"Roter Putilow" – Deutschland-Tournee 1927 

 

Wir nehmen den 75. Jahrestag der Befreiung Leningrads zum Anlass, zu den Spuren der Fußballmannschaft "Roter Putilow" zu recherchieren. 

Der heutige OAO Kirowski Sawod in St. Petersburg geht auf eine Gießerei für Kanonenkugeln von 1789 zurück. 1868 kaufte sie der "russische Krupp" Nikolai Putilow und entwickelte das nun nach ihm benannte Werk zum größten Industriebetrieb der Stadt. Die Putilow-Fußballabteilung bestand ab 1914 und gilt damit als erster russischer Arbeiter-Fußballverein! Der russischsprachigen Wikipedia nach reicht die Vereinsgeschichte sogar bis 1899 zurück!

Im Februar 1917 wurden die Putilow-Arbeiter dann revolutionär, streikten und hatten einen wichtigen Anteil an der Februarrevolution. Nach der Oktoberrevolution im selben Jahr wurde das Werk umbenannt in Sawod Krasny Putilowez (Werk "Roter Putilower"). 

Die Fußball-Mannschaft "Roter Putilower" spielte im sowjetischen Fußball der Frühzeit eine größere Rolle. Im Kader der UdSSR-Auswahl, die 1923 ins Ausland reiste und dabei auch drei Spiele bei deutschen Arbeiterfußballern absolvierte, stand mit Wladimir Wonog ein "Putilower". Mit seiner Vereinsmannschaft bereiste Wonog Deutschland noch einmal 1927. 

Am 22. Juni 1927 berichtete die "Freie Sport-Woche", dass die spielstarke Putilow-Mannschaft aus Leningrad für August bis September nach Deutschland kommen würde. Gegner wurden noch gesucht. Vereine oder Spiel-Bezirke konnten die Russen mit Übernahme von je 2400 Mark Fahrkosten sowie Verpflegung und Unterkunft verpflichten. So kam es zu sechs Spielen gegen ATSB-Teams. 

Die Truppe hatte sich dazu mit einigen Spielern anderer Leningrader Werksmannschaften ("Bolschewik", "Elektrokraft") verstärkt. Über das Schicksal von lediglich drei uns namentlich bekannten Spielern (Kapitän und Mittelfeld-Stratege Wonog, Halbrechter Muraschow sowie D. Schtuki) konnte nur in Erfahrung gebracht werden, dass Wladimir Wonog am 16. März 1942 während der Leningrad-Blockade starb. Sein Mannschafts-Kamerad Schtuki soll den Großen Vaterländischen Krieg überlebt haben.

Die Sechs Spiele vom Sommer 1927  geben wir anhand der Spielberichte aus der "Freien Sport-Woche" wieder.

 

Putilow-Ankündigung in der "Freien Sport-Woche" Nr. 32 (10. August) 1927

 

20. August 1927 Bezirks-Auswahl Forst – Putilow 4:2 (2:2), 5000 Zuschauer, Stadion Forst

Großzügige Reklame brachte einen guten Erfolg. Schon der Empfang am Donnerstag machte einen großen Eindruck. Fünftausend Anwesende riefen der russischen Mannschaft ein donnerndes "Frei Heil!" entgegen. Am Freitag fand ein gut gelungender Begrüßungsabend statt. Vorführungen der Vereine des Arbeitersport-Kartells füllten, nebst den Begrüßungsreden, den Abend aus.

Im Namen der Stadt Forst hieß Stadtrat Pulschneider die Gäste willkommen. Der Sonntag brachte launisches Aprilwetter. Doch als der Zustrom begann, lag das herrliche Stadion im hellen Sonnenschein. Vier- bis fünftausend Zuschauer gaben dem Spiel einen würdigen Rahmen. Fotograf und Überreichung eines roten Nelkenstraußes bildeten die übliche Einleitung.

Die russische Mannschaft gefiel ausgezeichnet. Sicheres Ballstoppen und verblüffendes Täuschen riefen Bewunderung hervor. Der Ball wanderte flach von Mann zu Mann. Auch die Flügel wurden im rechten Moment blitzschnell bedient. Jede Stellung war gut besetzt. Mittelstürmer, Rechtsaußen und Mittelläufer waren die besten Leute. Von den vier erzielten Toren waren zwei zu vereiteln.

