Die Geschichte des Damenfußballs reicht weiter zurück als man gemeinhin denkt, denn bereits Vorformen unseres heutigen Spiels wurden von Frauen mitpraktiziert. Und schon Jahre vor Einführung der englischen Fußballmeisterschaft, nämlich 1881, traten erstmals Frauen auf den grünen Plan, um vor Publikum zu spielen – und Fußball-Länderspiele auszutragen! Genauer gesagt handelte es sich hierbei um vorgebliche Länderspiele, denn alle Akteurinnen kamen aus Schottland. Die Mannschaft benannte sich nach der Gründerin und Torhüterin Helen Graham Matttews als Mrs. Graham's XI. Nach der Premiere am 7. Mai 1881 auf dem Platz von Hiberians Edinburgh kam es beim zweiten Spiel der Graham's XI am 16. Mai 1881 im Shawfield Stadion bei Glasgow zum Skandal. Ein beträchtlicher Teil der 5000 Zuschauer stürmten in der 55. Minute den Platz, empört durch das laienhafte Können und die regelwidrige Austragung des Spiels. Im sicheren Gefühl, um das Eintrittsgeld betrogen zu sein, bedrängte und jagte der Pöbel die Akteurinnen. Sehr unerfreulich, aber es wurden schon Fußballkrawalle aus nichtigeren Anlässen angezettelt. Der Polizei blieb keine Wahl, als schließlich den Platz freizuknüppeln. Nach weiteren Spielen, Skandalen und sicherheitsbedingten Absagen endete das abenteuerliche Unternehmen bereits nach wenigen Wochen im Juni 1881.1
Weitere sporadische Vorstöße des Frauenfußballs sind durch englische Zeitungsmeldungen von 1889 belegt.2 Im nächsten Anlauf kam es 1894 zur Gründung des British Ladies FC mit der englischen Frauenrechtlerin Nettie Honeyball als Aushängeschild. Nach monatelangem Training durch den Tottenham-Spieler Bill Julian debütierten die beiden Teams des BLFC am 23. März 1895 als England-Nord gegen England-Süd (7:1) vor 10.000 Zuschauern in Crouch End London. Nach rund 100 Schaukämpfen ging dem Verein durch Verletzungen nach und nach die Ladys und im September 1896 schließlich auch das Geld aus.3
Der Frauenfußball geriet trotz einiger Nachahmungen wieder in Vergessenheit. 1902 untersagte der englische Fußballverband FA seinen Vereinen derartige Aktivitäten auch offiziell, da sie ihm für die zarte Weiblichkeit als zu rau und männlich erschienen.
Aus dem Deutschland der Jahrhundertwende bekannt ist für Frauen nur eine Art Fußballspiel, bei dem sie sich im Kreis stehend den Ball gegenseitig zuspielten. Sportnachrichten aus dieser Zeit berichten von Frauen bestenfall als Begleiterinnen ihrer spielenden Männer oder als Zuschauerinnen, von Frauenfußball als Karnevalsbelustigung 1914 auf dem Platz der Tottenham Hotspurs und - immerhin – von einem weiblichen Geschöpf, dass 1911 das Schiedsrichter-Amt anstrebte:
"In Budapest hat sich eine Dame zur Schiedsrichterprüfung gemeldet, und sie wünscht nach Bestehen derselben ungarische Verbandsspiele zu leiten. Der weibliche Schiedsrichter wird sich bei den Spielern ungleich größerer Beliebtheit erfreuen als sein männlicher Kollege und auch eine liebevollere Behandlung dürfte ihm unzweifelhaft zuteil werden. Das goldene Zeitalter im Verhältnis zwischen Schiedsrichter und Spieler wird anbrechen, wenn erst der weibiche Schiedsrichter bei der Mehrzahl der Spiele die Aufsicht führt. Aber dann müsste auch eine Altersgrenze eingeführt werden, denn weibliche Schiedsrichter in vorgerückten Jahren würden die etwas rauhen Sitten der Spieler nicht mildern können." 4
