Yuval Rubovitch

Der Jüdische Arbeiter-Turn- und Sportverein Leipzig ("Jüdat")

 

In Leipzig existierten vor 1930 zwei jüdische Sportvereine: Bar Kochba Leipzig, der 1919 gegründet wurde (die Fußballabteilung entstand 1920 als SK Bar Kochba) und der Tennis-Club Rot-Weiß Leipzig von 1925.

Am Abend des 28. Juni 1930 gründete sich im großen Saale des „Metropol“ (heute „Skala“, Gottschedstraße 16) der dritte jüdische Sportverein Leipzigs – der Jüdische Arbeiter-Turn- und Sportverein, kurz „Jüdat“. Das Rahmenprogramm gestalteten die Jüdische Arbeiterjugend, die Jüdische Arbeitergemeinschaft und Schauturner vom Arbeiter-Turn- und Sportbund. Diesem schloss sich der neugegründete Verein auch an. Vertreter der Organisationen hielten Reden, die „die Interessen und Aufgaben der Arbeiterschaft im Sport [aufzeigten]. Die proletarische Weltanschauung und der Klassencharakter sind die Grundlagen für jede proletarische Organisation. Die jüdische Arbeiterschaft kann ihren Kampf nur gemeinsam mit der allgemeinen Arbeiterklasse erfolgreich zum Ziel führen.“1

 

Zeichnung der Bar-Kochba-Sportanlage aus der Festschrift zur Eröffnung 1922

 

Schwimmen, Leichtathletik, Fußball, Handball und Turnen waren die ersten Abteilungen des "Jüdat". Im Sportpark des ATSB-Vereins TSV Vorwärts-Süd im Connewitzer Wald (der heutige Sportplatz "Neue Linie" der SG LVB) fanden zunächst die Übungsabende statt, kurz darauf zog der Verein auf den Sportplatz an den Bauernwiesen in der Südvorstadt um.2

Das Leipziger Jugendhaus der sozialistischen Jüdischen Jugend stand in der damaligen Töpferstraße 3 am Richard-Wagner-Platz. Heimabende fanden dort bis November 1932 statt. Als Turnhalle wurde die der damaligen Frauen-Berufsschule (und heutigen Lessing-Grundschule) in der Lessingstraße genutzt. Handball und Fußball wurden auf der Bauernwiese gespielt, Schwimmen und Wasserball übte man im Stadtbad aus. Die Schach-Abteilung spielte bis November 1932 im Lokal der Jüdischen Arbeitergemeinschaft am Ranstädter Steinweg 21.

 

Hermann Heinz (Bar Kochba Hamburg) bei der Makkabi-Meisterschaften im September 1935 auf dem Leipziger Bar-Kochba-Sportplatz

 

Damals, zwei Monate vor der Machtübernahme und ein halbes Jahr vor dem Ende des Arbeitersports in Deutschland, war „das so lange ersehnte Eigenheim [...] endlich geschaffen“ und konnte in der Ritterstraße 7 in der Innenstadt eingeweiht werden.8 Am 10. Dezember fand dort eine "Jüdat"-Mitgliederversammlung statt.9 In den letzten Monaten der "Jüdat"-Existenz wurden im Vereinsheim Schach und Tischtennis gespielt sowie Vorträge für die Vereinsjugend gehalten.10

Im Februar und März versuchte der Verein seine Arbeit weiterzuführen. Am 17. März berichtete "Jüdat" noch über die kommende und schließlich letzte Mitgliederversammlung im Vereinsheim, über ein Spiel der II. Fußballmannschaft und der Handballerinnen sowie über die nächsten Begegnungen der Tischtennis-Abteilung.11 Am 30. März war von einem Sieg der Tischtennisabteilung im Klubkampf gegen den Bezirksmeister TSV Eiche 05 Leipzig und von Siegen der drei Fußballmannschaften zu lesen.12 Das waren die letzten Nachrichten von diesem Verein im "Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde".

