"Rot Sport"-Leichtathletik-Meisterschaften am 13. und 14. August 1932 in Berlin 

 

Die kommunistische Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit, kurz KG oder auch "Rot Sport" genannt, kam nur einmal dazu, eine reichsweite Leichtathletik-Meisterschaft auszutragen. Schauplatz dieser Wettkämpfe am 13. und 14. August 1932 war der heute nicht mehr existente Tiergarten-Sportplatz am Bahnhof Zoo in Berlin. 

In Angrenzung zum Arbeiter-Turn- und Sportbund hießen im "Rot Sport" die höchsten nationalen Wettkämpfe in allen Sportarten nicht Bundes- sondern Reichs-Meisterschaften. Die allermeisten Starter dieser "Reichs-Meisterschaft" kamen aber aus Berlin, und von diesen wiederum die meisten von einer der zahlreichen Abteilungen des Zentralvereins Fichte Groß-Berlin.

Das Starterfeld komplettierten ein paar Arbeitslose aus Thüringen und dem Rheinland, die sich per Rad nach Berlin durchgeschlagen hatten. Den meisten leistungsstarken Auswärtigen blieb die Teilnahme aus finanziellen Gründen verwehrt, z.B. Wolff aus Essen, der mit 11 Sekunden über 100 Meter damals und auch bis zur Auflösung des Arbeitersports die "Rot Sport"-Höchstleistung über 100 Meter hielt.

Die wirtschaftlich schlechten Zeiten drückten sich auch in den niedrigen Eintrittspreisen aus. Für beide Tage kostete das Zuschauen 60 Pfennig bzw. 40 für Arbeitslose, für den Sonntag allein nur 40 und 20 Pfennig, für damals Notleidende immer noch viel Geld.

 

Luftaufnahme vom Tiergarten-Sportplatz 1928, darunter der Bahnhof Zoo, östlich der Zoologische Garten

 

Hier ein paar Eindrücke vom Fluidum auf dem Kampfplatz vor Beginn der Wettkämpfe: "Scharf brennt die Sonne auf den noch friedlich darliegenden Tiergarten-Sportplatz. Ratternd fahren die Stadtbahn-Züge über das Geleise, eine große rote Fahne weht am Mast, ein Riesenlautsprecher überträt die Internationale, neugierig lauschen die im Tiergarten lustwandelnden Bürger. Die ersten Zuschauer treffen bereits ein, als die Ordner dabei sind, die einzelnen Bahnen zu markiernen und den Platz für die Kämpfe herzurichten. Die Wettkämpfer sind in den Garderoben, hier und dort werden die Genossen massiert, viele kommen sofort von der Arbeitsstelle, während die Arbeitslosen vorher Zeit hatten sich vorzubereiten. Bald beginnt pulsierendes Leben an allen Ecken und Enden." 

Diese Meisterschaften der kommunisten Leichtathleten sollten auch eine Lehrveranstaltung für die Ausrichtung zukünftiger derartiger Großereignisse sein. Außerdem zählte sie zu den Aktivitäten der von der Kommunistischen Partei im Juni 1932 ausgerufenen "Antifaschistischen Aktion" sowie als "Vorprüfung zur Welt-Spartakiade 1933 in Moskau. Gerade jetzt, nach den Vorfällen auf der Olympiade in Los Angeles, die ganz in den Dienst der imperialistischen Vorbereitung gegen die Sowjetunion gestellt wurde, rüsten auch die roten Sportler zum Antikriegskongress am 27. August in Amsterdam und solidarisieren sich mit der Losung der Werktätigen in aller Welt: Bereit zur Verteidigung der Sowjetunion."

 

 

Den hohen Ansprüchen gerecht wurde die Veranstaltung mit elf neuen "Rot Sport"-internen Höchstleistungen zumindest in sportlicher Hinsicht. Und alle elf wurden auch bis zum Verbot des Arbeitersports nicht mehr verbessert, sind also ewige RekordeErfolgreichster Starter mit vier Einzelsiegen war Alfred Neumann von der Fichte-Abteilung Südost.

Es folgen die Resultate der Reichsmeisterschafts-Wettkämpfe, so weit sie uns vorliegen. Die Überlieferung durch die uns zur Verfügung stehenden Quellen ist leider lückenhaft, was wir zu entschuldigen bitten. 