Die Forster Elf übertraf sich selbst. Vor Halbzeit führte sie 2:1, bis sieben Minuten vor Pausenpfiff ein 2:2 zustande kam. Das letzte Tor war unverdient. Besonders gefielen Rechtsaußen, Mittelläufer und Torwart. Die erzielten Tore waren gute Leistungen des Halblinken und Rechtsaußen. Die Forster Arbeitersport-Bewegung hat durch dieses Spiel viel gewonnen.

 

aus "Freie Sport-Woche" Nr. 34 (24. August) 1927

 

21. August 1927 Bezirksauswahl Halle/Saale – Putilow 2:8 (2:4), 6000 Zuschauer

Von 6000 Zuschauern lebhaft begrüßt und unter den Klängen der Spielmannszüge erschienen die Mannschaften auf dem Spielfeld. Putilow wählte den Wind im Rücken. Mit gegenseitigem Abtasten nach schwachen Stellen hat das Spiel seinen Anfang genommen. Schon in diesem Abschnitt mussten beide Torhüter durch Abwehr scharfer Schüsse ihr Können beweisen. Bald übernahm Putilow das Kommando ...

Die Putilow-Elf spielte wie aus einem Guss. Es gab keine schwachen Stellen. Die hallische Mannschaft war nach dem letzten Spiel gegen Norwegen nicht wiederzuerkennen. Die Hintermannschaft stand ihren Mann, war aber naturgemäß dem Drängen der Leningrader auf Dauer nicht gewachsen; der Sturm versagte. Die Niederlage ist ehrenvoll in Anbetracht der gezeigten Leistungen.

 

Szene aus dem Spiel zwischen Halle/Saale und Putilow am 21. August 1927

 

24. August 1927 TV Vorwärts Süd Leipzig – Putilow 2:3 (0:3),  4000 Zuschauer

Nachdem Russlands Ländermannschaft bei ihrer Deutschland-Reise durch zahlenmäßige Erfolge, die wohl allen noch in Erinnerung sind, ihren Fußball demonstrierten, war nun eine Werksmannschaft von Russland bei Vorwärts Süd zu Gast und konnte, wenn auch erst nach Kampf und mit viel Glück, einen knappen Sieg mit nach Hause nehmen.

Es sei gleich gesagt, die Gäste enttäuschten mit ihrer Spielweise; denn man hoffte, hier das flache Spiel wie bei der Länder-Mannschaft bewundern zu können, doch nur einige Zeiten kam es zum Vorschein. Sonst befleißigte man sich einer hohen Spielweise, der sich der Gastgeber in der ersten Halbzeit anpasste, um aber in der nächsten Spielhälfte meist den Ton anzugeben, wobei die Russen stark in ihre eigene Spielhälfte zurückgedrängt wurden.

Nur die Unentschlossenheit der Stürmer verhinderte die Erfolge. Bei etwas mehr Glück im Schießen hätte leicht Vorwärts Süd den Sieger stellen können. Der Schiedsrichter amtierte einwandfrei.

 

27. August 1927 Bezirksauswahl Erfurt – Putilow 3:3 (3:2), 5000 Zuschauer, Johannesplatz (= Platz der Freien Turnerschaft Erfurt)

Bereits am Donnerstag (25. August) trafen die russischen Gäste, von der Erfurter Arbeiterschaft herzlichst empfangen, ein. Am Freitagabend fand die Begrüßungsfeier statt. Der Saal war überfüllt.

Dem Spiel am Sonnabend sah man mit bangem Erwarten entgegen. Doch hat sich die Erfurter Bezirks-Mannschaft glänzend geschlagen. Man sah sofort, dass die Gäste eine Mannschaft ins Feld gestellt hatten, die den Fußball vollkommen beherrscht. Ballstoppen, Abgeben und Flügelspiel waren einzig.

Schon in der zweiten Minute war der erste Erfolg erzielt, dem sich der zweite Treffer durch schönen Durchbruch anreihte. Erfurt hatte sich zusammengefunden. Dadurch blieb es ein offenes und spannendes Spiel. Der Erfolg für Erfurt blieb denn auch nicht aus. Ein schöner Schuss landete im Netz. Die Russen ließen nicht locker und ein Elfmeter bringt ihnen den dritten Erfolg. Schon glaubte man an eine hohe Niederlage, doch Erfurt gab den Kampf nicht auf. Ebenfalls ein Elfmeter brachte das zweite Tor, so dass mit 3:2 gewechselt wurde.

Nach der Halbzeit ein selten schönes Spiel. Zweimal rettete der Pfosten bei Erfurt. Die Außenstürmer der Russen fielen durch ihre blendenden Läufe auf, die Mitte, von ihrer Läuferreihe gut unterstützt, arbeitete brillant. Die Verteidiger und Tormann verrichteten ihre Arbeit in Ruhe.

