Alkohol und Nikotin − Lust und Laster

 

Das Verhältnis der Arbeiter(sport)bewegung zum Alkohol- und Nikotingenuss war stets durch den Gegensatz von Anspruch und Wirklichkeit geprägt: Auf der einen Seite waren die zerstörerischen Kräfte und die körperlichen, geistigen und sozialen Auswirkungen bekannt und wurden in Wort und Bild bekämpft; auf der anderen Seite erfreuten sich Alkohol und Nikotin in der Arbeiterschaft großer Beliebtheit. Vor allem an den Tagen der meist einmal wöchentlich stattfindeten Lohnauszahlungen waren die Gaststätten und Lokale von den (meist männlichen) Arbeitern stark frequentiert. Damals wie heute waren die Grenzen zwischen Genuss und Sucht fließend − ein immerwährendes Widerspiel zwischen Lebensfreude und Krankheit.
Einen besonderen Stellenwert hatte die Bekämpfung von Alkohol und Tabak in der Bewegung der Arbeitersportler. Körperertüchtigung, Gemeinsamkeit mit Gleichgesinnten, Liebe zur Natur, aber auch die Vermittlung des sozialistischen Gedankenguts bestimmten die Aktivitäten der Arbeitersportvereine und dienten gleichzeitig der Abgrenzung vom bürgerlichen und verkommenen Sportbetrieb.

Die im ATSB organisierten Arbeitersportvereine bemühten sich besonders auch um die Jugendlichen: Sie sollten ferngehalten werden von den Kneipen und Tanzsälen, um ein gesundes Leben ohne Alkohol und Nikotin zu führen. Das ging so weit, dass dem Genuss von Alkohol und Nikotin symbolisch der Stellenwert einer Sünde zugeschrieben und dem Idealbild des sozialistischen Arbeitersportlers entgegen gesetzt wurde.
Oftmals klafften hier jedoch Praxis und Theorie auseinander, wie die nachfolgenden Originalartikel und Anzeigen aus diversen Zeitungen und Zeitschriften des Arbeitersports und der Arbeiterbewegung belegen mögen.
Heinrich Nahr

 

Annonce in der Freien Sport-Woche zum Zigaretten-Räumungsverkauf im Arbeiter-Turnverlag, 1920

 

Die Sportvereinigungen Jugendlicher

 

"Man sieht oft, daß kaum der Schule entwachsene junge Leute auf eigene Faust Ruder-, Fußball- und ähnliche Klubs gründen. Eigentlich sollte man sich darüber freuen, daß die jugendliche Kraft Mittel und Wege sucht, um sich auszutoben. Aber die Sache hat doch auch ihre Schattenseiten. In der Sucht, es den Großen gleichzutun, aber nicht im Besitz der zur Ausübung des Sports notwendigen Mittel, werden diese oft auf unredliche Weise erworben...
Das nicht genügend orientierte Publikum, das durch das oft wüste Treiben dieser Sportsleute angewidert wird, schreibt diese Vorgänge auf das Konto der ganzen Bewegung.
Andererseits ist auch hier die Gefahr der gesundheitlichen Schädigung durch Übertreibung des Zulässigen und starkem Alkohol
missbrauch sehr groß. Das führt dann zu den schwersten Schäden, wovon Militärärzte ein Wort zu sagen wissen. Die Zahl der Herzerweiterungen hat zugenommen infolge unsinniger Übertreibung des Sports. Sodann dürfen die moralischen Gefahren nicht vergessen werden; unsinnige Ausgaben für Sportausrüstungen, auch geschlechtliche Verwirrungen liegen nur zu nahe, wenn die Jugendlichen sich selbst überlassen bleiben. Eine intensive Kontrolle und Führung durch Erwachsene ist daher den Jugendsportverbänden unbedingt notwendig."

Arbeiter-Turn-Zeitung vom 15. Februar 1910

 

Werbung für Alkoholabstinenz auf dem SPD-Parteitag 1909 in Leipzig (Rainer Müller-Broders)

 

Der Alkohol als Aufpeitschmittel

 

Immer wieder wird von Industriearbeitern oder andern Berufstätigen, die große körperliche Anstrengungen zu leisten haben, betont, wie belebend oft ein Schluck Schnaps, ein Glas Wein auf die darniederliegenden Kräfte wirkt. Es muß ohne weiteres zugegeben werden, daß tatsächlich der Alkohol vorübergehend die Schlaffheit, die Ermüdung verscheuchen, ja die Veranlassung zu einer Kraftprobe sein kann. Diese Wirkung ist jedoch nur von ganz flüchtiger Dauer.

