Arbeiterfußballer auf Zigaretten-Bildern

 

Der Arbeiterfußball-Kosmos ist bunt und voller Überraschungen. Für eine der Verblüffungen sorgte die Zigaretten-Fabrik Richard Greiling AG mit der 1926 herausgebrachten Sammelserie "Fußballsport", denn unter die 905 verschiedenen Motive wurden auch einige ATSB-Spieler gemischt.

Der VfL Leipzig-Stötteritz ist mit neun Spielern vertreten, der Dresdner SV viermal, und auch die übrigen Einzelporträts zeigen Sachsen. Dies ist damit zu erklären, dass die Firma Greiling in Dresden ansässig war, Sachsen den Arbeiterfußball damals dominierte und dieser hier auch besonders populär war.

Arbeiterfußballer auf Werbeträgern stellen aber eine absolute Ausnahme dar. Offiizelle Verlautbarungen des Arbeiter-Turn- und Sportbundes zu diesem "verbürgerlichten" Auswuchs von "Kanonen-Kult" und "Reklamerummel" sind uns leider nicht bekannt.

 

 

Bild 37 zeigt den Spieler Magdeburg vom VfL Stötteritz. Die Beschriftung der Rückseite lautet: "Magdeburg linker Läufer beim Altmeister S. V. Leipzig-Stötteritz zeichnet sich durch gutes Kopfspiel u. große Ausdauer aus"

Fehlerhafte Interpunktion und unkorrekte Angaben von Vereins- und Spielernamen durchziehen die ganze Serie, taten ihrem Erfolg aber keinen Abbruch.

 

 

Bild 40: "Schmidt der schnellste Rechtsaußen d. Altmeisters S. V. Leipzig-Stötteritz im Arbeitersportkartell"

 

 

Paul "Kohn" Schmidt spielte im Verein wie auch in der Kreis- und der ATSB-Auswahl zusammen mit seinem Bruder Richard. Gemeinsam gewannen sie die Bundesmeisterschaften 1921 bis 1923 und den Olympia-Sieg von 1925. Damit waren sie das mit Abstand erfolgreichste Brüderpaar im Arbeiterfußball.

 

 

Bild 41: "Gebert der Mittelläufer des Altmeist. S. V. Leipzig-Stötteritz im Arbeitersportkartell"

Richtig heißt dieser Spieler Gebhart. Während die ersten Bilder noch mit Perforierungen und auf dünnem Papier erschienen, wechselte die Machart hin zu dünnem Karton mit etwas größeren Maßen, geraden Kanten und mehr oder weniger abgerundeten Ecken. In Nachauflagen erschienen die ersten Motive ebenfalls im neuen Format.

 

 

Bild 124: "Krause Leipzig-Stötteritz"

Heiner Krause spielte 1927/28 fünfmal in der ATSB-Auswahl, davon viermal in Länderspielen, wobei ihm 2 Tore gelangen. Sein Debüt hatte er beim legendären 2:8 gegen die Sowjetunion. 

 

 

Bild 125: "Schneider, Leipzig-Stötteritz– Zu Karl Schneider haben wir bislang nur die Informationen von der Rückseite:

 

 

"Schneider, Leipzig-Stötteritz im Arbeitersport-Kartell, stürmt in seinem Verein halbrechts und zeichnet sich durch Schnelligkeit und gutes Kombinations-Verständnis aus. Trotz seiner geringen körperlichen Mittel versteht er es mit großer Gewandheit, sich gegen die robusterste Verteidigung durchzusetzen."

 

 

Bild 127: "Kriselius Leipzig-Stötteritz"

Auch hier ist der Name des Spielers falsch geschrieben. Walter Crecelius (19. November 1901 bis 19. März 1979, Schwimmmeister, gewann als Links- wie Rechtsverteidiger und Aushilfs-Torwart mit dem VfL 1921 bis 1923 die Bundesmeisterschaft. Für den ATSB machte er von 1928 bis 1932 17 Länderspiele und ist damit Leipzigs Rekord-Internationaler für den ATSB, dessen Kapitänswürde er auch trug.

Nach dem Arbeitersport-Verbot spielte er für den SV Fortuna 02 bzw. den SC Wacker Leipzig und am 19. Mai 1946 für die Leipzig-Auswahl der Alten Herren gegen Halle (2:1). 