Anfang 1914 bildete sich im englischen Burnley ein Damen-Fußballverein, was die deutsche Sportpresse durchaus wohlwollend registrierte: "Was soll man dazu sagen? Bevor man Damen hat Fußball spielen sehen, ist es wohl besser zu schweigen. Doch willkommen sollen sie sein, und der Gedanke, dass sich sage und schreibe 22 Damen einem Schiedsrichter freiwilig schweigend unterordnen, erlaubt ja Lichtblicke in die Zukunft, wie sie sich der ärgste Weiberfeind nicht hätte träumen lassen. Ich traue der erzieherischen Kraft des Fußballspiels immer sehr viel zu; wenn sie sich an diesem neuen Objekt bewährt, so gebührt unserem Spiel die Krone pädagogischer Kunst. Professor Robert Hefner" 5
Die Kommentare der Fachwelt hatten natürlich auch gesundheitliche Aspekte zum Inhalt: "Bis zu einem gewissen Ausmaße können Mädchen genau so spielen wie Knaben, solange sie das Spiel in einer der weiblichen Eigenart entsprechenden Weise ausüben. Warum sollte man für Mädchen ein neues Spiel erfinde? Wer ließe sich einfallen, ein neues Spiel für Knaben zu erfinden und hoffte dabei auf Erfolg? Es ist ganz lächerich zu denken, die schönen Sports im Freien sollten einfach das Monopol der Knaben sein. Frische Luft und Bewegung sind für Mädchen genauso heilsam wie für Knaben, und durch Fußball verroht ein Mädchen ebenso wenig wie ein Knabe. Das Hauptziel des Sports im Freien ist Gewandtehit zu erlangen, und die hat noch niemandem geschadet." 6
Einen beispiellosen Aufschwung des britischen Frauenfußballs löste der Erste Weltkrieg aus. Der Kriegsdienst der jungen Männer beeinträchtigte den Spielbetrieb der Fußballvereine, und Frauenmannschaften erzielten fast über Nacht große Zuschauererfolge. Damen-Teams bildeten sich bald in jedem größeren Ort. Das bekannteste, die Dick Kerr's Ladies, entstand 1914 als Werksmannschaft der Prestoner Munitionsfirma Dick, Kerr & Co. Auslöser war ein Spiel der weiblichen gegen die männliche Belegschaft, welches die Frauen gewannen. Dick Kerr's Ladys spielten fortan zugunsten verletzter britischer Soldaten und brachten bis 1918 insgesamt 70.000 (heute ca. 10 Mio.) Britische Pfund ein. Der Boom hielt bis nach 1918 an. Den jahrzehntelangen britischen Zuschauerrekord stellten Dick Kerr's Lady gegen die französichen St. Helens Ladys am 26. Dezember 1920 im ausverkaufen, 53.000 Besucher fassenden Goodison Park des FC Everton auf. Mehr Zuschaueraufkommen konnten Fußballerinnen erst 2012 der Olympischen Spiele in London (70.584 Zuschauer in Wembley zwischen Großbritannien und Brasilien) generieren!
Besondere Popularität widerfuhr dem Frauenfußball auch in Frankreich, wo nach dem Krieg ein eigener Frauenverband bis 1932 regelmäßige Landesmeisterschaften und Pokalwettbewerbe ausrichtete. Üblicherweise begrüßten sich die Kapitäninnen vor Anpfiff mit Wangenküsschen, ab und zu ging es auch haariger zur Sache:
"Die Pariser Zeitschrift 'Auto' berichtet über ein Damen-Fußballspiel, das im Elisabeth-Stadion zwischen den Vereinen 'Femina Sport' und 'En Avant' um die Meisterschaft von Paris ausgetragen wurde. Das Spiel verlief spannend, die beiden Mannschaften waren einander ebenbürtig und erzielten je einen Treffer. Aber in der Hitze des Gefechts holte eine Spielerin von 'En Avant', die schon reichlich nervös und überreizt schien, gegen eine Dame von Femina Sport zu einer Geste aus, die der Schiedsrichter als Ohrfeige auslegte. Er unterbrach nun das Spiel und bat die Schöne, das Spielfeld zu verlassen. Man mag sich ja darüber entrüsten, aber wer ein richtiger Anhänger der Frauenemanzipation ist, der wird sich mit solchen kleinen Unannehmlichkeiten abzufinden wissen." 7