Englische Hundezüchter äußerten sich kürzlich dahin, daß sie den an den in England üblichen Hundewettläufen beteiligten Tieren vorher Champagner geben, aber nur, wenn der Zeitpunkt des Ablaufs ganz genau bekannt ist. Das Einsetzen der Wirkung wird so berechnet, dass sie im Moment des Starts erfolgt. Alsdann kann man zuweilen gute Nennerfolge bemerken. Verzögert sich jedoch aus irgendeinem Grunde der Ablauf, dann ist die Wirkung eine gegenteilige: Der Hund ist schlaffer als sonst und unterliegt im Kampfe. Daraus ist zu ersehen, daß es eben nur ein Aufpeitschen ist, was durch den Alkoholgenuß erreicht wird, daß der Körper nach einer ganz kurzen Wiederbelebung zusammenfällt und dann weniger leistet als vorher.

Englische Fußballmeister berichten, daß zwar auch mäßiger Alkoholgenuß sich mit der Ausübung des Sports verträgt, daß aber, zumal unter denen, die bereits länger als zehn bis fünfzehn Jahre spielen, eine Zeit, die im allgemeinen als oberste Grenze für wirklich hervorragende Leistungen gilt, die Abstinenten in der Ueberzahl sind, daß überhaupt die Enthaltsamen viel anhaltender spielen können als die Gelegenheitstrinker.

Alles das sollte zu denken geben, und nichts ist falscher, als dem Alkohol Eigenschaften zuzuschreiben, die er niemals besitzt. Der Zustand, den das Volk als Katzenjammer bezeichnet, ist selbst nach geringen Mengen, wenn auch in milder Form, unausweichlich.

Dr. F. D. im Mitteilungs-Blatt für den 3. Kreis des ATSB (14tägige Beilage der Arbeiter-Turn-Zeitung) vom 29. November 1922

 

 

Fusel-Kultus

 

Nicht ich, sondern mein Freund war es, der neulich eine erbitterte Philippika über obiges Thema vom Stapel ließ.

"Laß mich in Ruh' mit eurem Vereinsleben, ich habe genug davon. Körperkultur wollt Ihr treiben? Wahre Geselligkeit wollt ihr pflegen? Daß ich nicht lach'!"

"Was hast du denn wieder auszusetzen?" fragte ich eingeschüchtert.

"Auszusetzen? Na, so ziemlich alles. Da turnt ihr wie besessen zwei geschlagene Stunden lang, und wenn Herz und Lunge so recht angefeuert arbeiten, steckt ihr schnell die Giftnudel an und puh − ah − geht es, immer durch die Lunge."

"Ich gebe ohne weiteres zu, daß das nicht gut ist, aber wegen dieser Sache allein verdammst du uns in Grund und Boden?"

"Nicht deshalb allein! Aber das Schlimmste kommt erst. Wenn ihr euch alle ein zusammengedrehtes Stück Tabak in den Mund gesteckt habt, dann fühlt ihr euch erst als richtige Männer und nun im Sturmschritt rein in die Kneipe."

"Ja, sieh mal, wenn man zwei Stunden turnt, dann findet nach ärztlichem Urteil infolge der erhöhten Blutzirkulation, durch Verdunstung usw. ein vermehrter Verlust an Körperflüssigkeit statt. Der ganze Vorgang äußert sich als Durst. Zudem staubt es auch manchmal in der Turnhalle. Ich gebe dir die Versicherung, ein Glas Bier nach dem Turnen schmeckt ausgezeichnet."

"Das wollte ich auch gelten lassen. Aber sehe sie dir doch an, deine Turngenossen. Wenn der Durst gelöscht ist, geht's erst los, dann kommt der Schnaps an die Reihe."

"Na aber − "

"Kein Aber!!!"