 

Wettkämpfe der Männer

 

100 m (21 Starter)

1. Reisschneider (Freie Sport-Union Lichterfelde) 11,5 s – 2. Schakies (ASV Fichte Groß-Berlin Abt. Südost) 11,7 – 3. Mickinn (Fichte Nordost) 11,8

 

200 m (11 Starter)
1. Reisschneider (Freie Sport-Union Lichterfelde) 23,5 (Höchstleistung) – 2. Mickinn (Fichte Nordost) 24,00 – 3. Buge (Fichte Spandau) 24,7

 

400 m (7 Starter)
1. Rothkamm (Fichte Humboldt) 50,9 (Höchstleistung) – 2. Bombach (SC Sparta 32 Neukölln) 51,3 – 3. Richter (Fichte Spandau) 52,7

 

800 m
1. Ritschel (Freie Sport-Union Lichterfelde) 2:02,3 – 2. Großmann (Freie Sport-Union Lichterfelde) 2:02,5 – 3. Bayer (Freie Sport-Union Lichterfelde) 2:03,9

 

1500 m
1. Andrä (Fichte Ost) 4:14,7 (Höchstleistung) – 2. Großmann (Freie Sport-Union Lichterfelde) 4:17,5 – 3. Schill (Fichte Ost) 4:25,2

 

3000 m
Anders (Fichte Moabit) 9:14,5
 – weiteres n.b.

 

5000 m
1. Patzke (Fichte Mitte) 16:17,6 – 2. Behnke (Fichte Schönberg) 16:38,8 – 3. Schaumberg (Zschornewitz) 17:00,9

 

10.000 m (19 Starter)
1. Anders (Fichte Moabit) 33:48,8 (Höchstleistung) – 2. Behnke (Fichte Schöneberg) 34:53,2 – 3. Knoblauch (Bonn) 35:42,5

 

4 × 100
1. Fichte Schöneberg 45,1 – 2. Freie Sport-Union Lichterfelde "Brustbreite zurück" – 3. Fichte Südost oder ASV Lichtenberg 45,6

 

4 × 400
1. Fichte Humboldt 3:33,6 (Höchstleistung) – 2. SC Sparta 32 Neukölln 3:33,8 – 3. Fichte Spandau 3:38,0

 

3 × 1000
Freie Sport-Union Lichterfelde 8:03,0
 – weiteres n.b.

 

110 Hürden
1. Krüger (SC Sparta 32 Neukölln) 16,5 – 2. Kapielski (Fichte Charlottenburg) 17,0 – 3. Wenzel (ASV Lichtenberg) 17,6

 

400 m Hürden
1. Gosse (Fichte Spandau) 60,1 – 3. Beyer (Freie Sport-Union Lichterfelde) 1:01,6 – 3. Feske (Fichte Schöneberg) 1:03,0

 

Hochsprung
1. Alfred Neumann (Fichte Südost) 1,66 – Bahr (Fichte Humboldt), O. Wehn (SC Sparta 32 Neukölln) und Lier (Ketschendorf Fürstenwalde) je 1,63

 

Weitsprung
1. Schakies (Fichte Südost) 6,59 – 2. Karl Teller (Fichte Wilmersdorf) 6,33 – 3. Jonas (Fichte Charlottenburg) 6,25

 

Stabhochsprung (6 Starter)
1. Willi Seng (Fichte Barnim) 3,40 (Höchstleistung) – 2. Riedel (Fichte 10) 3,15 – 3. Braungart (Fichte Charlottenburg) 2,85

Anmerkung zu Willi Seng, geboren am 11. Februar 1909 inBerlin. Er war seit 1920 Mitglied bei Fichte Berlin, dem größten deutschen Arbeiter-Sportverein. 1929 nahm er als Leichtathlet an der Moskauer Spartakiade teil. Seite 1932 erzielten 3,40 m im Stabhochsprung blieben die  ewige Bestleistung im "Rot Sport". Seit 1932 KPD-Mitglied und erster KZ-Haft 1933 in Oranienburg leitete Seng ab 1934 die illegale „Rot Sport“-Organisation am Niederrhein. Am 27. Juli 1944 wurde Seng im Zuchthaus Köln hingerichtet. In Schönow (Brandenburg) steht sein Name auf einem Gedenkstein, auch ist eine dortige „Kita“ nach ihm benannt.

