Der Arbeitersport vertrat die Philosophie, den arbeitenden Massen Gelegenheit zur sportliche Betätigung zu bieten. Im Vordergrund stand also der Breitensport als Mittel zur sinnvollen proletarischen Freizeitgestaltung und als gesundheitsfördernder Ausgleich zur oft körperlich schweren Erwerbstätigkeit. Trotzdem war der Arbeitersport aber auch Zuschauersport, denn die Zahl der Zusehenden lag vor allem beim Fußball üblicherweise über jener der Aktiven.
Entwicklung des Zuschauerinteresses
Die erste vierstellige Zuschauerzahl im Arbeiterfußball kam am 10. März 1912 zustande beim Auswahlspiel Nord-Berlin gegen Süd-Berlin (3:4), zu dem sich auf dem Schebera-Platz in Berlin-Gesundbrunnen erstmals etwa 1000 Besucher einfanden.
Das erste Bundesfinale, ausgetragen am 20. Juni 1920 zwischen TSV Fürth und TSV Süden Forst (3:2), zog 5000 in den Bann. Das DFB-Endspiel 1. FC Nürnberg gegen Spielvereinigung Fürth drei Wochen zuvor hatte allerdings die siebenfache Menge angelockt. Der DFB-Fußball blieb über die gesamte Weimarer Zeit dem ATSB- und KG-Fußball zahlenmäßig überlegen, hinsichtlich der Menge der Aktiven wie auch der Anhänger.
Doch auch der Arbeiterfußball brachte immer wieder respektable Kulissen zustande, in so manchem Provinzort auch größere als die bürgerliche Konkurrenz. In ATSB-Hochburgen absolvierten Spitzenvereine wie Dresdner SV und Leipzig-Stötteritz ebenso wie die örtliche DFB-Konkurrenz ihre Punkt- und Gesellschaftsspiele regelmäßig vor vierstelligen Anhängerscharen. Bei mehreren direkten Vergleichen zwischen DSV und Stötteritz wurden sogar Besucherzahlen von über 8000 erreicht. Zuschauerrekord zweier ATSB-Mannschaften dürfte das Bundesendspiel 1930 (TSV Nürnberg-Ost - Bahrenfeler SV 1919 Hamburg 6:1) mit 23.000 Besuchern im Nürnberger Stadion gewesen sein.
Übertroffen wurde dies bei diversen Sportfesten und einigen ATSB-Länderspielen. Die diesbezügliche Heimspiel-Bestmarke von 40.000 datiert vom Olympischen Endspiel Deutschland - Finnland 2:0 im Frankfurter Waldstadion am 28. Juli 1925. Der absolute Rekord für ein Spiel mit ATSB-Beteiligung sind 65.000 bei Arbeiter-Olympia- Finale Österreich – Deutschland 3:2 (0:0) im Praterstadion am 26. Juli 1931.
Disziplin und Aufruhr
Auch der Arbeiterfußball brachte jen'e Derbys und sonstige Prestige-Duelle hervor, bei denen es schon nach einigen Jahren traditionell ehrgeiziger und hitziger zuging, als es dem Ideal der proletarisch-solidarischen Sportlichkeit entsprach. Solche Auswüchse traten wie im DFB-Bereich über die gesamte Weimarer Zeit auf. Die Ursachen für den Anstieg der Fußballrandale zu Beginn der 20er Jahre in beiden Lagern sind in der Brutalisierung vieler Männer während des Ersten Weltkrieges zu sehen und in der rasch gewachsenen Popularität des Fußballs vor allem in den einfacheren Volksschichten, dazu eine nun oft aufwiegelnde, anheizende, skandalisierende Sportpresse. Für zusätzliche Brisanz sorgte die mangelnde Regelkenntnis vieler Zuschauer, Spieler und Schiedsrichter.
Die seriöse Sportpresse, also auch die Arbeitersportpresse, beklagten die unsportlichen Auswüchse. Die Zeitungen des Arbeitersports beklagten den Widerspruch, dass auch die linken Vereine untereinander oft unkameradschaftlich wetteiferten, die Spieler sich auf die Knochen hauten, also der Punkte wegen vergaßen, dass auch der gegnerische Sportgenosse seine Gesundheit am nächsten Tag wieder zu dessen Broterwerb benötigte. Resultate wurden von unterlegenen Vereinen mit teilweise fadensheinigen Begründungen, aber oft erfolgreich angefochten.