Erfurt spielte aufopfernd und zähe und konnte in der Schlussviertelstunde unter brausendem Jubel der Zuschuaer den Ausgleich erzwingen. Der Endspurt der Russen brachte nichts ein, und neidlos erkannten die russischen Gäste das unentschiedene Resultat an, trotzdem sie an Ballbehandlung und Tehnik den Erfurtern überlegen waren. Das Spiel war ein großer Erfolg für den Arbeitersport.

 

Putilow-Elf vor dem Spiel gegen die Erfurter Bezirksauswahl am 27. August 1927

 

29. August 1927 Bezirksauswahl Gotha – Putilow 2:3 (0:3), 2500 Zuschauer, Sportplatz Leinefelder Straße

Herzlicher Empfang der Russen in Gotha. Die Gäste beherrschen in der ersten Halbzeit das Spiel. Allgemeine Bewunderung erregt die ruhige und technisch feine Spielweise. In regelmäßigen Abständen erzielen sie drei Tore.

In der zweiten Halbzeit kann Gotha das Spiel (mit Wind und Sonne spielend) offen gestalten. Ihre Angriffe werden wuchtiger. In der 65. Minute kann der Rechtsaußen unter großem Jubel das erste Tor erzielen, das schönste des Tages. 10 Minuten später folgt das zweite durch Halbrechts. Der Schiedsrichter war bei dem Spiele ein aufmerksamer und gerechter Leiter. 

 

31. August 1930 Minerva Guben – Putilow 1:7, 2500 Zuschauer in Guben, Minerva-Sportplatz "Kiekebusch" an der Bösitzer Straße (heute Polen)

"Minerva vollbrachte eine Glanzleistung. In drei Tagen organisierte sie dieses Spiel. 2500 Leute verfolgten den auf technisch hoher Stufe stehenden Kampf. Alle Anstrengungen der Gubener nutzten nichts. Sie zogen bei allen Spielhandlungen den Kürzeren."

Einen ausführlicheren Bericht zum damaligen Spiel entnahmen wir "Auf Straßen und in Fabriken – Zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Geburtsstadt Wilhelm Piecks" von Horst Reschke (Guben 1965):

"Am 30 August 1926 rollte um 9 Uhr 20 auf dem Gubener Bahnhof ein Personenzug ein, der teure Gäste in unsere Stadt brachte. Die 'Roten Fußballer' aus den revolutionären Leningrader Putilow-Werken waren als Gäste zu den Gubener Arbeitersportlern gekommen, um im freundschaftlichen Spiel die Bande der Klassenbrüderschaft mit der deutschen Arbeiterklasse noch fester zu knüpfen.

Die rechten Vertreter des Arbeitersport- und Kulturkartells, die zur Begrüßung der Gäste auf dem Bahnhof erschienen waren, hätten es gerne gesehen, wenn wegen der Sportgäste aus der UdSSR nicht viel Aufsehen gemacht worden wäre. Aber neben den Tausenden Gubener Arbeitern, die den Gästen aus dem Land des Sozialismus zujubelten, waren die Abteilungen der Roten Frontkämpfer mit ihrem Tambourkorps und der Schalmeienkapelle vollzählig angetreten und riefen ihren sowjetischen Sportfreunden ein dreifaches 'Rot Front' zu.  Die RFB-Kameraden überreichten den sowjetischen Sportgästen als Zeichen des proletarischen Internationalismus einen Strauß roter Nelken.

Im Hotel 'Schwarzer Bär', wo die Leningrader Fußballmannschaft Quartier bezogen hatte, gelang es klassenbewußten Arbeitern trotz versuchter Behinderung durch rechte Sportfunktionäre und Kriminalpolizisten, mit den Abgesandten des großen Sowjetlandes in ein herzliches Gespräch zu kommen und ihnen die Grüße der Gubener Arbeiter an die Arbeiter der Stadt des großen Lenin mit auf den Weg zu geben.

Ihr Fußballspiel am 31. August gegen eine Auswahlmannschaft der Freien Turnerschaft auf dem Arbeitersportplatz "Kiekebusch" endete mit einem 7:1-Sieg der sowjetischen Gäste vor Tausenden fachkundigen und begeisterten Zuschauern."

 

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Putilow und Erfurter Bezirksauswahl vor ihrem Spiel am 27. August 1927

 

Links zur Geschichte von "Roter Putilowez" Leningrad

 

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© Christian Wolter

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