 

Fichte-Sportler Willi Seng, hingerichtet 1944

 

Steinstoßen
1. Boeder (SC Sparta 32 Neukölln) 8,27 – 2. Möller (Thüringen) 7,79 – 3. Hagen (Freie Turnerschaft Neukölln-Britz) 7,23

 

Kugelstoß

1. Alfred Neumann (Fichte Südost) 12,66 – 2. Pryzibilski (Freie Turnerschaft Neukölln-Britz) 11,59 – 3. Drenseck (Fichte Moabit) 11,42

 

Diskus
1. Alfred Neumann (Fichte Südost) 41,10 – 2. Eckert (ASV Adlershof) 37,18 – 3. O. Wehn (SC Sparta 32 Neukölln) 34,45

 

Speerwurf (19 Starter)
1. Alfred Neumann (Fichte Südost) 55,92 – 2. Boeder (SC Sparta 32 Neukölln) 50,37 – 3. Griebel (Thüringen) 48,87

 

Zehnkampf (1. Tag: 100 m, Weitsprung, Kugelstoß, Hochsprung, 400 m, 2. Tag: 110 m Hürden, Diskus, Stabhochsprung, Speerwurf, 1.500 m)
1. Eckert (ASV Adlershof) 818 – 2. Boeder (SC Sparta 32 Neukölln) 756,5 – 3. Selmikeit (ASV Adlershof) 572

 

 

Wettkämpfe der Frauen

 

100 m (18 Starterinnen)

keine Daten bekannt

 

200 m

1. Rose (Fichte Neukölln) 27,0 (Höchstleistung) – 2. Krajewski (Fichte Abt. 10) 27,5 – 3. Schulze (Fichte Nord) 28,0


800 m
1. Henckel (Fichte Schöneberg) 2:37,3 (Höchstleistung) – 2. Taegener (Fichte Süd) 2:39,1 – 3. Schulz (Fichte Schöneberg) 2:40,0


60 m Hürden
1. Guse (Fichte Pankow) 11,1 (Höchstleistung) – 2. Giese (Fichte Südost) 11,9 – 3Sachse (Freie Turnerschaft Neukölln-Britz) 12,3

 

4 × 100
1. Fichte Ost 53,7 – 2. Fichte Nord54,1 – 3Freie Sport-Union Lichterfelde 54,4


Kleine Schwedenstaffette (200 m, 150 m, 100 m, 50 m)
1. Fichte Ost 1:09,5 (Höchstleistung) – 2. Fichte Südost 1:09,6 (nur zwei Staffeln)


Hochsprung
1. Bolle (Fichte Wedding) 1,37 – 2. Hirschfeld (Fichte Spandau) 1,32

 

Weitsprung
1. Hirschfeld (Fichte Spandau) 5,00 (Höchstleistung) – 2. Pleß (Freie Sport-Union Lichterfelde) 4,85 – 3. Guse (Fichte Pankow) 4,76

 

Diskus

1. Kowalewski (Fichte Wilmersdorf) 30,67 – 2. Görlich (Fichte Ost) 29,24 – 3. Bautz (Fichte Charlottenburg) 28,12 

 

Speerwurf (19 Starterinnen)
1. Hirschfeld (Fichte Spandau) 28,86 – 2. Kowalewski (Fichte Wilmersdorf) 27,21 – Piepenhagen (Freie Sport-Union Lichterfelde) 26,77

 

Kugelstoß

1. Mattha (Fichte Ost) 9,99 – 2. Kowalewski (Fichte Wilmersdorf) 9,75 – 3. Krajewski (Fichte 10) 9,42

 

***

Quellen: "Die Rote Fahne" vom 13., 14. und 16. August 1932, wörtliche Zitate: Ausgabe vom Sonntag, den 14. 8. 1932; sport-record.de

Luftaufnahme: Luftbildplan 1928, Maßstab 1:4000, 164 Schwarz/Weiß-Senkrechtaufnahmen von Berlin, entstanden in einem Zeitraum um 1928. Die Luftbilder im Maßstab 1:4000 liegen im K5-Blattschnitt vor. Die Georeferenzierung erfolgte über die 4 Eckkoordinaten. Auftragnehmer: Hansa Luftbild; Informationen zum Datensatz; Bereitsteller: Geoportal Berlin; Datenlizenz Deutschland – Namensnennung – Version 2.0 

 

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