 

 

Bild 128: "Geuther, Leipzig-Stötteritz"

Der rechte Läufer gewann dreimal die Bundesmeisterschaft. In der ATSB-Auswahl hatte er zwei Einsätze: gegen die Tschechoslowakei 3:1 und gegen Polen 12:0, beide im Turnier des Österreichischen Arbeiter-Sportfestes 1926 in Wien.

 

 

Bild 131: "Heinrich Leipzig-Stötteritz im Arbeitersport-Kartell, spielt in seinem Verein als Mittelläufer und füllt diesen schwierigen Posten trotz seiner kompakten Figur und seines reifen Alters ausgezeichnet aus. Er besitzt ein ausgezeichnetes Stellungsvermögen."

 

 

Bild 133: "Crämer Leipzig-Stötteritz im Arbeitersport-Kartell, spielt in seinem Verein als linker Verteidiger. Infolge großer Körperkraft und Energie verfügt er über einen weiten Schlag, gutes Kopfspiel und geschickte Taktik. Er ist nur durch ganz raffiniertes Kombinationsspiel zu überwinden."

Wie die meisten (oder alle) Stötteritzer in dieser Serie gewann auch Krahmer (nicht Crämer!) dreimal die Meisterschaft im ATSB. Hinzu kamen 7 ATSB-Länderspiele und der Olympia-Sieg 1925. Später wechselte Krahmer vom ATSB zur Kampfgemeinschaft für rote Sportauswahl, in deren Reichsauswahl er auch berufen wurde.

 

 

Bild 36: "Mücklich"

Gemeint und gezeigt ist Erich Mücklich, beidseitiger Verteidiger sowie Mittelläufer, mehrfacher Bundesmeister mit dem Dredner SV von 1910. Mücklich hatte 13 Einsätze für den ATSB, davon 10 in Länderspielen (1924 bis 1928). Als Auswahlspieler des 4. Kreises (Sachsen) nahm er 1927 an der Tournee durch die Sowjetunion teil.

Nach 1945 war er hauptamtlicher Vorsitzender der DSV-Nachfolger SG Striesen, ZSG Nagema Dresden und BSG VVB Tabak Dresden sowie Sportfunktionär in Gröditz.

 

 

Bild 38: "Sparke"

Rudolf "Rudi" Sparke, als Torwart vom Dresdner SV viermal Bundesmeister, 6 ATSB-Länderspiele, 1925 Fußball-Olympiasieger, 1927 Teilnehmer der Spielreise durch die Sowjetunion, wechselte im März 1928 zum örtlichen DFB-Verein Dresdner SC.

 

 

Bild 39: "Richter"

Willy Richter, "der erprobte Mittelstürmer des Deutschen Meisters im Arbeitersport-Kartell, Dresdner Sport-Verein 1910". 3 ATSB-Länderspiele, später Wechsel zu Sachsen Gautzsch ("Rot Sport")

 

 

Bild 132: "Niese Dresdner Sp.-V. Als linker Verteidiger eine Größe im internationalen Arbeitersport. Nahm an zahlreichen Repräsentativ- und Länderspielen teil, zeichnet sich durch Technik, Taktik, Kopfspiel, weiten Schlag, Zuverlässigkeit und Schnelligkeit aus."

Martin Niese lief bei 9 Länderspielen für den ATSB auf und schloss sich nach der Spaltung des Dresdner SV der kommunistischen Fraktion an, mit der er 1931 Reichsmeister der Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit wurde. 

 

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Bild 126: "Tröger Chemnitz im Arbeitersportkartell, spielt in seinem Verein als Verteidiger und ist bekannt als ein technisch und taktisch raffinierter Fußballer, der auch versteht, seine körperliche Kraft im richtigen Moment einzusetzen.Tröger spielte bei Rapid Chemnitz. 

 

 

Bild 31 zeigt W. Bauer vom ASV Vorwärts Chemnitz-Bernsdorf: "Bauer Chemnitz talentierter Mittelhalf des Kartells. Er vertrat bereits mit bestem Erfolg seine Vaterstadt repräsentativ.

 

 

Und Bild 32 verrät über den Dargestellten: "Päßler, Chemnitz erfolgreicher Repräsentativer des Kartells. Im Städtekampf Moskau-Chemnitz traten seine Fähigkeiten besonders hervor."

Gemeint ist das Spiel am 23. Juli 1926 in der Radrennbahn Altendorf (7:2 für Moskau), an dem auch die anderen in dieser Galerie vertretenen Chemnitzer mitwirktenPäßler spielte als rechter Läufer beim SV Sachsen 1911 Chemnitz-Altendorf.

