Arbeitersport und Familien-Forschung

Stammbaum mit Arbeiterfußballern

 

Ich beschäftige mich mit Familienforschung und stieß dabei darauf, dass mindestens drei meiner Angehörigen im Arbeiter-Turn- und Sportbund Fußball spielten: mein Großvater Willi Otto Johannes Borchard (12. November 1899 – 24. Januar 1968) sowie meine Großonkel Max Christian Hermann Peters (14. Dezember 1904 – 17. Dezember 1962) und Alfred Heinrich Kuno Kierum (21. Juni 1906 – 17. April 1945).

Die drei spielten nicht nur zusammen Fußball, sie heirateten auch drei Schwestern. Großvater Willi ehelichte 1926 meine Oma Hilda (15. November 1905 – 4. Dezember 1987), Max trat 1928 mit meiner Großtante Elli (29. Dezember 1910 – 25. Juli 1943) vor den Altar, Alfred schließlich traute sich 1930 mit Erna (17. September 1910 – 21. Mai 1978). Gut möglich, dass sich alle über den Sport kennen gelernt hatten, denn die Schwestern turnten im selben Verein, in dem ihre Männer Fußball spielten.

 

 

Auf diesem Foto sehen wir meine beiden Großonkel: Max Peters hinten rechts und Alfred Kierum in der Mittelreihe rechts außen. Die Aufnahme entstand am 1. Mai 1927 an der Schlankreye auf dem heutigen Walter-Wächter-Platz zum Spiel der Fichte-Abteilung Stellingen gegen die VI. Mannschaft des Bahrenfelder SV 19. Das Resultat lautete 5:0 (3:0) für Stellingen. 

Auf den Trikots läßt sich ein Kreis mit F und schräg ansteigender Jahreszahl 1893 erkennen. Es ist das Emblem des Freien Turn- und Sportverein "Fichte" von 1893 Hamburg, dem damals etwa 700 Erwachsene und Kinder angehörten.

 

 

Als einer der größten ATSB-Vereine der Freien und Hansestadt betrieb "Fichte" Abteilungen in verschiedenen Stadtteilen. So in Eimsbüttel, wo auch den Hauptsitz war, auf St. Pauli, in Langenhorn und in Stellingen.

Erst ab 1927 lassen sich Aufnahmen von Willi, Max und Alfred sicher datieren und dem Arbeitersport zuordnen. Die Fußball-Mannschaft von Fichte Stellingen war damals vielleicht neu angemeldet, sie bestritt nämlich zunächst nur Freundschaftsspiele und rang erst ab der neuen Saison um Punkte. Als Ort der Heimspiele benennt der "Nordsport" 1927 den Fichte-Platz Stellingen.

 

 

Dieses Foto dürfte von 1928 oder später sein, denn die 1926 begonnenen Wohnblöcke im Hintergrund (Heymannstraße, Ecke Hohe Weide in Eimsbüttel) sind bereits bezogen. Die kahlen Bäume deuten auf Winter hin. Jedoch lacht die Sonne den Spielern ins Gesicht (und wirft den Schatten des Fotographen auf die Mannschaft). Opa Willi (links) und Großonkel Alfred (rechts von ihm) sind gekennzeichnet. Dieses Bild war starkt verblichen. Erst durch die Nachbearbeitung konnte ich Opa Willi erkennen. Vorher wusste ich nur, dass er in späteren Jahren beim DFB-Verein Hamburg-Eimsbütteler Ballspiel-Club war.

Die Wohnhäuser stehen heute noch, das erleichterte die Identifizierung des Platzes. Es handelt sich um jenen an der Hohen Weide, der 1935 nach August Bosse benannt wurde und wegen dessen NS-Belastung heute Softball-Platz Hohe Weide heißt. Hauptnutzer war damals der bürgerliche Eimsbüttler TV, aber auch Arbeitersportler vergnügten sich hier. 

