102 Jahre Hansa Hohen Neuendorf


Wo und wann auch immer ein Hohen Neuendorfer sich erstmals an der schönsten Nebensache der Welt – dem Fußballspiel - versucht hat, das wird kaum noch zu ermitteln sein. Sicher ist, dass es 1919 genügend Fußballer im Ort gab, um endlich eine eigene Mannschaft aufzustellen. Dies sollte unter dem Dach des Männer-Turn-Verein Hohen Neuendorf (Mitglied der Deutschen Turnerschaft) geschehen, wie dessen Benachrichtigung zur Hauptversammlung am 7. April 1919  im "Briesetal-Boten" zu entnehmen ist.

Unter Tagesordnungspunkt 9 war nämlich die "Gründung einer Fußballriege" angekündigt. Informationen zum Verlauf dieser Versammlung liegen nicht vor, aber es scheint nicht zur geplanten Gründung gekommen zu sein. Vielmehr entstand wenig später die "Freie Turnerschaft Hohen Neuendorf von 1919", der neben Turnern auch Fußballer angehörten.

 

Anzeige der Gründung einer Fußballriege, die dann aber in der Freien Turnerschaft vonstatten ging ("Briesetal-Bote" vom 5. April 1919)

 

Die Ballathleten machen sofort Nägel mit Köpfen und melden sich bei der Märkischen Spielvereinigung (MSV) an, die ihre Wettkämpfe unter dem Dach des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (ATSB), aber nicht im Deutschen Fußball-Bund betrieb. Die MSV ordnete die Hohen Neuendorfer für die Herbstserie 1920 der 2. Klasse, Spielbezirk Norden, Abteilung B zu, wo sie als Neueinsteiger allerdings noch ohne Wertung antreten mußten.


Herbstserie 1920, 2. Klasse, Spielbezirk Norden Abteilung B

1. Berliner FC Nordiska von 1913 15:1 Punkte – 2. SC Helvetia Weißensee 13:3 – 3. Sportliche Vereinigung Arminia 1919 Berlin 10:6 – 4. Arbeiter-Turnverein Pankow-Schönhausen 9:7 – 5. Freie Turn- und Sport-Vereinigung 03 Spandau Abt. Siemensstadt 7:76. Freie Turnerschaft Wittenberge 6:107. Männer-Turnverein Bernau 5:9 – 8. Arbeiter-Sportclub Rapide Spandau von 1916 4:129. Marwitzer Ballspiel-Club 3:13 (ohne Wertung: TV Fichte Groß-Berlin Abt. Moabit und FT Hohen Neuendorf 1919)

 

Im April 1920 nahmen die Freien Turner den Arbeiter-Turnverein Hohen Neuendorf auf. Dies führte zu organisatorischen Problemen oder gefiel den Fußballern nicht. Jedenfalls machten diese sich im Dezember 1920 als FC Hansa Hohen Neuendorf unter dem Vorsitzenden Alfons Erhardt selbständig, blieben aber in der MSV und damit im ATSB. Als erneut neuer Verein mußten die gemäß ihrer gewählten Vereinsfarben Schwarz-Weißen eine weitere wertungsfreie "Ehrenrunde" drehen.

 

1920/21, 2. Klasse, Norden, Abt. C

1. Berliner FC Adler von 1912 17:10 Tore/8:2 Punkte – 2. FTSVgg. 03 Spandau 19:8/7:3 – 3. SportlVgg. 20 Eisenspalterei 14:11/6:44. FT Charlottenburg 10:8/5:5 – 5. ATV Vorwärts Hennigsdorf 5:13/2:8 (ohne Punktwertung: SC Moabit 01, SportlVgg. der Firma Theodor Hildebrand & Sohn, Fichte Abt. Moabit, FC Hansa Hohen Neuendorf 1919, SC Freiheit 07 Wittenberge, FC Viktoria 1912 Eberswalde, Pankower SC Falke von 1913)

 

Weiße Hosen und schwarze Trikots mit schönem Buchstaben-Emblem, so präsentierten sich die Hanseaten zu Beginn der 1920er Jahre.