Die "Freie Sportwoche" erinnerte ihre Leser immer wieder an die Ethik der Vorkriegszeit, wo man überhartes Spiel viel schneller mit Vereinsausschluss ahndete als nun, da die neue Zeit Fußball einen viel höheren Stellenwert zumaß: “'Rücksichtslos jeden Rowdy herausgestellt' muss das Leitmotto jedes Schiedsrichters sein.“ Daneben bemühten sich die Redaktuere um die Erziehung des Publikums, z. B. durch Ächtung unentwegter Krakeeler: „Hier mag bemerkt werden, dass ich immer nur einen bestimmten Teil der Zuschauer meine, und zwar jenen Teil der Alles-Besserwisser und -Besserkönner, diese eingefleischten Vereinsfanatiker, die auf allen Spielplätzen und bei jedem Spiel zu finden sind. Meistens sind es unreife Burschen jeglichen Alters, die von Spielregeln und Spiel wenig oder gar nichts verstehen, die aber desto weiter den Mund aufreißen können und durch ihr blödes Gejohle und Geschrei versuchen, auf das Spiel einzuwirken. Könnten wir diesen Teil des Publikums von den Spielplätzen fernhalten, so würde bald das Vorurteil, das noch in vielen Kreisen unseres Volkes gegen das Fußballspiel herrscht, leichter verschwinden.
Erfreulich ist für uns, dass diese Sorte Sportverkenner in unserem Gefolge nicht so zahlreich vertreten ist, als bei den bürgerlichen Vereinen. Vorhanden sind sie aber auch bei uns, und deshalb müssen es sich alle unsere Sportgenossen zur Aufgabe machen, dieselben von ihrem Sport- oder Vereinsfanatismus zu heilen. Gelingt dies nicht, dann müssen wir sie im Interesse und dem Ansehen unserer Fußballbewegung von uns stoßen, damit uns die Achtung bei unseren Gegnern nicht verloren gehen kann.“
Schiris und Rowdys
Vor allem in den südlicheren deutschen Gefilden kam es damals zu Spielabbrüchen nach Prügeleien unter Spielern, mit Zuschauern und Angrifen aus Schiedsrichter. Vom 1922er Kreisendspiel zwischen der Freien Turnerschaft Frankfurt Abt. Westend und der Freien Turngemeinde Mörfelden (1:0 am 9. April 1922) ist überliefert, dass ein Teil der Mörfelder Schlachtenbummler jede Contenance verlor: "Betrug sich bis fünf Minuten vor Schluss das Publikum ruhig und mustergültig, so änderte sich jetzt das Bild. Mehrere Vereinsfanatiker, die jetzt einsehen, dass es zum Ausgleich nicht mehr langt, kritisieren eine gerechte Entscheidung des Schiedsrichters auf das lebhafteste und versuchen dadurch Unstimmigkeiten hervorzurufen. Hier wäre es Sache des Platzvereins gewesen, für eine tatkräftige Platzordnung zu sorgen" (Freie Sport-Woche vom 19. April 1922). Anscheinend blieb es nicht nur bei Unmutsäußerungen, denn das Spiel endete mit Abbruch. Typisch für die linke Sportpresse ist leider auch, dass diese Ausschreitung in den eigenen Reihen nicht so detailiert geschildert wurden wie entsprechende Vorkomnisse zwischen DFB-Vereinen.
Die ATSB-Bemühungen um Disziplinierung waren im Großen und Ganzen erfolgreich. Dabei halfen sicher auch die im Allgemeinen geringeren Zuschauerzahlen, die gute Schiedsrichter-Ausbildung sowie der von der Arbeitersportbewegung vertretene höhere moralische Anspruch, der durchaus nicht nur in den Köpfen der Funktionäre existierte, sondern auch von den eigenen Anhängern durch die Abgrenzung zum bürgerlichen Sport gelebt wurde.
