Volksstadion Rostock

 

Das Rostocker Volksstadion wurde in den Jahren 1923 bis 1928 unter Führung des örtlichen Arbeitersport-Kartells errichtet. Mit seiner damaligen Zuschauerkapazität von 20.000 war es die größte Rostocker Sportstätte, zudem das erste Leichtathletikstadion Mecklenburgs und eines der größten von Arbeitersportlern errichteten Stadien der Weimarer Republik. 

 

 

Das Vorhaben Rostocker Arbeitersportler sich einen eigenen Platz zu schaffen kam bereits im Jahr 1912 auf. Ernsthafte Planungen mussten wegen des Kriegsausbruchs zurück gestellt werden und konnte nach Jahren der Not erst 1923 neu aufgenommen werden. Im Juni 1923 gab die mecklenburgische Landesregierung dem Rostocker Arbeitersport-Kartell 200.000 Mark unter der Bedingung, dass auch die Stadt Rostock einen entsprechenden Zuschuss gewährte. Diese übertrug dem Kartell dann bereits im Folgemonat die hinter der damaligen Rennbahn gelegene Barnstorfer Sandkuhle, eine Fläche von 38.000 Quadratmetern. Der Rostocker Gartenbau-Architekt Lehmann entwarf eine für damalige mecklenburgische Verhältnisse gewaltige Arena für 20.000 Zuschauer. 

 

 

Im Dezember 1923 begannen die Geländearbeiten mit ersten Vermessungen. Die Nivellierung ergab einen Geländeunterschied von 5 Metern, was die Bewegung von 30.000 Kubikmetern Erde erfordert hätte. Um den Aufwand zu reduzieren, wurden die zwei Plätze schließlich in unterschiedlicher Höhenlage angelegt, weshalb der Hauptplatz heute noch 1,80 Meter tiefer liegt als der Nebenplatz.

Die 200.000 Papiermark hatte die Inflation bereits vor Baubeginn entwertet. Das Arbeitersport-Kartell erlegte jeden seiner erwachsenen Mitglieder einen monatlichen Sonderbeitrag von 20 Pf. Arbeitersportler erledigten auch einen Goßteil der Erdarbeiten, hinzu kamen nach Erklärung des Stadionbaus zu Notstandsarbeiten auch Arbeitslose.

Im November 1924 kaufte das Sportkartell in Priemerburg bei Güstrow eine Baracke. Im Weltkrieg hatte sie kriegsgefangene russische Soldaten und später Flüchtlinge aus den Ostgebieten behaust. Nach Abtransport und Wiederaufbau an der Stadionbaustelle diente sie ab Oktober 1925 als  Sportlertreff. Überschüsse aus der Gastronomie flossen in die weiteren Baumaßnahmen. Befreundete Firmen, Stadt und Land schossen auch imer wieder nach.

 

 

Der Baugrund hielt ein paar Überraschungen parat. Im Juli 1926 glaubte man auf eine prähistorische Grabstätte gestoßen zu sein, die sich aber bei näherer Untersuchung als normale geologische Schichtung herausstellte. Vor dem Haupteingang am Barnstorfer Wald stieß man auf einen 2,60 m großen Findling aus rotem schwedischen Granit. Die Stadt beschlagnahmte das Andenken an die Eiszeit und ließ den "alten Schweden"  bis zu einer späteren Verwendung vor Ort wieder eingraben.

 

 

Ein paar technische Daten: Das Hauptspielfeld maß 70 mal 105 m, die vierspurige 400-m-Laufbahn war aus Lehm, Torfmull und Schlacke geschichtet,  in ihren Kurven lagen die Sprung- und Wurfplätze. Auf der Westseite ragte die 2,70 m hohe Stehtribüne auf, an der Ostseite stieg zum höher gelegenen Nebenplatz eine Rasenböschung auf, auf der man bei Trockenheit auch sitzen konnte. Der Innenraum fasste bei Aufmärschen10.000 Sportler und 3000 bei gleichzeitiger Gymnastik.