Aus dieser Zeit ist auch eine politische Aktion des FC Hansa dokumentiert. Am 22. Mai 1921 sollte im Ort ein von Monarchisten initiiertes Gefallenendenkmal enthüllt werden. Die Arbeiterorganisationen machten dazu im "Briesetal-Boten" folgenden Aufruf:

"Die Feinde der Republik wollen die am Sonntag, den 22. Mai, stattfindende Einweihungsfeier des Kriegerdenkmals wieder dazu benutzen, die durch den Krieg am meisten betroffene werktätige Bevölkerung als Staffage zu gebrauchen. Wir sind der Auffassung, und diese ist ja auch bei der ersten Besprechung in dieser Angelegenheit, sowie in der Gemeindevertretung, von den Vertretern der unterzeichneten Parteien und Vereine zum Ausdruck gebracht, dass das Andenken der Gefallenen am besten im Herzen eines jeden gewahrt wird, und für die materielle Wohlfahrt nicht private Wohltätigkeit, sondern Staat und Gemeinde zu sorgen hat.
Wir fordern hierdurch die werktätige Bevölkerung von Hohen Neuendorf auf, sich an der stattfindenden Feier auch nicht als Zuschauer zu beteiligen."

Unterzeichnet wurde dieser Aufruf von den Vertetern von USPD, SPD sowie von Wilhelm Bull und Alfons Erhardt als den Vorsitzenden der Freie Turnerschaft und des FC Hansa.

 

Hansa Hohen Neuendorf vor dem Vereinsheim "Zur Sport-Ecke" an der Schönfließer, Ecke Friedrichstraße


In der neuen Saison starteten die Hohen Neuendorfer voll durch und schlossen gleich ihre erste "richtige" Spielzeit als verlustpunktfreier Meister und Aufsteiger ab! Dies dürfte für eine stimmungsvolle Saisonabschlußfeier im Vereinslokal Friedrich Scharfe (wenig später dann Sport-Ecke; heute Versicherungsagentur Schönfließer/Friedrichstr.) garantiert haben.

 

1921/22, 2. Klasse, Norden, Abt. B

1. FC Hansa Hohen Neuendorf 1919 12:0 Punkte – 2. ATV Vorwärts Hennigsdorf 10:0 – 3. TV Fichte Groß-Berlin Abt. Nord 5:34. MTV Bernau 4:4 – 5. Berliner FC Eintracht von 1915 3:5 – 6. Tegeler BC 1:97. FC Viktoria 1912 Eberswalde 1:9 – 8. SportVgg. 20 Eisenspalterei 0:6

 

Jedoch ein Titel ohne Wert, denn der Spielmodus wurde geändert! Die kommunistisch dominierte Märkische Spielvereinigung schaffte per Mehrheitsbeschluss der Vereinsvertreter die Spielklassen einfach ab! Analog zum politischen Ziel der Klassenlosigkeit verstanden sich nun quasi alle rund 200 Herrenteams im Arbeiterfußball von Berlin-Brandenburg als erstklassig. Auf- und Abstiege entfielen dadurch natürlich. Immerhin, die MSV ermittelte auch weiterhin die Meister ihrer Abteilungen, dann der Spielbezirke und schließlich den Kreismeister.

Der FC Hansa hatte noch einen weiteren Grund, sich zu ärgern: In vielen Mannschaften mischten immer wieder Spieler von Vereinen des DFB-Regionalverbandes VBB (Verband Brandenburgischer Ballspielvereine, Vorgänger des heutigen Berliner Fußball-Verbandes) mit, die dort aber gesperrt waren. Etwa als säumige Beitragszahler oder wegen zu harter Spielweise; schon damals wurde von vielen Seiten die herbe Spielweise und der rauhe Umgangston auf und neben den Plätzen bemängelt. Manche auch, weil sie für materielle Vorteile gespielt und damit gegen den DFB-Amateurstatus verstoßen hatten.

Diese Gesperrten hielten sich üblicherweise im Arbeiterfußball fit und kehrten nach beendeter Sperre meist zu ihren DFB-Vereinen zurück. Aufgrund der dadurch entstandenen Wettbewerbs-Verzerrungen stellte Hansa Hohen Neuendorfer am 25. November 1922 einen Antrag auf Annullierung der Hinrunde, den allerdings die Mehrheit ablehnte. Wenig später fügten sich die Hanseaten wohl in die Gegebenheiten und spielten nach den gleichen "Regeln" wie die Konkurrenz. Denn mit dem Erscheinen des FC Vorwärts Hohen Neuendorf auf der DFB-Bildfläche glichen sich viele der überlieferten Familiennamen in beiden Vereinen auffallend.

 

Hohen Neuendorfer Hanseaten ca. 1923 auf dem Ur-Sportplatz an der Augusta-Straße

 

1922/23, Bezirk Norden, Abt. A

1. Berliner FC Alemannia 22 15:1 – 2. Pankower SC Adler vom Jahre 1908 13:3 – 3. Fichte Berlin Abt. Gesundbrunnen 12:4 – 4. Reinickendorfer FC Borussia 1911 11:5 – 5. Berliner FC Adler von 1912 10:6 – 6. Borsigwalder FC Minerva von 1910 6:10 – 7. FC Hansa Hohen Neuendorf 1919 4:12

8. FC Nord Oranienburg 3:13 – 9. FC Viktoria 1912 Eberswalde 0:16 (Hinrundentabelle, durch die Einstellung der Zeitung "Arbeiter-Sport" Anfang 1923 ist keine Abschlusstabelle überliefert.)

