft zu einem behaglichen Vereinsplatz ausbaute.

 

Das Eilenriede-Stadion in Hannover auf einer Postkarte um 1930

 

Kommen wir nun zur Regionalliga Nordost. Wohl alle vor 1933 eröffneten Kommunal-Stadien in Deutschland erlebten Arbeitersport-Veranstaltungen, denn der ATSB war den anderen Sportverbänden in der Weimarer Zeit rechtlich gleichgestellt. Üblicherweise nahmen die Arbeitersportler auch an den Eröffnungsfeiern teil, und zwar fast immer mit jeweils eigener Veranstaltung, wie auch im Falle der Mitteldeutschen Kampfbahn in Erfurt; die ATSBler feierten hier die Eröffnung am 17. Mai 1931 vormittags, u.a. mit Fußball. Zur zweiten Weihe zogen am Nachmittag dann die Sportler der anderen Verbände ein.

Bei den Berliner Staffel-Teilnehmern werden wir gleich viermal fündig. Der BAK 07 spielt im Post-Stadion, wo am 16. Dezember 1928 das einzige ATSB-Länderspiel in Berlin stattfand, Deutschland – Österreich 3:6 (1:4) vor 3308 Zuschauern. Bekannt war das Post-Stadion in der Zwischenkriegszeit vor allem als Heimstätte von Tennis-Borussia. Die Deutsche Post als damaliger Eigentümer vermietete es aber auch tageweise an Arbeitersportvereine wie die Freie Turnerschaft Groß-Berlin (ATSB) und an Rot-Sport-Vereine wie den ASV Fichte, die FT Neukölln-Britz und FT Lichtenberg, die hier 1931 auch ihre gemeinsame Jubiläumsfeier ausrichteten. 

 

13. Kreis-Turn- und Sportfest der Berliner Arbeitersportler am 25. und 26. Juni 1927 im Post-Stadion

 

Der BFC Dynamo spielt bekanntlich im 1952 eröffneten Jahn-Stadion. Das Gesamtgelände hat eine Vorgeschichte als Exerzierplatz "Einsame Pappel", auf dem schon seit 1890 auch der Fußball rollte. Auf den heutigen Nebenplätzen tummelten sich von 1919 bis 1933 ATSB- und KG-Vereine (Fichte, ASV 24, BFC Nordiska 1913, BSC Teutonia 09, Freie Turnerschaft Groß-Berlin) mindestens so zahlreich wie die lokale DFB-Konkurrenz.

Auch die eigentliche BFC-Heimat, das Stadion im Sportforum Hohenschönhausen, weißt solche Tradition auf. Der Platz ist nämlich bedeutend älter als die Ränge und existierte wohl schon vor dem Ersten Weltkrieg. Auf dem damals sehr einfachen Sportplatz kickten außer DFB-Vereinen wie BFV Ost 1919 und der Betriebs-Elf der benachbarten Schultheiss-Patzenhofer-Brauerei auch Arbeiterfußballer, z.B. die Fichte-Abteilung XXIII (Hohenschönhausen) und der Berliner SV von 1922.

 

Die Bremer ABTS-Kampfbahn (heute Weser-Stadion) bei der Mai-Feier der Arbeitersportler 1927

 

Für das Stadion Lichterfelde, Heimplatz des FC Viktoria 89, lässt sich historisch der ATSB-Verein FSV Berlin XII nachweisen, der seine Heimspiele aber vermutlich nur auf einem Nebenplatz austrug.

Herausragend in dieser Staffel ist das heutige Karl-Liebknecht-Stadion des SV Babelsberg 06, denn es wurde mitsamt Nebenplatz nach dem Ersten Weltkrieg von den Arbeitersportlern der Freien Turn- und Sportvereinigung Nowawes 1894 im Schlosspark Babelsberg angelegt.

 

Sagenhafter Doppelpack: Das Stadion "Rote Erde" und dahinter das Westfalenstadion. Vielen Dank für dieses Bild an thorsten-bachner.de!