So entwickelte sich im ATSB mit der Zeit eine eigene Spiel- und Zuschauerkultur, welche sich durch Zurückhaltung beim Anfeuern wie bei der Kritik und durch Anerkennung gegnerischer Leistungen auszeichnete. Die Spieler waren angewiesen, möglichst lautlos, also ohne Rufe nach dem Ball, gegenseitiges Anmeckern und ausufernden Torjubel zu agieren. Davon abweichendes Verhalten prangerte die "Freie Sport-Woche" an wie hier den Berliner FC Nordiska für seinen Auftritt im Bundesendspiel 1921: „Was sich einige N—Spieler aber zum Schluss der zweiten Halbzeit leisteten, war unwürdig und gab einen hässlichen Fleck auf dieses sonst so hervorragende Spiel. Zeitweise spielte die Mannschaft überhaupt nicht mehr. Nur ihre .Kampfhelden‘ in des Wortes übelster Bedeutung versuchten ihre verwerflichen Künste … Disziplin fehlte. Hartmann setzt sich während des Spiels auf den Platz, die Entscheidungen des Schiedsrichters werden immer angezweifelt, oder er wird mit Zurufen belästigt ... Doch einem Mann von der Elf, dem schlugen auch noch nach Schluss des Spiels die Herzen aller entgegen, und das war der Torwächter. Den möchten sich die Spieler N.s zum Vorbild nehmen … Die verkörperte Brutalität Pudeel und seinen Spielführer Gülle haben sich hoffentlich die Dresdner, Chemnitzer, und wo sie alle hergekommen waren, nicht zum Beispiel genommen“ ("Freie Sport-Woche" vom 20. Juli 1921).
Zum guten Ton gehörte es auch, einen Elfmeter dem gegnerischen Tormann in die Arme oder an seinem Kasten vorbei zu schießen. Siege durch Elfmeter galten als leicht anrüchig, vermutlich auch, weil brutale Fouls im Arbeiterfußball deutlich seltener als im DFB-Fußball waren. Das führte so weit, dass sowjetische Fußballer beim deutschen Publikum für Irritationen sorgten, indem sie die ihnen zugesprochenen Strafstöße gnadenlos verwandelten.
Ein weiterer Unterschied zum DFB-Fußball: Der ATSB untersagte seinen Mannschaften die Vergabe von Pokalen und anderen Sachpreisen. Trotzdem sind uns aus dem Arbeiterfußball einige Pokale auf Fotos und in natura überliefert. Vermutlich dienten sie, ebenso wie dieser Ehrenbecher mit ATSB-Emblem, als reine Schmuckstücke ohne Auszeichnungs-Charakter.
Ultras und Hooligans
Auch Ehrenkränze zählten zu den Sachpreisen, wie jene Anhänger des Pankower SC Adler 08 1928 belehrt wurden, die ihrer Elf einen solchen Laubring zum Gewinn der Berliner Kreismeisterschaft vermachen wollten: „Der Besuch des Spiels (Adler 08 - Fichte Gesundbrunnen 3:1) war für die, die da waren, eine Freude. Nicht nur deshalb, weil rührige Pankower Genossen den Platz von großen Seen reinigten, sondern auch deswegen, weil die Turnerkapelle sich in den Dienst der guten Sache stellte und mit ihren Konzertstückchen manch musikalisches Herz erfreute. Manch lustige Weise erklang auch noch später. Der eingeübte Trauermarsch, der vorgesehen war anlässlich der Kranzüberreichung des Adleranhanges an den Spielführer, unterblieb, da dieser es vorzog, denselben in guter Verpackung wieder mit heimzunehmen, denn auch den Spielern der Adler-Elf war diese beabsichtigte Ehrung wider ihrer Anschauung. Diplome und Kränze gehören nicht in den Bereich eines Arbeitersportvereins“ ("Arbeiter-Fußball vom 22. Februar 1928).