 

Der FC Hansa wechselte im November 1924 von der Augusta-Straße, Ecke Prinz-Eitel-Straße (heute: Rosa-Luxemburg-Straße, Ecke Eichenallee) auf seinen Sportplatz "an der Berliner Straße nahe der Bahn". Wo genau sich der befand ließ sich noch nicht ermitteln. Erster Gast auf der neuen Anlage, die sich wahrscheinlich im Bereich der heutigen Poststraße befand, war der Pankower SC 08.

 

 

1924/25, Bezirk Norden, Abt. B

1. Pankower SC Adler 08 24:2 – 2. Berliner SC Wacker 1920 22:4 – 3. SC Union Pankow 1911 16:10 –  4. SportVgg Eiche Elstal 12:14 – 5. Reinickendorfer FC Borussia 1911 12:14 – 6. FV Britz 24 (Britz bei Eberswalde, nur Rückrunde) 8:67. FC Hansa Hohen Neuendorf 1919 4:22 – 8. Freier Fußballsport Heegermühle 0:26 – 9. FC Viktoria 1912 Eberswalde 0:10 (in der Hinrunde zurückgezogen)

 

Hansa und Vorwärts Hohen Neuendorf spielten wie gesagt in unterschiedlichen Verbänden. Erst in der Saison 1925/26 gab es für die Hanseaten, die mittlerweile auch eine Reserve am Start hatte, ein echtes Lokal-Derby, nämlich gegen die Freie Turnerschaft aus dem angrenzenden Birkenwerder.

Anzunehmen, dass diese Spiele die Fans beider Lager besonders elektrisierten. In den 1920er Jahren boten die Vereine der Gegend ihren Fans Mitfahrgelegenheiten an, und Auswärtssiege wurden schon damals laut und stolz besungen. Die Rivalität sorgte noch zu DDR-Zeiten für Zuschauerzahlen um die 1000, in der Weimarer Zeit werden es wohl auch schon so viele gewesen sein.

 

1925/26, Bezirk Norden, Abt. C

1. SportlVgg Arminia 1919 Berlin 35:7 – 2. SC Tegel 24 35:7 – 3. FTSVgg Siemensstadt 30:12 – 4. FT Wittenau 27:15 – 5. FC Hansa Hohen Neuendorf 1919 20:22 – 6. Berliner FC Amateure von 1924 19:23 – 7. BSC Einigkeit 25 Zepernick 17:25 – 8. FT Birkenwerder 16:26 – 9. FTSVgg 06 Staaken 14:28 – 10. Sport-Vereinigung Brieselang 13:29 – 11. FTSVgg 03 Spandau (nur Hinrunde) 11:1112. Berliner Sportverein von 1916 5:37

 

Zu Gast beim FC Germania Stettin-Pommerensdorf, 1:1 am 24. Juni 1923

 

Allen kommunistischen Idealen zum Trotz bewehrte sich die Klassenlosigkeit bei Punktspielen nicht. Es fehlte den Arbeiter-Fußballern der Konkurrenz-Kick. Das zeigt auch die damalige Abschlusstabelle mit einigen ungewöhnlichen Torverhältnissen, die auf viele zweistellige Ergebnisse hindeuten, Folge einer nicht durch Auf- und Abstiege ausgewogenen Spielstärke.

 

1926/27, Norden, Abt. B

1. FC Vorwärts Hennigsdorf 28:4 Punkte 100(!):16 Tore – 2. Borsigwalder FC Minerva 1910 27:5/87:20 – 3. ASV Fichte Groß-Berlin Abt. Nord 24:8/67:22 – 4. Veltener BC 1912 22:10/73:27 – 5. FT Wittenau 14:18/33:62 – 6. FT Birkenwer­der 13:19/29:43 – 7. FC Hansa Hohen Neuendorf 1919 10:22/33:64 – 7. ASV Wacker 26 Sachsenhausen 3:29/24:124 (!) – 8. FC Nord Oranienburg 1:31/6:74

 

Infolge dessen stagnierten die Mitgliederzahlen in der Märkischen Spielvereinigung, während der Konkurrenzverband VBB weiterhin wuchs. Und auch im ATSB hatte Berlin-Brandenburg seine einstige Führungsrolle verloren. Vor allem an Sachsen, woher 1921 bis 1927 die ATSB-Meister kamen.