 

In der Regionalliga West hält platztechnisch die II. Mannschaft von Borussia Dortmund unsere Tradition hoch. Das legendäre Stadion Rote Erde, einst eine der größten Arenen Deutschlands, wird heute haushoch vom benachbarten Westfalenstadion überragt. Als städtisches Stadion war auch die "Rote Erde" regelmäßiger Schauplatz von Arbeitersport-Veranstaltungen.

 

35.000 Besucher zählte das Stadion "Rote Erde" bei der Eröffnungsfeier der Arbeitersportler am 13. Juni 1926!

 

Die 3. Bundesliga bietet mehrere frühere Arbeitersport-Hotspots. Zunächst das auf unserer Seite bereits vorgestellte Rostocker Volksstadion auf dem Gelände des Ostsee-Stadions. Das einstige "Stadion der Arbeitersportler" erhielt erst 1933 seinen heutigen Namen. Heute nutzt es der FC Hansa für seine Nachwuchsarbeit. Zu DDR-Zeiten trug hier aber auch die I. Mannschaft Punkt-, Pokal- und internationale Spiele aus.

Das Stadion der Freundschaft in Cottbus erlebte als damals städtisches Stadion 1932 das Endspiel um die Ostdeutsche Verbandsmeisterschaft des ATSB (FT Cottbus 93 – FSVgg. Eintracht Reinickendorf-West 4:3, 3.800 Zuschauer) und das anschließende Halbfinale um die ATSB-Meisterschaft (FT Cottbus 93 – VfK Leipzig Südwest 92 4:3).

 

 

Arbeitersport gab es auch in der Hallenser Mitteldeutschen Kampfbahn, dem Vorgänger des Kurt-Wabbel-Stadions und Vor-Vorgänger des heutigen, an selber Stelle befindlichen HFC-Stadions, z.B. 1927 ein Handball-Länderspiel zwischen den Auswahlen von ATSB und ASKÖ (6:8 vor 3000 Besuchern) sowie diverse Sportfeste wie oben der Reichs-Arbeitersport-Tag im Mai 1926.

Im Sechzgerstadion an der Grünwalder Straße spielte am 11. Juli 1926 die Arbeiter-Auswahl München gegen den FBC Milano 1:1 vor 5000 Zuschauern.

 

Die Münchener Arbeiter-Auswahl gegen den FBC Milano, 1:1 am 11. Juli 1926 vor 5000 Zuschauern

 

Und dann fanden wir noch einen Hinweis auf Arbeiterfußball im Fritz-Walter-Stadion! Laut "Freie Sport-Woche" vom 29. Juni 1927 spielte in Kaiserslautern eine lokale Arbeiter-Auswahl gegen einen F.C. Paris 2:2: "Große Menschenmassen umsäumten den Platz. Aus der ganzen Pfalz strömten die französischen Soldaten, ihre Landsleute zu begrüßen, trotzdem es Arbeitersportler waren. Das obere Bild bezeugt dies." Es fehlen zwar Angaben zu Datum und Platz, als Spielort in Frage kommt nach Meinung der Experten aber nur der Betzenberg, schon damals die Heimat des 1. FC Kaiserslautern!

 

 

Auch in der 2. Bundesliga kommen zunächst auch die ehemaligen Kommunalstadien in Betracht.

Überraschung in Köln: das Müngersdorfer Stadion beherbergte 1926 das 1. Westdeutsche Arbeiter-Turn- und Sportfest. In dessen Rahmen fand am 8. August das Spiel der Kölner Arbeiterauswahl gegen Moskau statt. Resultat: 12:2 für die Russen, Zuschauerzahl je nach Quelle 30.000, 50.000, 70.000! Einigen wir uns vielleicht auf die Mitte, was immer noch so ziemlich der höchste Besucherstand beim Arbeiterfußball in Deutschland wäre!

Das Stadion Altona, Vorgänger des Volkspark-Stadions, erlebte am 11. Mai 1930 das Bundes-Halbfinale Bahrenfelder SV 1919 – TV I Steinach (7:1, 8000 Zuschauer) und vermutlich weitere ATSB-Events. Die meisten großen Arbeiter-Spiele fanden in Hamburg allerdings bei Victoria statt. Am 27. November 1932 begrüßte auch der HSV-Platz am Rothenbaum Arbeiterfußballer (und 8000 Zuschauer) beim Hamburger Endspiel VfL 05 – SC Lorbeer (5:4). Diese Veränderung resultierte vermutlich daher, dass der SC Victoria Hamburg sein Stadion vorher für eine Großkundgebung mit Hitler an die NSDAP vermietet hatte.