Das Aufkommen von Winkelementen, mit denen die Vereinsanhänger spätestens bei den DFB-Endspielen 1922 ihren 1. FC Nürnberg bzw. Hamburger SV anspornten, fanden einen Wiederhall im Arbeiterfußball, wo derartiges erstmals vom 1925er Bundesendspiel Dresdner SV gegen SV Stralau 1910 überliefert ist: Ein Dutzend Stralau-Fans war dem Berliner Meister zum Endspiel nach Dresden gefolgt und wedelte ihm dort mit blau-gelben Papierfähnchen zu, was die "Freie Sport-Woche" vom 8. Juli 1925 humorlos kommentierte: "Ob diese Fähnchen zum Arbeitersport gehören, oder ob es nicht etwa eine Nachäffung bürgerlicher Manieren war, darüber mögen die Mit-dabei-gewesenen selber nachdenken."
Die selbe Lustfeindlichkeit offenbarte das ATSB-Organ zwei Jahre später, nachdem sich auch die Anhänger von Nürnberg-West im Endspiel mit Fahnen bemerkbar gemacht hatten: "Eine Nachäfferei bürgerlicher Sportgepflogenheiten zeigten die Nürnberger Zuschauer, die sich mit Fähnchen in Nürnbergs Farben bewaffnet hatten. Ein mitleidiges Lächeln zollte das Publikum diesem Spech - und mit Recht!"
Was der Anhänger des Arbeiterfußballs abgrenzend zum bürgerlichen Schlachtenbummler zu tun und zu lassen hatte, beschrieb der Berliner ATSB-Schiedsrichter A. Welke (SC Arminia 1919 Berlin) wie folgt:
„Am Sonntag, den 1. November, war mir die Leitung des Spiels Borussia I – Fichte Gesundbrunnen I in Reinickendorf übertragen. Dicht nebenbei, nur durch eine Zaunwand getrennt – VBB-Fußball (VBB = Verband Brandenburgischer Ballspielvereine, damaliger DFB-Regionalverband, heute Berliner Fußball-Verband). Von drüben her lautes Gekreische, anfeuernde Rufe der Vereinsfanatiker, und zwischendurch setzt jedesmal ein Indianergeheul bei Erzielung eines Tores ein. So will es die bürgerliche Meute, die aus dem Fußballspiel einen Nervenkitzel macht. Hier rasen Proletarier gegen Proletarier und bedenken nicht, dass sie damit ihr eigen Fleisch und Blut bekämpfen.
So in Gedanken versunken treffe ich eine Fehlentscheidung. Ruhig nehmen beide Vereine dies auf. Jetzt wende ich meinen Sportgenossen wieder erhöhte Aufmerksamkeit zu. Ruhig und doch flott kämpfen beide Mannschaften um den Ball. Bei Fichte wird kaum ein Wort gesprochen, desgleichen ist Borussia sympathisch, die sehr fair spielen. Das ist Arbeiterfußball, wie er sein soll. Daran sollten sich alle Vereine ein Beispiel nehmen. Zu solchen Spielen werden auch die Genossen Schiedsrichter mit Freuden kommen. Das war Propaganda für unsere Sache, denn Arbeiterfußballspiel heißt Körperkultur treiben. Darum vergesst nicht, 6 lange Tage in der Woche werdet Ihr vom Kapitalismus ausgebeutet und missachtet, der 7. aber gehört uns und soll eine Erholung für uns sein“ ( "Arbeiter-Fußball" vom 11. November 1925).
Der gleichen Zeitung entnehmen wir drei Jahre später aber leider auch, dass es im Berliner Arbeiterfußball wieder vermehrt zu Ausschreitungen kommt. Die erzieherische Wirkung einiger Verurteilungen von Berliner Fußball-Rowdys durch staatliche Gerichte schien also schon wieder nachzulassen:
"Fanatiker! So mancher alte Fußballer wird aufgeatmet haben, dass diese ,Kinderkrankheit‘, der Lokalpatriotismus des Fußballspiels schon fast überwunden schien. War es doch in der Vorkriegszeit keine Ausnahme, wenn der Gastverein als Zugabe zum Sieg noch Prügel durch die Zuschauer mitnahm. Manche Gegenden waren zu bekannt hierfür, und die Vereine verzichteten auf den Sieg, um so den Zänkereien aus dem Wege zu gehen…
Die Meisterschaftsspiele der letzten Zeit zeigten wieder besonders starken ,Fanatismus‘. Ob im Osten oder Norden, überall das gleiche. Die Platzkommission muss diese Missstände unterbinden. Wo einmal die Temperamente zu forsch sind, sollte man gleich hingehen und die Zuschauer über eventuell noch folgende Missstimmigkeiten aufklären, und dadurch ist so manche gefährlich aussehende Situation ins Harmlose übergeleitet. Also genau wie die Unfallkurve gesenkt werden muss, sollte auch der ,Fanatismus‘ wieder verschwinden. Jeder Genosse sehe nicht durch die Vereinsbrille, sondern bleibe unparteiisch bei allen Spielen als Zuschauer sowohl, wie als Funktionär!“ (Fritz Wendt von Sparta Lichtenberg im "Arbeiter-Fußball" vom 16. Januar 1929).