 

 

Und hier haben wir das Fichte-Vereinsheim, den Gasthof von Ernst Fuhlendorf am Stellinger Steindamm Nr. 15. An der Fassade wird für die Bavaria-St. Pauli-Brauerei geworben, ein anderes Emaille-Schild (zwischen Eingang und Fenster) weist die Gaststätte als Verkehrslokal eines ATSB-Vereins auf. Draußen haben sich beide Parteien zum Fototermin versammelt (vorne 2. v.l. mein Großonkel Max). Es könnte ein besonderes Spiel gewesen sein, denn die Torhüter halten Blumensträuße, und so ein aufwendiges Erinnerungsfoto wurde sicherlich nicht zu jedem Spiel gemacht.

Das Bild wird um 1928 herum entstanden sein, denn im Jahr darauf zog der Wirt um "Zur alten Buche" am Steindamm 45. Der bürgerliche TSV Stellingen verkehrte übrigens im alten Gasthof an der Kieler Straße. 

 

 

Dieses Foto fand ich in einem Briefumschlag, den mir mein Vater hinterlassen hatte. Das Datum fehlt leider. Aber ich bekam den Tipp, dass es in der A.I.Z., der renommierten "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung" erschienen ist. Der Gekennzeichnete ist mein Großonkel Max. Die Holzbude im Hintergrund, vermutlich die Rückseite einer überdachten Hamburger Vereins-Tribüne, könnte ein geografischer Anhaltspunkt sein.

 

 

Das nächste Bild datiert von 1932: Fichte Stellingen gegen den Mögerliner SC von 1913, Ergebnis 3:4 aus Hamburger Sicht. Der Mögerliner SC gehörte damals dem kommunistischen Sportverband an. Fichte Stellingen dann wohl auch, sonst hätte man auf dem grünen Plan nicht zueinander gefunden. 

Doch ob es sich hierbei noch um den Verein meiner Angehörigen handelt, das ist fraglich. Nach der Spaltung des Arbeitersports bildete sich nämlich in Hamburg auch ein kommunistischer Fichte-Verein, zu dem die hier abgebildeten Stellinger dann wohl gehörten.

 

 

Vermutlich spielten Max und Alfred nach 1933 im Hamburg-Eimsbütteler Ballspiel-Club, denn dieses historische HEBC-Foto aus den 30er Jahren zeigt sie als 3. und 4. von links. Bisher wusste ich nur, dass mein Opa Willi dort spielte. Er hat für die HEBC-Mannschaften immer Schinkenbrote ausgegeben! Später hat das seine Ehefrau übernommen. 

Und hier noch eine Szene von einem HEBC-Spiel aus den 30er Jahren, aufgenommen auf dem Platz vom SC Union 03 Altona, auch dafür vielen Dank an den HEBC! 

 

 

Meinen Großonkel Alfred habe ich nie kennen gelernt. Im 2. Weltkrieg diente er zuletzt im Rang eines Feldwebels. Seinen letzten Feldpostbrief schrieb er in einem Lazarett in Oberhof, dieser kam am 2. Mai 1945 zuhause an. Das Lazarett wurde noch Anfang Mai 1945 von den US-Amerikanern bombardiert und völlig zerstört. Alfred blieb vermisst und wurde schließlich 1950 vom Amtsgericht Hamburg für tot erklärt.

Großonkel Max kehrte aus dem Krieg zurück, aber er hatte Frau Elli und Tochter Helga verloren. Beide waren in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1943 im Feuersturm der „Operation Gomorrha“ ums Leben gekommen. Man fand sie, zur Unkenntlichkeit verbrannt, vor der Tür des Luftschutz-Bunkers im Scheideweg 15. Tage später las dort mein Großvater ihren Trauring mit der Inschrift "M.P. 28.7.28" auf, wodurch Elli und Helga nachträglich identifiziert werden konnten. Beide liegen im Bombenopfer-Sammelgrab auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

Zurück ließ der Krieg Max und seine Schwägerin Erna. Mein Großonkel Max zog daher bei meiner Großtante Erna ein, und beide blieben Lebenspartner bis zu seinem Tode 1962. Seine letzte Ruhestätte fand Max, ebenso wie Willi, Hilda und Erna, in unserem Familiengrab.

Corinna Schumann, Hamburg

 

Stempel des Vereins-Kassierers von "Fichte" Hamburg, 1925
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© Christian Wolter

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