Doornkaat-Werbung im "Hamburger Echo" (SPD-Tageblatt, 1892-1933), 17. Juni 1928

 

Hier hatte mein Freund sich in Zorn geredet und ich kam nicht mehr zu Worte. "Jeder notorische Trunkenbold, der die Schnapsflasche immer bei sich führt, wird nicht überall und ohne weiteres daraus trinken, sondern er stellt sich dazu verschämt hinter eine Haustür, weil er sich einer schlechten Tat bewußt ist. Und was macht ihr? Irgend so ein Lapps fühlt sich berufen, eine Runde Schnaps auszugeben. Der wird nicht etwa so ohne Sang und Klang getrunken. Ein besonders 'Tüchtiger' hält zunächst eine Ansprache und feiert gebührend das Getränk und den edlen Spender dieser Runde. Ein Pfaffe könnte es manchmal nicht besser. Die ganze Gesellschaft steht im Kreise um ihn herum, in der erhobenen Rechten ein Glas voll Fusel. Aller Augen leuchten, ein Zeichen, daß man sich des großen Augenblicks bewusst ist. Dann folgt ein Absingen und Abrufen verschiedener Saufsprüche, meistens bayrischer Art, und nach noch einigen Zeremonien wird schließlich auf Kommando der heilige Fusel hinter die Binde gegossen. Pfui Deibel!"

Mein Freund räusperte sich und spuckte aus. Aber bevor ich noch etwas erwidern konnte, fuhr er fort: "Und dann mit dem Bier; es ist genau dasselbe. Ihr habt da einen Glasstiefel, der faßt drei Liter. Daraus trinkt ihr Bier. Aus dem Schuh oder Stiefel trinken ist das Zeichen der Uterwürfigkeit. Den Stiefel, der ihm Fußtritte versetzt, leckt der Hund. Ganz abgesehen davon, daß es sich mit Körper- und Gesundheitspflege gar nicht verträgt, wenn 15 oder mehr Mann ihren Mund in ein und dasselbe Glas stecken. In den Ascheimer mit diesem Scherben. Und dann denken diese Rotznasen noch wunder was sie fertig bringen, wenn sie einen "Stiefel" trinken. Sie sollten sich für das Geld lieber etwas Nützliches kaufen."

Soweit mein Freund.

 

Anzeige im "Hamburger Echo", 1. Juli 1906

 

Der Mann hat natürlich keine blasse Ahnung oder er übertreibt maßlos. Bei uns ist das alles längst nicht mehr so. Sollte aber irgendwo noch ein Verein existieren, der, weitab der großen Heeresstraße gelegen, noch keinen neuzeitlichen Luftzug verspürt hat und besagten Kultus noch pflegt, so wäre das natürlich nicht gutzuheißen. Weil ich aber nicht zu den Vereinsunken gerechnet werden möchte, die nur gewöhnheitsmäßig quaken, so mache ich folgenden Vorschlag: Das mit dem Schnaps lassen wir ganz fallen; er zerfrißt nur das Gehirn. Zudem behaupten böse Zungen, hinter den vielen Saufsprüchen verberge sich geistige Armut.

Und der Stiefel? Es ist wohl richtig, wenn man sagt, es kommt weniger auf den Stiefel an, als vielmehr auf den "Klamauk", der gemacht und die Stimmung, die dabei erzeugt wird. Das Menschenherz braucht nun eben etwas, an dem es sich von Zeit zu Zeit wieder aufrichten kann. Wenn wir aber wissen, daß der Klamauk die Hauptsache, der Stiefel dagegen Nebensache ist, so haben wir auch schon die Stelle gefunden, an welcher der Hebel angesetzt werden muß: Wir behalten den Klamauk und ersetzen den Stiefel durch etwas anderes, vielleicht durch eine große Pfanne voll Bratkartoffeln.

Die Zeremonie des Stiefelabklopfens ließe sich ganz gut mit dem flachen Löffel an der Pfanne ausführen. Wir erreichen dabei gleich zweierlei: Erstens bekommen wir etwas "Aufbauendes" in den Leib und zweitens brauchen wir den geliebten Hokuspokus nicht zu entbehren. Auch der Kneipwart wird dadurch nicht ausgeschaltet. Er schlage mit dem Holzhammer auf den Tisch und intoniere nach der Weise des Torgauer Marsches:

"Wohlauf! Die Pfanne kommt! 