 

"Jüdat"-Mitteilung aus dem "Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig", 11. September 1931

 

Am 25. März wurden Bundesschule und Geschäftsstelle des ATSB in der Leipziger Fichtestraße durch SA-Einheiten überfallen und besetzt. Am 12. Mai 1933 folgte das amtliche Verbot des ATSB, die meisten seiner 6886 Vereine wurden ebenfalls verboten und zwangsaufgelöst. Der "Jüdat" hatte sich nach Angaben vom Vereinsmitglied Moritz Zollmann am 31. März 1933 selbst aufgelöst, „weil die Mitglieder dem Verein die Gefolgschaft versagten“.13 Das sagte er Polizeibeamten, die am 9. Mai seinen Bruder Rudolf Zollmann, den letzten Vorsitzenden des Vereins, in der Wohnung in der Berliner Straße aufsuchen wollten, um das Vermögen des Vereins einzuziehen. Rudolf hatte sich offenbar aus guten Gründen bereits in Sicherheit gebracht.

Mit Verfügung des Polizeipräsidiums Leipzig vom 23. Mai 1933 wurde der Verein amtlich nachträglich noch einmal aufgelöst.14 Moritz Zollmann wurde am 19. Mai 1934 in „Schutzhaft“ genommen, kam bis 1937 ins Zuchthaus nach Zwickau und wurde nach Flucht und Internierung in Frankreich nach Auschwitz deportiert, wo er 1942 im Alter von 30 Jahren ermordet wurde.15

 

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Dieser Text erscheint im August 2020 im Buch "Mit Sportgeist gegen die Entrechtung Die Geschichte des jüdischen Sportvereins Bar Kochba Leipzig" bei  Hentrich & Hentrich Der Verlag für jüdische Kultur und Zeitgeschichte.

 

Abbildungen

Yuval Rubovitch, Hauptfoto: "Herbert Sonnenfeld: Zuschauertribüne und Spielfeld auf dem ersten gemeinsamen Sportfest der derzeit zwölf jüdischen Gemeinde- und Privatschulen in Berlin auf dem Sportplatz Grunewald, 4. September 1935"; Jüdisches Museum BerlinInv.-Nr. FOT 88/500/156/6, Ankauf aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin

 

Fußnoten

1 „Vereinsnachrichten“, in: Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig (GBL), 18. Juli 1930, S. 7

2 „Vereinsnachrichten“, in: GBL, 01.08.1930, S. 8; 15. August 1930, S. 6. Der Platz lag hinter den Häusern an der südwestlichen Ecke der heutigen Kurt-Eisner-Straße/Fockestraße und ist heute völlig bewaldet.

3 „Vereinsnachrichten“, in: GBL, 26. Juni 1931, S. 6

4 „Vereinsnachrichten“, in: GBL, 20. Februar 1931, S. 7

5 ebenda

6 Siehe z. B. „Vereinsnachrichten“, in: GBL, 24. Juli 1931, S. 7

7 Siehe z. B. „Vereinsnachrichten“, in: GBL, 07. November 1930, S. 6

8 „Vereinsnachrichten“, in: GBL, 04. November 1932, S. 6

9 „Vereinsnachrichten“, in: GBL, 09. Dezember 1932, S. 6

10 „Vereinsnachrichten“, in: GBL, 16. Dezember 1932, S. 7

11 „Vereinsnachrichten“, in: GBL, 17. März 1933, S. 6

12 „Vereinsnachrichten“, in: GBL, 30. März 1933, S. 6

13 Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, PP-V 4426, Bl. 2. Mit Verweigerung des Gehorsams könnte gemeint sein, dass die "Judat"-Mitglieder nicht einen Anpassungskurs des ATSB an die NS-Herrschaft mittragen wollten, mit dem die ATSB-Führung im Frühjahr 1933 die Arbeiter-Turn- und Sportbewegung vor der Zerschlagung retten wollte.

14 ebenda, Bl. 3

15 vgl. Ellen Bertram, "Leipziger Opfer der Shoah: Ein Gedenkbuch", Leipzig, 2015, S. 772

 

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