30.000 waren unterwegs… 

Auf dem Weg nach Wien

 

Die Zahl deutscher Arbeitersportlerinnen und Arbeitersportler, die mitten in der Weltwirtschaftskrise unter schwierigsten Bedingungen zur II. Arbeiter-Olympiade 1931 nach Wien reisten, wird auf 30.000 geschätzt.

 

Vier Mann, vier Monate: Von Winterhude nach Wien und auch wieder zurück! (2. von links: Helmuth Grätz)

 

Mit dem Fahrrad unterwegs…

… waren vier Sportler des ASC aus Hamburg-Winterhude. Und zwar von Mai bis September 1931 (die Arbeiterolympiade fand vom 19. bis 26. Juli statt). Helmuth Grätz, geb. 1909 und von Beruf Schiffszimmermann: „Wir waren doch alle arbeitslos, und da haben wir beschlossen: Nu’ woll’n wir mal los! Wir mussten uns ja bloß beim Arbeitsamt abmelden.“

Unterwegs gab es nur eine Unterstützung von der Gewerkschaft, eine Mark oder 1.50, und die Solidarität der Arbeitersportler an anderen Orten. „Übernachtet haben wir bei der Bahnhofsmission, in Heuhaufen und in München bei den „Barmherzigen Brüdern“. Da war’n wir dann eben mal einen Tag lang katholisch.“

 

Hamburger Arbeitersportler im Heubett der Wiener Massenunterkunft

 

Der Sonderzug nach Wien…

… wurde in der SPD-Tageszeitung „Hamburger Echo“ wie folgt angekündigt: „Es ist in diesem Jahre nicht möglich, dass die Teilnehmer an dem Sonderzug geschlossen nach dem Hauptbahnhof marschieren können (…) Der Sonderzug, der die Bezeichnung Tuz 18 trägt, fährt von Hamburg Hauptbahnhof am Dienstag, 21. Juli, 19.18 Uhr ab. Gehalten wird an folgenden Orten: Hagenow Land, Ludwigslust, Wittenberge, Stendal, Magdeburg, Dessau, Bitterfeld, Leipzig. Ein längerer Aufenthalt ist in Reichenbach i. Vogtland am 22. Juli von 5.20 bis 6 Uhr vorgesehen (…)

 

Wagen 11, Raucher: Damen und Herren vom FTSV Wandsbeck 1881 vor Abfahrt des Olympia-Sonderzuges. An zwei Jacken ist die dreieckige Olympia-Teilnehmernadel zu erkennen.

 

Der Zug trifft in Wien auf dem Bahnhof Jedlersee am Mittwoch um 22.32 Uhr ein (…) Rückfahrt nicht von Heiligenstadt wie auf der Fahrkarte angegeben, sondern am Montag, 27. Juli, um 15.33 Uhr wiederum ab Jedlersee. Der Sonderzug trifft am 28. Juli, nachmittags 17.45 Uhr, in Hamburg ein.

Die etwa 20 Olympia-Reisenden von Wandsbek 81 (Anm.: damals preußisch, heute zu Hamburg gehörend) fahren mit dem Sonderzug nach Wien, der auch die Skandinavier dorthin bringt. Pro Kopf haben sie 100 Mark von der Stadt erhalten. 200 Mark muss jeder selbst aufbringen“

 

Proletarisch-solidarisch wird der Wagen von Ottensen 93 wieder auf den Weg nach Wien gebracht.

 

Illegal über die Grenze…

… gingen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom ATSV Ottensen 93 aus Altona, damals noch kein Teil von Hamburg, sondern eine selbständige Stadt, nach Wien unterwegs. Aus der "75 Jahre"-Jubiläums-Festschrift von 1968:

„Die Fahrt zur 2. Arbeiter-Olympiade 1931 nach Wien war für die 30 Teilnehmer ein unvergessliches Erlebnis. Mit einem 2,5 Tonner-Lkw ging es in 35 km-Geschwindigkeit über Leipzig, Fichtelgebirge, Regensburg und Passau an der Donau entlang nach Wien, wo uns ein begeisterter Empfang entgegenschlug. Zurück ging es über Regensburg, Fränkische Schweiz, Nürnberg, Thüringer Wald und den Harz.

Wenn man bedenkt, dass die Fahrt durch alle Ortschaften, durch Städte und Dörfer der Gebirgslandschaft ging, ohne Autobahnen und Umgehungsstraßen, wenn zweimal neuer Bremsbelag erforderlich war und drei Reifenpannen dazwischen kamen, dann wird man es respektieren müssen, dass wir diese Reise in 14 Tagen geschafft haben (…)

Eine unheimlich geladene Spannung überfiel die Stimmung der Teilnehmer auf der Hinfahrt. Fast hätten die neuen Bestimmungen eines Grenzverkehrs, die am Tage unserer Abfahrt abends um 24 Uhr in Kraft traten, unsere Teilnahme an dem Olympia unmöglich gemacht. Bei Passau gelang es uns, mit Hilfe eines einheimischen Turngenossen bei nächtlichem Gewitter die Grenze zu passieren.“

 

Geschafft – Ottensen 93 im Olympia-Festumzug (ab 2ter in der Reihe: Hoche, Lippert und Probst)!

 

In Wien trafen die Ottenser verspätet ein. Turnwart Ernst Hoche (1905-1972), der sich nach 1945 vergeblich für ein Wiederbeleben des Arbeitersports engagierte: „Unübersehbare Menschenmassen, die gerade von einer Abendveranstaltung kamen, jubelten uns zu und immer wieder erscholl das 'Frei Heil!' und 'Freundschaft!' aus tausendfachem Munde.“

 

***

 

Zusammenstellung: Werner Skrentny, Hamburg

Bildmaterial: Archiv Arbeiterkultur Hamburg

 

 

Anmerkungen:

Bild 1: Der ASC aus Hamburg-Winterhude hatte sich im Stadtteil gebildet, als der VfL 05 zum kommunistischen Rotsport tendierte und Hamburg 93 SPD-treu blieb.

Auf Bild 3 ist rechts oben im Fenster zu sehen ist Fritz Bauer (1909-1997), bis zum Verbot 1933 Vereinsvorsitzender von Wandsbek 81 und von 1962 bis 1981 Präsident des Hamburger Sport-Bundes.

 

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© Christian Wolter

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