Am 5. Dezember 1920 hatte die englische Football Association ihren Vereinen erneut den Frauenfußball untersagt, der ihr zur
Gesunderhaltung „nicht geeignet" erschien und "deshalb nicht gefördert werden" sollte. Die Verbandsfunktionäre sorgten sich auch um die Fruchtbarkeit der Frauen. Unfälle kamen natürlich hin und
wieder vor, 1926 sogar ein Todesfall in Wales:
"Bei einem Match zwischen zwei Damen-Teams in Glamorgan stießen zwei Spielerinnen so heftig aneinander, dass die eine bewusstlos zusammenbrach und bald darauf im Spital verschied. Infolge dieses
Unglücksfalles wurden weitere Damen-Fußballspiele in England und Wales untersagt und die Gründung eines Damen-Verbandes bis auf Weiteres verschoben." 8
Dick Kerr's Ladies machten trotzdem weiter ihr Ding, dominierten FA-unabhängige Wettbewerbe und tourten 1922 durch Kanada und die USA, wo sie sich mangels weiblicher Gegner mit Männern messen mussten, aber trotzdem dreimal gewannen und noch drei Remis bei nur drei Niederlagen erreichten. Später erfolgte eine Umbenennung in Preston Ladies FC, 1961 dann die Vereinsauflösung. Die Gesamtbilanz der Ladys belief sich auf 828 Spiele mit stolzen 758 Siegen, 46 Unentschieden und lausigen 24 Niederlagen, also statistisch deutlich weniger als eine pro Jahr.
Zu Beginn der 1920er Jahre wurde dann auch Deutschland mit der Bildung erster Damenmannschaften beglückt, so 1921 in Chemnitz9 sowie, durch Fotos gut belegt, beim Dresdensia SV Dresden und im Radebeuler BC 08.10 Bekannt ist auch, dass Studentinnen 1922 nach FIFA-Regeln bei den Deutschen Hochschulmeisterschaften spielten, allerdings handelt es sich all bei diesen Beispielen um Marginalien ohne überlieferte Resultate und sind daher nicht ausreichend, dem "Ur-Frauenfußball" in Deutschland aus seiner Obskurität herauszuhelfen. Das liegt auch an fehlender Förderung und aktiver Bekämpfung durch bürgerliche Sportverbände wie DFB und DT, die unter ihrem Dach keinen Frauenfußball zuließen. Die Sportpresse der Weimarer Zeit agitierte verbandsübergreifend ebenfalls überwiegend gegen Frauenfußball.
Eine rare Ausnahme macht das flammende Plädoyer einer Frau Ida Maria Singer vom FV Kickers Würzburg, das zum Thema "Sollen Frauen Fußball spielen?" im Münchener "Fußball" vom 25. September 1924 erschien:
Vor 15 Jahren heiratete ich und kam nach Würzburg. Von der Hochzeitsreise gekommen, kaum die nötigsten Besuche gemacht, ging es zum
Kickersplatz. Einen, zwei, drei, vier Sonntage usw. Es gab Tränen, Bitten, Krach, umsonst – mein sonst so liebevoll gutmütiger Mann war Stein! Ich schrieb es meiner Mutter. Meine Mutter schrieb
zurück: „Gehe mit auf den Platz, jeder ganze Mann hat eine Passion. Ob Jagd oder Auto, Fußball oder Kartenspiel oder Frauen. Die Passion Deines Mannes ist die gesündeste und billigste. Entfremde Dir
Deinen Mann nicht. Willst Du ein Alltagsweibchen sein oder eine Egoistin? Sei Deinem Mann Kmaeradin!“
Oh kluge, lebenserfahrene Mutter! Ich ging mit, ließ es mir erklären, einmal, zweimal, dreimal; begann mit meines Mannes Augen zu sehen. Er lachte mich nicht aus bei dummen Fragen, er freute sich und
war so glücklich durch meine allmählich sich steigernde Begeisterung. So lernte ich Fußball spielen. Ich war die erste verheiratete Frau der
Würzburger Kickers. War stolz darauf, „Kickersmutter“ genannt zu werden und teile heute noch diese Passion meines Mannes (und nicht zu meinem Schaden). Das dankbare Aufleuchten im Auge meines Mannes,
sein Interesse für meine kleinen und großen Anliegen, kurz – unsere glückliche Ehe verdanke ich dem Fußballspiel.