Also kehrte die Märkische Spielvereinigung im Sommer 1927 zurück zum Klassensystem – und ordnete die Hohen Neuendorfer mal wieder der 2. Klasse zu. Zusammen mit dem Lokalrivalen Brieselang, der sich zum Saisonende erneut vor Hansa plazieren konnte. In der 1. Klasse der Märkischen Spielvereinigung gewann der Pankower SC Adler 08 den Titel und anschließend auch die Bundesmeisterschaft des Arbeiter-Turn- und Sportbundes!

 

1927/28, 2. Klasse, Norden, Abt. D

1. FV Arminia 27 Wittenau 12:4/23:8 – 2. FT Birkenwerder 11:5/20:10 – 3. FC Hansa Hohen Neuendorf 1919 9:7/17:144. ASV Wacker 26 Sachsenhausen 6:10/11:24 – 5. FC Nord Oranienburg 2:14/7:22

 

Das Stadion in der Niederheide, eröffnet am 4. Oktober 1925. Hansa bestritt hier jedoch nie ein offizielles Spiel.

 

Die Märkische Spielvereinigung wurde 1928 wegen "kommunistischer Spalterei" aus dem ATSB ausgeschlossen und machte fortan ihr eigenes Ding. Der FC Hansa blieb der Märkischen Spielvereinigung treu. Das könnte ein Hinweis auf eine damals kommunistische Mehrheit bei Hansa sein.

1929 verteidigte Adler Pankow den Meistertitel der Märkischen Spielvereinigung, durfte aber nicht mehr an der ATSB-Meisterschaft teilnehmen, denn auch Adler 08 war der Märkischen Spielvereinigung treu geblieben. In der Staffel von Hansa Hohen Neuendorf erzielte Vorwärts Hennigsdorf 101 Tore! Bitter: Hansa landete bereits zur dritten Mal in Folge hinter dem Lokalrivalen Birkenwerder.

 

1928/29, 2. Klasse, Norden, Abt. D

1. ASV Vorwärts Hennigsdorf 28:0/101:12 – 2. ASV Groß-Berlin Abt. Fichte 55 (Nord-Ost) 18:10/44:27 – 3. FT Birkenwerder 15:13/17:30 – 4. FC Hansa Hohen Neuendorf 1919 13:13/36:47 – 5. FC Nord Oranienburg 11:15/20:31 – 6. SC Helvetia 22 Berlin 9:19/24:58 – 7. ASV Wacker 26 Sachsenhausen (nur Hinrunde) 7:7/22:11 – 8. Karower BC 7:21/33:49 – 9. Freie Fußball-Vereinigung Neuruppin (nur Rückrunde) 2:12/6:38

 

Hansa daheim gegen eine Mannschaft aus Nürnberg, 1925

 

Ab 1929 spielten Hohen Neuendorf und Birkenwerder in verschiedenen Staffeln. 1932 errang Hansa wieder die Staffel-Meisterschaft, kam aber als Aufsteiger erneut nicht zum Zuge. Denn dadurch, dass die Märksiche Spielvereinigung ihr Liga-System umbaute und eine Landesklasse mit zwei Staffeln einführte, reduzierte sich die Zahl der Erstklassisten von 65 auf 21.

 

1931/32 2. Klasse, Norden, Abt. A (Oranienburger Bahn)

1. FC Hansa Hohen Neuendorf 1919 19:1, 2. FC Nord Oranienburg 17:3, 3. SC Germendorf (Oranienburg) 10:10, 4. FT Birkenwerder 9:11, 5. Fichte Hermsdorf 3:17, 6. SC Friedrichsthal 1930 2:18

 

Auch diesmal war der sportliche Erfolg nicht von langer Dauer, denn die folgende Saison konnte wegen dem Machtantritt der Nazis nicht mehr zuende gespielt werden. Der Arbeitersport wurde wie die Mehrzahl seiner Vereine aufgelöst. Die meisten Hansa-Spieler schlossen sich dem FC Vorwärts Hohen Neuendorf an.

Damit endete die Geschichte des FC Hansa Hohen Neuendorf. Eine sehr ehrenvolle Geschichte mit zwei Staffelsiegen und etlichen Auftritten gegen einige der berühmtesten Vereine des Arbeitersports wie Fichte Berlin, Adler 08 Pankow (ATSB-Meister 1928) sowie Nordiska 13 und Alemannia 22, die jeweils einmal Vizemeister im ATSB waren.

Hardy Werk, Hohen Neuendorf

 

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