 

Titelblatt des "Nord-Sport" Nr. 37/1927, beim dargestellten Stadion könntte es sich um das in Altona handeln.

 

Im Wedau-Stadion fand eine Eröffnungsfeier des Duisburger Arbeitersport-Kartells statt, der alljährliche Reichs-Arbeitersporttag und weitere proletarische Veranstaltungen. Es ist anzunehmen, dass in Aue auch der städtische Sportplatz in situ des heutigen Stadions von Arbeitersportlern genutzt wurde.

 

Arbeitersportler-Lauf im Wedau-Stadion, Juni 1926

 

Hervorzuheben ist die Dresdner Illgen-Kampfbahn mit vier Bundes-Endspielen (1924 bis 1927) und vier ATSB-Länderspielen, darunter das erste Heimspiel (Deutschland – Frankreich 4:1 am 17. Oktober 1924, 20.000 Zuschauer) sowie das erste Europameisterschafts-Spiel am 25. September 1932 gegen Österreich (0:1) vor etwa 30.000 Zuschauern!

Die heutige Bielefelder Alm war zwar ein Privat-Platz, aber am 28. Juni 1929 fand vermutlich dort, auf dem damaligen Sportplatz West, das ATSB-Länderspiel Deutschland – Österreich (2:2, 7746 Zuschauer) statt.

 

Die Dresdner Ilgen-Kampfbahn um 1924

 

Wegen jüngerer Errichtung auf der grünen Wiese fällt in der 1. Bundesliga schon mal vieles für unsere Betrachtung weg. Anders in Düsseldorf, denn am heutigen Spielort der Fortuna, nur leicht nach Süden verschoben, stand einst das Rhein-Stadion, das in seinem Portfolio z.B. das 1. Westdeutsche Rot-Sport-Fest mit 15.000 Sportlern und 60.000 Zuschauern (13. Juli 1930) aufzuweisen hat. Das Bremer Weser-Stadion hat in seiner Vorgeschichte als ABTS-Kampfbahn u.a. das Bundesauswahl-Spiel gegen England (0:4 am 4. August 1929, 8615 Zuschauer) anzubieten.

 

Das Frankfurter Waldstadion zur 1. Arbeiter-Olympiade 1925

 

Kommen wir nun zu den Medaillenrängen: Das Berliner Olympia-Stadion steht zum Teil auf dem Boden des Vorgängers von 1913, dem Deutschen bzw. Grunewald-Stadion. Hertha BSC spielt damit immerhin teilweise auf historischem Arbeitersport-Gelände, da hier 1928 das Bundes-Endspiel (Adler 08 Pankow ASV Frankfurt-Westend 5:4) sowie über Jahre der jährliche Reichs-Arbeitersporttag durchgeführt wurde. Das Stadion von Eintracht Frankfurt war 1925 als frisch eröffnetes Waldstadion Austragungsort der 1. Arbeiter-Olympiade. Und schließlich haben wir als historischen Zeitzeugen noch das Nürnberger Stadion mit zwei Bundes-Endspielen (1930 und 1032) sowie dem 2. Deutschen Arbeiter-Turn- und Sportfest 1929!

 
Anstecker zum 2. Arbeiter-Turn- und Sportfest 1929 (vergrößert); dasNürnberger Stadion ist deutlich an seiner heute noch achteckigen Form zu erkennen.

 

Alles in allem sind in den oberen Fußball-Ligen also noch etliche frühere Betätigungsorte der Arbeitersportler in Gebrauch. Die Mehrzahl an Arbeitersportplätzen findet sich aber natürlich in den unteren Ligen, wie der heutige Alfred-Kunze-Sportpark von Chemie Leipzig, das Friedrich-Ebert-Stadion in Hildesheim und sicherlich auch der eine oder andere Platz in Deiner Nähe!

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© Christian Wolter

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