Begrüßt sie nun, 

wie's wackeren Zechern frommt."

Christian Heck, Hamburg, Arbeiter-Turn-Zeitung vom 10. Januar 1923

 

Sportliche Milchwerbung in der Arbeitersportpresse, um 1930

 

„In gesellschaftlicher Beziehung lassen unsere Fußballer sehr viel zu wünschen übrig. So heißt es z. B.: 'Beim Verein X ist es urgemütlich.' Ja, natürlich, im Rausche des Alkohols. Bevor da die Nerven nicht angeregt sind, sitzt alles gelangweilt im Lokal. Genossen, das muß unterbleiben! Man kann trotzdem seinen gemütlichen Schoppen trinken.“ 

Arbeiter-Fußball (Wochenzeitung der Märkischen Spiel-Vereinigung für den 1. Kreis im ATSB) vom 30. Juli 1923

 

„Jugend, denke an die Gefahren des Alkohols! Denke an die Folgen, die unsere jetzige Schlagertanzmusik hervorzurufen geeignet ist! Denke an die Schlager: 'Laß mich mal', oder 'Eine Miezekatze hat se', oder 'Ich möchte einmal, ich möchte zweimal' und wie sie morgen wieder anders heißen mögen. Welch sexuellen Ideen wird da gedient und welche Gefahren bestehen darin!“

Freie Sport-Woche Nr. 42/1925, Beilage "Jugend und Arbeitersport"

 
Flugblatt des Deutschen Arbeiter-Abstinenten-Bundes (Rainer Müller-Broders)

 

 Vom Tabakgenuß

 

"Wir selbst sind Raucher und daher nicht befugt, gegen das Rauchen zu schreiben. Wir wüßten auch nicht recht warum. Unmäßigkeit im Genuß stiftet Schaden, Mäßigkeit schadet nicht, die Enthaltsamkeit kann man nicht fordern. Für den Tabak gilt das gewiss. An sich ist Nikotin wohl im Stande, den Menschen akut zu vergiften; er erbricht, gerät in kalten Schweiß, hat quälende Störungen seiner Verdauung, schläft schlecht, ihm wird schindelig und er kommt in Lebensgefahr durch die Schwächung der Atmung oder des Herzens. Selbst Krämpfe und Geistesverwirrungen werden mitunter gesehen. Aber das alles ist selten. Man müsste dazu etwas Pfeifensaft schlucken oder (in alter Zeit) ein kräftiges Tabaksklistier appliziert bekommen.

 

"Zuban-Torwart"-Inserat, welches 1925 in verschiedenen ATSB-Kreiszeitungen erschien

 

Das mäßige Rauchen, d.h. der immerwährende Genuß kleiner Mengen Nikotins, pflegt nicht zu schaden. Es ist seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine Gewohnheit fast sämtlicher Völker geworden, und man bepflanzt im Ganzen fast 6 Millionen Morgen Landes mit Tabak. Was, wie ein alter Pharmakologe schreibt, unmöglich nur Folge menschlicher Nachahmungssucht, sondern vielmehr auf seine Wirkungen begründet ist.

Daß dieses Genußmittel entbehrt werden kann, bedarf keines weiteren Wortes, ebensowenig wollen wir mit den Gegnern desselben über die Aesthetik des Kauens, Schnupfens und selbst des Zigarrenrauchens sprechen. Nur das müssen wir betonen, daß der mäßige Gebrauch, wie alltägliche Beobachtung lehrt, ohne jeden Schaden fortgeführt werden kann. Denn die Symptome der chronischen Vergiftung kommen nur ausnahmsweise bei einer individuellen Überempfindlichkeit schon nach sehr mäßigem Genuß, sonst erst bei unmäßigem Verbrauch."