Als dann nach streckenweise schleppenem Fortschritt war dann gegen Ende 1927 alles soweit gediehen, dass das Arbeitersport-Kartell den 29. Juli 1928 als Eröffnungstermin festsetze. Der Festtag begann dann mit einem Konzert von 200 proletarischen Spielleuten auf dem Margaretenplatz und dem anschließenden Festumzug zum Arbeitersport-Stadion mit über 3000 Teilnehmern. In der Arena wehten die Fahnen des ATSB, der Republik, des Landes Mecklenburg und der Stadt Rostock. Vier ausgestellte Lautsprecher brachten die Ansagen der Festredner allen 10.000 Zuschauern zu Gehör.

 

Mecklenburgs Ministerpräsident Paul Schröder (SPD) begrüßt die Arbeitersportler, links SPD-Reichstagsabgeordneter Carl Schreck

 

Über den Ablauf der Eröffnungsfreier zitieren wir den bürgerlichen "Rostocker Anzeiger": "'Das Arbeitersport-Kartell weihte gestern sein neuerbautes Stadion in Barnstorf, hinter der Rennbahn gelegen, ein. Bereits um 1 Uhr mittags bewegte sich ein großer Festzug durch die Straßen der Köpeliner Torvoststadt. Das Wetter war der Veranstaltung günstig, ungefähr 10  –12.000 Zuschauer mögen der daran anschließenden Einweihung und den sportlichen Wettkämpfen beigewohnt haben. Als erster Redner ergriff Reichstagsabgeordneter Schreck das Wort, dem sich Ministerpräsident Schröder mit Grüßen der Regierung anschloss. Für den Rat der Stadt Rostock sprach Stadtrat Dr. Langerstein anerkennende Worte über die fünfjährige zähe Arbeit der eigenen Mitglieder. Doch auch der Rat habe es nicht an seiner Hilfe, hauptsächlich in finanzieller Art, fehlen lassen. Zum Schluss sprach Herr Dr. Langerstein den Wunsch aus, dass noch einmal der Tag kommen möge, wo gerade durch den Sport politische Gegensätze überbrückt würden. Die nun folgenden gymnastischen Vorführungen von Turnern und Turnerinnen, die Verschiedenen Spiele und ein Reigen der Radfahrerfanden den Beifall des Publikums. Erst in den Abendstunden war die Feier beendet."

 

100-m-Entscheidung der Sportlerinnen, die Rostockerin Schleiff siegt in 14,6 Sekunden.

 

Nur nur wenig länger als vier Jahre konnten sich die Rostocker Arbeitersportler an ihrem Stadion erfreuen. 1933 wurde es wie alle Arbeitersporteinrichtungen von den Nazis beschlagnahmt und in "Volksstadion" umbenannt.

Bis zum Bau des Ostseestadions blieb es Rostocks wichtigster Sportplatz. In der Saison 1951/52 trug die BSG Motor Wismar hier ihre Oberligaspiele aus. Später spielten hier vor allem Nachwuchs und Reserven von Empor und Hansa. Das Oberliga-Kollektiv des F.C. Hansa bestritt hier 1986/87 wegen einem neuen Rasen im benachbarten Ostsee-Stadion 9 Punkt- und zwei Pokalspiele. Im Sommer 1989 trat Hansa hier auch zu den Heimspielen im Intertoto-Cup 1989 an.

Heute übt und spielt hier der Vereinsnachwuchs.

An Stelle des einstigen Sporthauses steht heute die Hansa-Nachwuchs-Akademie. Im Barnstorfer Wald unweit des alten Haupteinganges steht seit 1975 ein Gedenkstein für den 1944 im KZ Sachsenhausen ermordeten Rostocker Arbeitersportler und Stadion-Miterbauer Rudolf Mokry.

Und der große rote Granitfindling? Er befindet sich heute vor dem Ostseestadion und erinnert an 230.000 freiwillig geleistete Aufbaustunden beim Bau des alten Stadions sowie an den Umbau 2000/2001. 

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Quellen: "Nordischer Arbeitersport" vom 16. Juni und 6. August 1928, "Rostocker Anzeiger" vom 31. Juli 1928, Doku "Zeitreise Sport" mit Schwerpunkt Rostocker Sportgeschichte

Weitere Informationen zum Stadion und zum Rostocker Arbeitersport findet Ihr hier:

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© Christian Wolter

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