Das Blatt erwähnt in diesem Zusammenhang auch, dass viele Berliner ATSB-Schiedsrichter sich beklagten, genauso bepöbelt zu werden wie ihre Kollegen im Berliner DFB-Fußball. Umso erfreulicher, dass das Treffen von Sparta Lichtenberg und ASV Lichtenberg Abt. III, das im Vorjahr noch abgebrochen werden musste, diesmal reibungslos ablief: „Die Spiele der Vorjahre hinterließen immer einen bitteren Nachgeschmack. Die Ortsrivalität ließ oft den Gedanken des Arbeitersports in den Hintergrund treten, wohltuend hob sich der diesmalige Kampf davon ab“ ("Die Rote Fahne" vom 4. März 1930).
Aus der Endzeit der Weimarer Republik sind speziell aus Berlin ein paar politisch motivierte Konfrontationen von Fans und Polizei verbürgt, wobei die Arbeitersport-Redakteure sich hier auf die Seite der mehr oder weniger unschuldigen Zuschauer stellt. "Die Rote Fahne" meldete von einem der ganz wenigen Spiele zwischen Arbeiter- und DFB-Vereinen, nämlich SC Kalkberge (Zweitligist im VBB) gegen den Rot-Sport-Zweitligisten SC Tasdorf am 25. Dezember 1932: „Über 1.000 Zuschauer umsäumten am Nachmittag das Spielfeld. Kurz wurde auf die Notwendigkeit der proletarischen Solidarität hingewiesen. Begeistert stimmten die Zuschauer in das dreifache ,Rot-Sport‘ ein. Die in stattlicher Anzahl anwesende Polizei versuchte die Veranstaltung zu stören, musste aber aufgrund der energischen Proteste der roten Sportler und des Vorsitzenden von Kalkberge abziehen.“ ("Die Rote Fahe" vom 28. Dezember 1932)
Am 17. Januar 1932 verhaftete die Berliner Polizei gleich eine ganze Rot-Sport-Mannschaft. Kurz vor Schluss bei ASV Lichtenberg I - Fichte Johannisthal (3:1) betraten 30 Polizisten den Platz an der Bornitzstraße, um die Gastmannschaft wegen der Fichte-Embleme auf ihren Trikots zu verhaften. Dies aufgrund der 4. Notstandsverordnung vom 8. Dezember 1931, mit der die damalige Brüning-Regierung das Tragen von Parteiabzeichen und Emblemen all jener Organisationen, denen Militärangehörige nicht beitreten durften, verbot. Energische Proteste der 1.000 Zuschauer zwangen zum Rückzug vor den Sportplatz, wo die Beamten später die inzwischen umgezogenen Johannisthaler abpassten und mit dem Überfallwagen zum nächsten Polizeirevier brachten. ("Rot-Sport" Nr. 4/1932). Irgendwelche Strafen blieben den Spielern erspart, weil Reichspräsident von Hindenburg das Verbot politischer Abzeichen zwei Tage wieder aufhob.
