Ein Arbeiterfußball-Theaterstück


Während der Weimarer Jahre erschien in der Arbeitersport-Presse und anderen Arbeiter-Publikationen eine ganze Reihe von kleinen Theaterstücken zum Arbeitersport, gedacht zur Aufführung bei Vereins- und Verbandsfeiern.

Exemplarisch für dieses Genre stellen wir Euch hier "Die Verhandlungssitzung" von 1929 vor. Thematisiert wird die Strafverhandlung über den Angriff auf einen Schiedsrichter.  Gestreift wird auch das Dilemma, dass lange gesperrte Spieler oft zu DFB-Vereinen abwanderten (und umgekehrt!), da ATSB und DFB ihre Schwarzen Listen gegenseitig nicht anerkannten. Beim am Ende des Stückes erwähnten Genossen Riedel handelt es sich um den Bundesspielwart (= ATSB-Fußballvorsitzender) Robert Riedel aus Leipzig. Vorhang auf:

 


Die Verhandlungssitzung
von Otto Meyer (Durlach)

 

Dürftiges Sitzungszimmer. Die Mitglieder eines Verhandlungs-Ausschusses sind mit der Beratung des Spielabbruches zwischen den fiktiv-exemplarischen Vereinen FC Kukirol und FC Stier beschäftigt.

 

Vorsitzender: 

Eh die schöne Zeit verflossen,

Wollen wir einmal den Fall

Durchbesprechen und beraten,

Eh wir schreiten zu den Taten.

1. Beisitzer:

Ich bin dafür, dass einem jeden

Wird abgekürzt das viele Reden.

2. Beisitzer:

Der Fall liegt klar wie Sonnenschein,
Führt doch die Missetäter rein.

3. Beisitzer:

So darf es nicht mehr weitergehen!
Sonst sage ich " Nie Wiedersehen!"

4. Beisitzer: 

Ich sage nur zu dieser Sache:
Ein solch Vergehen fordert Rache!

Vorsitzender: 

Ich füge mich der Mehrheit gerne.
Verzeiht, dass ich mich jetzt entferne,
Um die Parteien herzubitten,
Sonst wird noch länger hier geritten.

 

Der Vereinsvertreter vom FC Kukirol kommt wütend und polternd hereingestürmt.


Vertreter FC Kukirol (wütend):

Dass ich nicht lache, So ein Quark.
Das ist wahrhaftig gar zu stark.

Vertreter FC Stier:

Ich möcht bloß wissen, was Ihr wollt,
Warum hat man uns hergeholt?

Vorsitzender:

Warum seid Ihr so aufgebracht?
Wer hat denn Euren Zorn entfacht?
Seid nur vernünftig, liebe Leute.
Wir wollen nur verhandeln heute.
Gefällt Euch unser Urteil nicht,
Dann wendet Euch ans Reichsgericht!
Als Angeklagte stehen hier
Der FC Kukirol und Stier.
Sowie der Spieler Meyer, Franz,
Und der Genosse Laier, Hans.
Ich gebe Euch jetzt klare Kunde,
Dem Tatbestand liegt dies zugrunde:
Nun hört, vernehmt die Botschaft jetzt,
Die Schiri Krause aufgesetzt:

Vorsitzender (lesend):

"Ich leitete am x-ten Tage dieses Jahres,
Wenn ich mich recht besinn, so war es
Das Spiel FC Stier
FC Kukirol.
Ich kann Euch sagen, mir war gar nicht wohl.
Meine Ahnung hat mich nicht getrogen.
Gar hoch schlugen der Begeist'rung Wogen.
Was sollte ich machen, was sollte ich tun?
Ich lief herum wie ein krankes Huhn.
Erwartungsvoll sah ich den Augenblick gekommen,
Wo mich die Nemesis beim Genicke genommen.
Die Nemesis hatte, bei Gitt, keinen Schwanz,
Denn es war der Spieler Meyer, Franz
Vom FC Kukirolen, Sie, 
Der plötzlich vor mir stand, ganz vis-à-vis.,
Weil ich einen Elfmeter gepfiffen hatte,
Den er verschossen hat an die Latte.
Sagte er zu mir: 'Du damischer Lackl!'
Und hielt mich mit festem Griff am Krawattl.
Er sagte nur das, dann holte er aus.
Von außen brüllte man: 'Bringt ihn heraus!'
Dann weiß ich nichts mehr. Nur das eine:
Wie schmerzen heute noch alle Gebeine!"