Dr. W. Conrad in: Freie Sport-Woche vom 13. Juni 1924 (gekürzt)

 

Reklame für Zigaretten mit Reichsbanner-Design, Hamburger Echo vom 14. Juni 1925

 

Arbeitersport und Alkoholismus

 

"Ja, man muß schon Alkoholismus schreiben, um den Zustand, der mancherorts noch anzutreffen ist, beim rechten Namen zu nennen. Man mag hinkommen, wohin man will, immer wieder muß man feststellen, daß alle Wandlungen der Zeit an vielen Arbeitersportlern spurlos vorübergegangen sind: Es wird Alkohol in solchen Mengen vertilgt, daß man sich schaudernd abwendet. Meist sind es glücklicherweise die älteren Semester, die sich auf dem Sportplatz wenig mehr betätigen und die damit gewonnene Zeit auf solche Art vergeuden. Aber dieser alte 'Turnerschlag', der in der Jugendzeit an vollen Humpen auf kommentmäßig aufgezogenen 'Kneipen' seine 'Kraft' erprobte und bei nicht bestandener Probe zur Strafe 'in die Kanne stieg', richtet doch sehr viel Unheil an, denn er gibt der Jugend ein bedauerlich schlechtes Beispiel. So nimmt es denn auch nicht Wunder, daß auch manche Jungen sich räuspern und spucken, wie sie es den Alten abgeguckt haben. Wann wird der Deutsche einmal lernen, ohne Alkoholfüllung vergnügt zu sein?

 

Zeichnung: Georg Kretzschmar, Arbeiter-Fußball Nr. 21/1927

 

Mit den Tugenden dieser 'alten Deutschen' haben schon die wirtschaftlichen Vormünder der Entente zu rechnen verstanden, als sie uns den Dawes-Plan bescherten. Dieser zum Vertrag gewordene Plan enthält nämlich einen sogenannten Wohlstands-Index, wonach Deutschland mehr zahlen muß, wenn sich sein Wohlstand hebt. Als Gradmesser dieser Wohlstandshebung ist unter andern die Steigerung des Alkoholverbrauchs angenommen worden. Wenn also der 'Suff' zunimmt, muß mehr gezahlt werden. Dem kann das Reich zwar durch starke Anziehung der Steuerschraube und mittels seines Monopols entgegenwirken, aber ich weiß nicht, ob der Herr Finanzschutzmann der Entente das gelten lassen würde.

Jedenfalls haben Deutsche, zumal die Arbeiter, auch noch aus vielen anderen Gründen alle Ursache, sich das alte Laster des Saufens nach Möglichkeit abzugewöhnen. Wir sprechen so viel von kultureller Erneuerung und streben nach viel edleren Formen der Zerstreuung und Unterhaltung. Theoretisch haben wir wohl erkannt, daß die Erneuerung besserer und reinerer Sitten bedarf, als die alte grob materielle Art des Genießens von Speise und Trank. Wir geben große Mittel für unseren Sport aus, für Plätze, Turnhallen, Bäder, Jugendherbergen, bedenken aber nicht, daß diese Opfer zum Teil vergeblich gebracht worden sind, wenn wir dadurch erworbene gesundheitliche und moralische Werte hinterher in Alkohol ersäufen.

Es fällt uns nicht ein, jenen hartgesottenen Säufern völlige Enthaltsamkeit predigen zu wollen. Wir wären schon ein gewaltiges Stück Weges weiter, wenn sie vom Saufen zum Trinken übergehen wollten. Wie zwischen Essen und Fressen ein Unterschied ist, so auch zwischen Trinken von Reizmitteln und dem viehischen Saufen zum Zwecke des 'Genusses', um nicht zu sagen des Vergnügens. Aber keiner von denen, die wir beim Niederschreiben dieser Zeilen besonders im Auge haben, gehört zu der Kategorie der Säufer, sie können sehr wohl ohne Alkohol leben und saufen auch meistens nur, wenn sie vergnügt sein wollen. Gerade darin liegt das Schlimme ihres Tuns; denn es ist Zeugnis dafür, wie wenig innere Kultur sie haben, wie arm sie an Seelenleben sind. Möge dieses Geschlecht keine Nachkommen mehr haben.

Arbeiter-Fußball Nr. 21/25. Mai 1927

 

Grafik, herausgegeben vom Deutschen Arbeiter-Abstinenten-Bund, um 1930 (Rainer Müller-Broders)

 

Kritik über Fußballspieler

 

Es ist wohl jedem Genossen bekannt, daß unser Fußballsport (wie auch die anderen Sportarten) sich von dem des "bürgerlichen" unterscheidet. Dies merkt man besonders in unserem Städtchen. Bei diesem Unterschied denke ich in der Hauptsache an das Benehmen des einzelnen Spielers auf dem Sportplatze. Aber auch in unseren Reihen muß noch erheblich korrigiert werden. Vor allen Dingen muß das Rauchen in Sportkleidung unterbleiben.