Lorbeer und Pegau
Zum Abschluss unserer knappen Betrachtungen über Arbeiterfußballer und deren Zuschauer präsentieren wir Euch hier noch die Eindrücke eines Schlachtenbummler vom 1931er ATSB-Endspiel zwischen SC Lorbeer 06 Hamburg 1931 und der Spielvereinigung 1912 Pegau:
"13 Uhr in Hamburg. Leben herrscht auf den Straßen. 'Was rennt das Volk?' Es muss doch etwas Großes hier vor sich gehen. Aus aufgefangenen Brocken der hastig hereilenden Menge erfährt man den Grund der Aufregung: Auf dem Sportplatz der 'Victoria' in Hamburg-Hoheluft findet das Endspiel um die Meisterschaft des Arbeiter-Turn- und Sportbundes statt. Pessimisten werden mit dem bekannten 'kalten Blick' abgefertigt. Wagt man dann den Einwand, dass im Halbfinale Lorbeer im Spiel gegen Luckenwalde doch gerade keine Meisterleistungen gezeigt hatte, Pegau dagegen sehr eindrucksvoll gegen den vorjährigen Bundesmeister Nürnberg-Ost gewann, so erfährt man sofort die sachverständige Lösung: 'Da haben sich die Unsrigen im vollen Siegesbewusstsein gar nicht angestrengt. Heute aber werden sie zeigen, dass nur die Hamburger das Recht haben, den Ttel zu führen.'
Unter solchen Gesprächen gelangte man sehr schnell zum Platz. Hier herrschte schon ein aufgeregtes Treiben. Ein Summen und Surren, dass man sich in einem Bienenkorb versetzt fühlte. Auch hier kam der Lokalstolz voll zur Geltung: 'Nur Lorbeer wird Sieger! Nur Lorbeer macht das Rennen!'
Als die Mannschaften ihren Platz betraten, wurden sie mit lebhaftem Beifall empfangen. Dann spielte der Großchor der Hamburger Spielleute den Sozialistenmarsch. Mit einem Mal war jede Meinungsverschiedenheit vergessen. Wie ein Mann erhoben sich die 22.000 Menschen, damit ihre innere Verbundenheit mit der politischen und sportlichen Arbeoiterbewegung kundgebend. Kaum waren die letzten Klänge verhallt, da begann auch schon der Kampf.
Oh weh! Wo war auf einmal der Optimismus der Zuschauer geblieben? Man hatte kaum richtig Luft geholt, da hieß es auch schon 2:0 für Pegau! Nur einige ganz große Optimisten glaubten jetzt noch an ein Aufkommen 'ihrer' Mannschaft. Ihr Glaube wurde allerdings auf eine sehr harte Probe gestellt. Nachdem der Schiedsrichter zwei reelle Tore, 'reell' nach Meinung der Zuschauer, nicht gewertet hatte, gelang den Hamburgern wenige Minuten vor der Pause das Anschlusstor. Da ging ein Aufatmen durch die Reihen der standhaften Optimisten. Die Gesichter hellten sich auf, man nickte sich lächelnd zu, als wollte man sagen: 'Siehste wohl, ich hatte doch recht, Lorbeer kommt noch auf.'
Die zweite Halbzeit gab diesen Standhaften auch recht. Durch lebhaftes Anfeuern ermuntert, gewann Lorbeer mehr und mehr an Boden. Als der Ausgleich errungen war, wollte der Jubel kein Ende nehmen. Bei jedem erneuten Angriff der Hamburger war es, als wollten die Zuschauer mitrennen, so weit bogen sie sich nach vorn. Erfolgte aber ein Angriff der Pegauer, so bog sich alles nach hinten, als wollten sie die Sachsen zurückhalten. Doch dann kam der erwartete Führungstreffer. Nicht so laut als beim Ausgleich war diesmal der Beifall. Desto schlimmer wurden die Anfeuerungen der Hamburger Mannschaft. Waren einmal die Pegauer in gefährliche Tornähe gekommen, so herrschte Mäuschenstille auf dem ganzen Platze. Gelang es dagegen einem Lorbeer-Spieler, den Ball wieder nach vorne zu befördern, war wieder eitel Freude unter den Zuschauern. Schon rüstete sich alles, den neuen Bundesmeister zu beglückwünschen, da gelang den Hamburgern noch der vierte Treffer.
Schlusspfiff. Unter brausendem Jubel begaben sich die 22.000 Hamburger nach Hause. Noch freudiger waren die standhaften Optimisten. Hatten sie doch wieder einmal recht behalten. Zu wünschen ist nur, dass sich der neue Bundesfußballmeister seines Titels würdig ereist. Gelegenheit dazu wird ihm oft genug gegeben werden" ("Freie Sport-Woche" vom 27. Mai 1931).
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