Vorsitzender (zu den Delegierten gewendet):

Und nun, Genossen, das ist der Bericht.
Ich sehe Euch offen jetzt ins Gesicht,
Und frage den Spieler Meyer, Franz,
Ob er den Takt schlug zu diesem Tanz?

Spieler Meyer (FC Kukirol):

Nach Krauses Bericht wär ich erschossen.

Die Sache war anders gelagert, Genossen!

Ich bin von jeher ein ruhiger Spieler

Und ein erfolgreicher Toreerzieler.

Ich hatte den Elfer an die Latte geschossen,

Und das konnte ich nicht begreifen, Genossen!

Warum hat der Krause nicht wiederholen lassen?

Ja, seht, das konnte ich eben nicht fassen.

Das wollte ich ihm nur begreiflich machen.

Ich bitt' Euch! Das übrige reizt mich zum Lachen.

Spieler Leyer (FC Stier):

Ich spielte in der Mannschaft des FC Stier,
Ich stehe Rede und Antwort hier.
Wir haben gekämpft und vieles gelitten,
Doch uns noch niemals um Punkte gestritten.
Doch selbstverständlich ist Kukirol
Meist nur bei vielen Punkten wohl.
Was sich der Meyer geleistet hat,
Ich sage Euch, das war nicht zu knapp 
– – –

Vorsitzender von Kukirol (ihm ins Wort fallend):

Ach was, papperlapapp!
Wir werden stets gedrückt und geknechtet.
Und wo man kann, hat man uns entrechtet.
Der Ausschuss reitet auf uns herum,
Uns wird allmählich die Sache zu dumm.
Der Schiedsrichter war ein Hampelmann.
Ich frage Euch, warum hat er das getan?
Das meine ich mit dem Elfmeter!
Das war ein Fehlspruch, das sagt jeder.
Nur Ihr wollt das nicht begreifen, leider.
Aber wir sagen Euch: Macht nur so weiter!
Wenn Ihr uns den Meyer, Franz 
disqualifiziert,

Dann wenden wir uns ganz ungeniert
Einspruch erhebend an die nächste Instanz.
Dann spielt er wieder, der Meyer, Franz.
Und was den FC Stier betrifft,
So hat der bei uns ausgeschifft.
Ich habe gesprochen mein letztes Wort,
Drum macht nur rasch, denn ich muss fort.

Vertreter vom FC Stier:

Was soll man sagen zu diesem Zimt?
Das glaubt Dir, Genosse, kein Kind.

(zum Ausschuss gewendet:)

Doch auch ich möcht um ein Urteil bitten, 
Denn viel zu lange wurde geritten.

Vorsitzender:

Hat irgendwer noch etwas zu sagen?
Nicht? 
Dann werden wir uns ans Urteil wagen.

Wir werden Stellung nehmen dazu,
Die Bundessatzung hilft uns im Nu.
Es ist ohne alle Zweifel zu sagen,
Der Meyer, Franz, hat sich schlecht betragen.
Paragraph 69 kommt hier in Betracht:
Ein Jahr Spielverbot ist angebracht.
Damit er später mit mehr Bedacht
Den Schiedsrichter als Genossen behandelt
Und außerdem seine Gesinnung wandelt.
Den Spielabbruch hat auch Kurikol 
verschuldet.

So etwas wird bei uns nicht geduldet.
Das kostet 10 Emmchen, dass Ihr's wisst.
Vergesst bitte nicht die Zahlungsfrist.
Wer dafür ist bitt' ich um ein Zeichen!

(Verhandlungsausschuss stimmt ab.)

Das Urteil ist somit angenommen.
Die Tat hat ihre Sühne bekommen.
Von den Genossen wollen wir hoffen,
Dass sie nie mehr von solchem Tun betroffen.

Kukirol-Vertreter (aufgeregt):

Ein Schandurteil wurd von Euch gefällt.
Ihr habt uns damit die Bewegung vergällt.
Der Meyer, Franz wird nicht bei uns bleiben,
Ihr werdet ihn zu dem Gegner treiben.
Das Schandurteil sei dreimal verflucht
Und wird auf Euer Konto verbucht.
Wir aber wenden uns an Genossen Riedel,
Der wird uns erlösen

Und geigt Euch ein Liedel!

 

Alle ab. Vorhang fällt.

 

***

 

 

Quelle: "Freier Volkssport" Hannover vom 27. Mai 1929

Abbildung: "Freier Volkssport" Hannover vom 2. Juli 1929

 

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© Christian Wolter

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