 

 

Bild 33: "Uhlig, Chemnitz ein Torwart größten Formats, der öfters schon die deutschen Farben des Arbeiter-Sportkartells vertrat. Trotz seiner bescheidenen Größe gleich gut in der Abwehr hoher als auch flacher Schüsse. Uhlig hat geradezu einen glänzenden Instinkt." 
Kurt Uhlig vom SC Chemnitz Einsiedel trat 1926-1927 in 6 Länderspielen und einem weiteren Bundesauswahl-Spiel gegen Ostbelgien an. Am 18. April 1927 gegen Österreich auf der Hohen Warte in Wien hatte er einen Zusammenprall mit einem österreichischen Spieler. Mit einer schweren Nierenquetschung kam er sofort ins Krankenhaus, konnte seine Fußballkarriere aber fortsetzen und auch noch das Tor der Sachsen-Auswahl hüten.

 Von "Kurzer, Dresden-Pieschen", Vorname Alfred, ist uns nur bekannt, was uns sein Foto auf Bild 129 mitteilt, sowie dass er als Mittelläufer der Freien Turnerschaft Pieschen spielte. Größter Erfolg der FT Pieschen war die Vize-Meisterschaft 1926 im ATSB-Spielbezirk Dresden hinter dem Dresdner SV. 

 

 

Und zum krönenden Abschluss dieser glanzvollen Fußballer-Parade nun noch Bild 377: "F.C. Lorbēr, Hamburg"

 

 

Text der Rückseite: "Fußballklub Lorbeer, Hamburg gehört dem Arbeiter-Sportkartell an und spielt in demselben eine ausgezeichnete Rolle. Namentlich in Norddeutschland gehört er zu den besten Vertretern seines Standes."

 

 

Bild 382: "Fortuna Dölau errang die Kreismeisterschaft 1927 des 2. Kreises im Arbeiter-Turn- und Sportbund." Der Verein aus dem damaligen 3000-Seelen-Ort Dölau gewannen außerdem 1926, 1927 und 1929 die Meisterschaft seines Spielbezirkes. Dölau ist heute ein Stadtteil von Halle/Saale, der Verein existiert als SV Blau-Weiß Dölau fort.

 

 

Ergänzung vom 15. März 2019: Inzwischen wurden wir von Besuchern unserer Seite darüber informiert, dass auch die Dresdner Zigaretten-Fabrik Casanova Fußballer-Bilder in den Verkehr brachte, darunter sogar Motive aus der Greiling-Serie wie diese von Schamdefky:

 

 

Nr. 101: "Schamdefky, Chemnitz, gehört trotz seiner Jugend zu den beliebtesten Repräsetativspielern Mittelsachsens im Arbeiter-Sportkartell. Er ist außerordentlich ehrgeizig und hat sich gegen die stärksten Mannschaften immer in Ehren zu behaupten verstanden."
 

 

Nr. 102 zeigt den in der Greiling-Serie bereits gezeigten Päßler, der hier bei Casanova allerdings Bäseler heißt, und auch die Beschreibung ist nicht identisch mit der auf dem Greiling-Bild:

 

 

Bisher ist uns nur ein Zigaretten-Sammelbild aus dem Arbeiterfußball bekannt, das eine Spielszene zeigt. Die Aufnahme entstand am 31. August 1926 im Stuttgart bei einem Spiel der dortigen Arbeiter-Auswahl gegen Moskau (1:9) vor 12.000 Zuschauern auf dem Platz des Stuttgarter SC 1900:

 

 

Der Vollständigkeit halber bringen wir hier auch noch die Karte mit dem SV Stern 24 Braunschweig. Er "gehörte früher dem Arbeitersport-Kartell an, hat sich jedoch dem Deutschen Fußball-Bunde angeschlossen und spielt zurzeit im örtlichen Bezirk desselben bereits eine sehr gute Rolle."
 