Ganz bestimmt macht es auch keinen guten Eindruck für unsere gesamte Bewegung, wenn während des Spieles Worte fallen wie: "Hol din Muul, kriegst wat an de Snut", "klei di an'n Mors". Die Leitungen unserer Vereine müssen auf solche Flegeleien mehr achtgeben. Insbesondere können aber die Schiedsrichter an dieser an dieser Aufgabe mitarbeiten. Darum richte ich an die Schiedsrichter den Aufruf: "Achtet nicht nur auf faires Spiel, sondern auch auf das Benehmen der Spieler während des Spieles." Es ist tatsächlich vorgekommen (meist in den ländlichen Vereinen), daß die von mir aufgeführten Aeußerungen gefallen sind, während ein Schiedsrichter dabei stand, ohne diese Rüpeleien zu beanstanden. Weiter müssen auch die Spielführer gegen diese Rüpeleien sofort durchgreifen. Genossen, vergeßt nicht, daß Arbeitersport eine Kulturaufgabe ist.

A. R. in: Nordsport (Wochenzeitung des 3. Kreises im ATSB) vom 17. Februar 1930

 

Proletarische Juno-Werbung, Hamburger Echo vom 20. November 1931

 

Feiert den 1. Mai ohne Alkohol!

 

Wie in jedem Jahre, so demonstriert das klassenbewusste Proletariat der ganzen Welt auch in diesem Jahre für die Durchführung bzw. Erhaltung des Achtstunden-Tages, für ein menschenwürdiges Los, für die Sozialisierung, für den Arbeiterschutz und für die Überwindung des Kapitalismus.

Unseren Tag, an dem Jahr für Jahr Hunderttausende von kämpfenden, leidenden und darbenden Menschen mit wehenden roten Fahnen marschieren, wollen wir so feiern, daß die Gegenseite aufhorcht.

Wollen wir in dieser umwälzenden Arbeit ernst genommen werden, müssen wir den Alkohol meiden. Der Alkohol untergräbt alles logische Denken und Handeln. Der Alkohol ist der größte Feind der Arbeiter und Bundesgenosse der Reaktion.

Haltet euch als wissende, als vorwärtsstrebende Arbeiter vor Augen, daß der einzelne Arbeiter, der ausgerechnet gerade an diesem Tage trunken hereintorkelt, die ganze Arbeiterklasse schädigt.

Was nützt der nachhaltigste Eindruck, den wir am 1. Mai auf das Bürgertum machen, wenn jene Leute den willenlosen und schwachen Arbeiter dem Trunke ergeben sehen?

Er wird nicht mehr ernst genommen, sein Lied auf den Sozialismus verlacht. Die Übertretungen der einzelnen werden verallgemeinert, die ganze Klasse damit belastet.

Daher rufe ich euch zu: Sorgt dafür, daß der 1. Mai im wahrsten Sinne des Proletariats ein Feiertag werde. Das kann aber nur geschehen, indem wir den Alkohol meiden!

Freie Sport-Woche, 27. April 1931

 

Abstinenz-Werbung auf der 1. Arbeiter-Olympiade 1925 in Frankfurt/Main (Dank an Manfred Weise/Winterthur)

 

Bürgerliche Spiele für die Winterhilfe, der reine Hohn!

 

Die Bergedorfer Gastwirte traten gegen die Freiwillige Feuerwehr an. Letztere spielte in voller Uniform, also mit Helm und langen Schaftstiefeln, die Gastwirte in langen Hosen, Zivilstiefeln und Hemdsärmeln. Während des Spieles wurde eine Kümmelflasche herumgereicht. In Hummelsbüttel spielte der Kegelclub "Junge Kraft" gegen die Freiwillige Feuerwehr. Hat so etwas noch mit Sport zu tun? Man müßte sich solche Sachen trotz der schweren Zeit verbitten.

Der Fußball-Stürmer, 1. Februar 1932

 

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Flugblatt des Deutschen Arbeiter-Abstinenten-Bundes, um 1925 (Rainer Müller-Broders)
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© Christian Wolter

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