Schaut sie Euch doch an, Eure Männer auf dem Sportplatz beim Zuschauen eines schönen Spiels. Sind das noch dieselben, die im Kriege, durch das schwere, sorgenvolle Leben oft alt, nervös geworden vor
der Zeit? Wie jung sehen sie aus, wie knabenhaft lachen sie, wie liebevoll schauen sie dich an, Du Gefährtin!"
Doch nun zu unserer Ausgangsfrage: Gab es Fußballerinnen im Arbeitersport? Georg Benedix, Leiter der ATSB-Bundeschule in Leipzig, äußerte
sich im Leitartikel der ATSB-Zeitschrift "Die Freie Turnerin" in Nr. 3/1925 so: „Genaueres weiß man nicht, aber immer wieder kommt jemand, der zu erzählen weiß, dass hier und da unter den
Turnerinnen und Sportlerinnen etwas im Werke sei ... Nämlich, dass es Frauen gibt, die Fußball spielen wollen. Was sagt ihr dazu? Glaubt ihr, dass Mädels das ganz allein von sich aus ,wollen‘? Nein,
die Annahme wäre irrig. Hier stecken Männer dahinter. Es gibt ,Fußballhäuptlinge‘, die wollen eine ,Damenriege‘. Und es gibt wilde Mädels, die da gleich bei sind.
Was ist da zu sagen? Vor allem das eine, dass wir den Fußballsport für Frauen ablehnen. Das Fußballspiel ist ein männliches Kampfspiel mit all den Begleiterscheinungen, die der Kampf mit sich bringt.
Ich nenne sie nicht, denn jeder kennt sie. Eines schickt sich nicht für alle. Was für den Mann ein Ausdruck der Kampftüchtigkeit ist, das wird hier bei der Frau zur lächerlichen ,Megärenhaftigkeit‘,
zur ,Fratze‘, zur ,Karikatur‘. Darum fort damit.“
Immerhin, der ATSB untersagte seinen weiblichen Mitgliedern nur die Schwerathletik, alle anderen Sportarten grundsätzlich nicht. Ein
offizielles Fußball-Verbot für Frauen im ATSB gab es also nicht, die Vereine hätten interessierte Mädchen und Frauen demnach spielen lassen können. Und das taten einige vielleicht auch. Zum
außerordentlichen Berlin-Brandenburger Fußball-Kreistag am 13. September 1924 wurden erstmals auch Genossinnen begrüßt, allerdings nur zwei gab, beide im SC Perleberg.
Ende 1925 zählte der ATSB unter 91.102 erwachsenen Mitgliedern seiner Fußball-Sparte immerhin schon 347 weibliche, von diesen 156 in Sachsen und 42 in Berlin-Brandeburg. Zu Beginn des Jahres 1932 lag
die Gesamtzahl der (formalen) ATSB-Fußballerinnen bei 563. Überlieferte Frauenspiele oder gar Anzeichen eines geregelten Spielbetriebs im Arbeiterfußball sucht man allerdings vergeblich. Ob sich der
weibliche Spartenbestand also ausschließlich aus Funktionärinnen und fördernden Mitgliedern oder vielleicht doch auch aus einigen vereinzelt en wenigstens mal mittrainierenen Frauen rekrutierte lässt
sich aus den uns vorliegenden Überlieferungen nicht herauslesen. Bis sich das ändern sollte behält also Georg Bendix recht: "Genaueres weiß man nicht", leider.
***
1 http://donmouth.co.uk/womens_football/1881.html
2 http://donmouth.co.uk/womens_football/1889.html
3 https://en.wikipedia.org/wiki/British_Ladies%27_Football_Club
4 "Illustriertes Österreichisches Sportblatt" (Wien) vom 11. April 1911
5 "Mitteldeutscher Sport" (Leipzig) vom 26. März 1914
6 "Mitteldeutscher Sport" vom 14. Mai 1914
7 ""Sieg" (Dresden) vom 7. Februar 1922
8 "Fußball-Woche" (Berlin) vom 13. Dezember 1926
9 "Volkssport" (Düren), Nr. 3/1921
10 Jens Genschmar: "Dresden, Wiege des Fußballs", S. 72 bis 75
|
|