Vor dem Zerfall gerettet – Die Fahne des ATV Güstrow

 

Dank einer Spendenaktion konnte die historische Vereinsfahne des Arbeiter-Turnvereins Güstrow gerettet werden. Damit erstrahlt eines der ältesten Zeugnisse des lokalen Vereinssports in fast neuem Glanz.

Dieses Banner stellt eine Rarität da, weil viele ihrer Art in der NS-Zeit beschlagnahmt und vernichtet wurden. Außerdem besteht sie aus zwei verschiedenen und zusammengefügten Seiten, was ungewöhnlich ist.

 

 

Die Rückseite, hier vor der Restaurierung, zeigt das 1907 eingeführte Verbandswappen mit dem Arbeiterturner-Kreuz, den Vereinsnamen und gründerzeitliche Ornamentik.

Laut "Mecklenburgischer Volks-Zeitung" vom 22. September 1920 war die Fahnenweihe am Sonntag den 19. September 1920. Zu diesem Anlass empfing der ATV eine Hamburger Abeiter-Mannschaft, die 4:1 gewann. 

 

 

Der Turner auf der Vorderseite (zu erkennen an den Ösen zur Befestigung, die am linken Rand sitzen) trägt auf seinem Trikot ebenfalls das sozialistische Turnerkreuz, das auch auf seinem Schild erkennbar ist. Die Buchstaben F, F, S und T stehen  für "Frisch, Frei, Stark, Treu".

 

 

Auf der hellen, seidigen Rückseite ist als Hersteller die Bonner Fahnenfabrik BOFA eingestickt. Sie besteht noch heute, das Firmenarchiv ging allerdings im Zweiten Weltkrieg verloren. Die Vorderseite aus rotem Samtstoff enthält keine Herstellerangabe.

 

 

Bei der Sanierung wurden Fehlstellen nicht ersetzt, sondern der Fahnengrund verstärkt und lose Stellen auf ihm mit dreifach gedrehtem Seidenfaden vernähnt. Dadurch behielt die Relique ihre historische Authentizität.

 

 

Von der in 100 Jahren eingedunkelten Vorderseite grüßt der Turner nun wieder in frischer weißer Kluft vor dem satten Rot der Arbeitersport-Bewegung. Fest und klar prangt wieder die Aufschrift: "Ein freies Volk voll Einigkeit und Kraft sei das Panier der freien Turnerschaft." Kringel und Eichenlaub prunken so gülden wie einst:

 

 

Chronologie der Fahne der Güstrower Arbeiterturner
 

  • Frühjahr 1894: Gründung des Arbeiter–Turn–Verein Güstrow
  • 19. September 1920: Fahnenweihe mit dem Spiel ATV Güstrow Hamburger Mannschaft 1:4 (0:1)
  • 22. bis 25. Juli 1922: Teilnahme mit Vereinsfahne am I. Arbeiter-Turn- und Sportfest in Leipzig, Fahnenträger war Erich Ohde.
  • um 1925: Umbenennung in ATSV Güstrow
  • 1933 Verbot und Enteignung, aber die Fahne übersteht in ihrem Versteck unbeschadet die Nazizeit.
  • 1946 wird sie in Ludwigslust vom Arbeiterturner Jürgen Nonnenprediger auf einem LKW entdeckt und sichergestellt.
  • Anlässlich einer Güstrower Spartakiade zwischen 1965 und 1969 vermachen Ludwigsluster Sportfreunde die ATV-Fahne dem Güstrower Heimatmuseum.
  • 1970: Das Museum übergibt sie den Eheleuten Fritz und Ilse Dieckmann als Auszeichnung für deren Verdienste um das Güstrower Geräteturnen. 
  • Das Heimatmuseum Güstrow überreichte in diesem Jahr die geschichts-
  • 1970 trächtige Turnerfahne an das bekannte Turnerehepaar Dieckmann.
  • „Fritz“ und Ilse Dieckmann hatten große Verdienste an der Entwicklung
  • und Förderung der Sportart Gerätturnen. Diese Sportart wurde eine
  • Traditionssportart in Güstro
  • 1970 trächtige Turnerfahne an das bekannte Turnerehepaar Dieckmann.
  • „Fritz“ und Ilse Dieckmann hatten große Verdienste an der Entwicklung
  • und Förderung der Sportart Gerätturnen. Diese Sportart wurde eine
  • Traditionssportart in Güstrow
  • 1978: "750 Jahre Güstrow" im Festumzug wird die Fahne erstmals seit dem Verbot des Arbeitersports wieder durch die Straßen der Stadt getragen.
  • 1996: Ilse Diekmann übergibt das kostbare Stück zurück ans Stadtmuseum.
  • September 2016 bis 12. Mai 2017: Beginn und erfolgreicher Abschluss der Fahnen-Sanierung 

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Quellen und Links

  • Für die Informationen bedanken wir uns bei Uwe Zicker und Rudi Schröder von der "Unabhängigen Vereinigung Güstrower Sportchronisten"
  • Fotos: Stadtmuseum Güstrow, besten Dank!
  • Mecklenburgische Volkszeitung vom 22. September 1920
  • "Turnerfahne vor Verfall bewahrt" – Schweriner Volkszeitung vom 8. September 2016
  • Fahnen-Restaurierung: Eva Kümmel, Lübeck

 

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© Christian Wolter

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