 

Natürlich stellt sich die Frage, wie kapitalistische Firmen an die Bilder sozialistischer Arbeiterfußballer gelangten. Dazu folgende Meldung in der "Freien Sport-Woche" vom 27. Oktober 1926:
"In letzter Zeit sind uns von einer größeren Anzahl [von] Vereinen und auch von mehreren Bezirksleitungen Protestschreiben darüber zugegangen, daß Zigaretten-Fabriken ihren Packungen allerhand Bilder von Fußballspielern beigelegt haben, um damit Reklame zu machen. In den meisten Fällen sind die photografischen Aufnahmen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erfolgt. Die Spieler selbst und deren Vereinsleitungen haben an uns geschrieben, daß wir der Firma verbieten sollen, die Bilder weiter beizulegen. Das ist geschehen.
Wir ersuchen nun sämtliche in Frage kommende Vereine und Bezirksleitungen, wegen diesen nicht genehmigten Bilderbeilagen ein kurzes Protestschreiben ab die Firma: Zigaretten-Fabrik Greiling A.-G., Dresden, Nossener Straße 1, zu richten und wenn noch andere Firmen mit Bildern den selben Unfug treiben, auch an diese Firmen zu scheiben. In diesen Protestschreiben kann die Firma darauf aufmerksam gemacht werden, daß, wenn die Bilderbeilagen nicht unterbleiben, die betreffenden Spieler Unterlassungsklage anstreben werden.
Unterbleiben die Bilderbeilagen nicht, dann bleibt nichts anderes übrig, als gegen die Firma vorzugehen. Den Vereinen und Bezirksleitungen dies zur Kenntnis, daß vom Bund [= Arbeiter-Turn- und Sportbund] aus keiner Firma Genehmigung erteilt wurde, solche Bilder beizulegen. Dazu hätte der Bund nicht einmal das Recht. Das steht nur den Genossen selbst zu."
 
Mitteilung in der "Freien Sport-Woche" vom 6. Oktober 1926 zur selben Problematik

 

Allerdings konnten Fußballer sich damals kaum erfolgreich gegen derartige Vereinnahmung wehren, wie selbst der damalige HSV-Star (und Nichtraucher) Tull Harder erfahren musste. Nachdem nämlich ein Hamburger Hersteller ungefragt mit ihm Werbung machte („Sportler raucht die neue Tull Harder Cigarette"), rief auf sein Verlangen hin der Deutsche Fußball-Bund das Reichsgericht in Leipzig an, und dies urteilte 1926, dass Tull Harder eine Person der Zeitgeschichte sei und deshalb mit ihm geworben werden dürfe!
So erklärt es sich wohl auch, dass Arbeiterfußballer noch in späteren Serien von Greiling sowie von Plagiateuren wie dem Hersteller der Marke "Casanova" vorkamen.
1933 endete für Torjäger Richard Hofmann vom Dresdner SC die Karriere im Nationalteam, weil er für die Zigaretten-Firma Bulgaria (ebenfalls aus Dresden) gegen Geld mit Glimmstengel im DFB-Trikot posiert hatte. So ist anzunehmen, dass die in der Greiling-Serie abgebildeten DFB-Fußballer auf Nachfrage natürlich nicht für Geld oder sonstige Vergütungen vor die Linse getreten waren. Alles andere hätte ja gegen den offiziellen Amateurismus, der us steuerlichen Gründen im DFB herrschte, verstoßen.
Die Greiling-Sammelserie "Fußballsport" war dessen ungeachtet ein großer Erfolg, sorgte für Kundenbindung und Popularität schon bei den Kindern und zog weitere Fußballserien nach sich. Den künstlerischen Höhepunkt erreichte das Genre 1931 mit dem Kurmark-Album des Zigaretten-Herstellers Garbaty (Berlin-Pankow) und die dazugehörigen Kärtchen mit den anspruchsvoll produzierten Emblemen und Spielerkluft-Designs aller damaligen 645 (!) DFB-Erstligisten, darunter übrigens auch die Firmenmannschaft von "Ring Greiling Dresden". 
 
***

 

 

Vielen Dank für das Bildmaterial an Jan vom Altona 93-Fanzine "All to nah", für die Spielerdaten sowie Greiling-Bild 31 und 32 an Rolf Frommhagen ("Die andere Fußball-Nationalmannschaft"), für Greiling Nr. 132 und Stuttgart – Moskau bei Eike Stiller und für Greiling Nr. 133 bei Rainer Hertle! Für Fortuna Dölau und SV Stern 24 Braunschweig danke an Michael Quell!

 

Weiterführende Links:

 

Disclaimer: Rauchen kann tödlich sein, führt zur Verstopfung der Arterien, Herzinfarkten, Schlaganfällen, tödlichem Lungenkrebs usw.

 

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