Maurer- und Zimmerergesellen gründeten 1910 den SC Teutonia
Altona und meleten ihn direkt im Arbeiter-Turnerbund an. Ursprünglicher Zweck war die Pflege des Schlagballspiels, Fußball kam erst später
dazu.
Die nun erschienene Vereinsbiographie beschreibt ausführlich die Geschichte dieses Stadtteilvereins, ausgehend von der frühen
industriellen Entwicklung der damals noch eigenständigen Stadt Altona über den Kampf der Arbeiter im Kaiserreich, Teutonias sportlicher Bedeutung bis 1933, Zwangsauflösung und Wiedergeburt sowie der
weiteren Entwicklung bis heute.
Von 110 Jahren seiner Existenz verbrachte der SC Teutonia also 23 Jahre im Arbeitersport. 23 Jahre, die es in sich hatten. Dieser Zeit
ist im Buch dankenswert viel Platz gewidmet, das Werk dürfte damit für alle Freunde unserer Seite interessant sein. Mit freundlicher Genehmigung von Vrlag
und Autoren bringen wir als Leseprobe das Kapitel über Teutonias größten Erfolg.
Teutonia beim Schlagballspiel, 1920
Olympiasieger! – Teutonias
Schlagballer triumphieren 1925 auf der Arbeiter-Olympiade in Frankfurt
Der heute vergessene Sport war einst ein Gassenhauer – und sogar für Nobelpreisträger ein Thema. Für den Kölner Jungen Robert Fähmel
steht fest, dass seine Mitschüler „Dummköpfe“ sind: „Sie konnten weder Schlagball spielen noch Hölderlin lesen.“
Der Architektensohn Fähmel dagegen weiß Bescheid, ist er doch „der beste Schlagballspieler, der beste Hundertmeter-Läufer, den wir
hier in der Stadt je gehabt haben.“ Fähmel räsoniert über die richtige Schlagtechnik und umwickelt die obere Seite seines Schlagholzes professionell mit Leukoplast. Dann schaut er auf seine
Armbanduhr und weiß, dass es an der Zeit ist: „Er warf den Ball hoch, griff blitzschnell um und schlug; er spürte es an der Wucht des Schlages, am federnden Widerstand des Holzes: das war wieder
einer seiner sagenhaften Treffer.“
In seinem 1959 erschienenen Roman „Billard um halb zehn“ beschreibt Heinrich Böll, wie derBall vom Schlagballplatz bis zur Mauer des
Brauereigeländes fliegt und das Ludwig-Gymnasium durch den letzten Schlag Fähmels nach Fünf-Punkte-Rückstand doch noch 37:34 gegen das Prinz-Otto-Gymnasium gewinnt.
Erinnerungsfoto des SC Teutonia 1910 Altona zum 10. Vereinsgeburtstag 1920
Literarischer Schlagball
In Bölls Familiengeschichte über das Vergessen und Vertuschen der Nazi-Vergangenheit im Nachkriegs-Deutschland erzählt der erwachsene
Fähmel dem Liftboy Hugo im Hotel „Prinz Heinrich“ von seiner Jugenderinnerung aus dem Juli 1935. Das Schlagballspiel dient Böll dazu, mit dem NS-Mitläufer Nettlinger und Fähmels Vertrauten Schrella
wichtige Nebenfiguren zu charakterisieren.
Außerdem liefert Böll eine frühe literarische Schilderung fanatischer Sportzuschauer, indem er Fähmel nach seiner entscheidenden Aktion
ganz unvermittelt sein Schlagholz zerbrechen lässt. Jüngere Schüler eilen herbei, um sich die Bruchstücke zu sichern: „Schon balgten sie sich um Andenken, kämpften verbissen um Holzstücke, rissen
sich Leukoplast-Fetzen aus den Fingern; er blickte erschrocken in diese erhitzten, törichten Gesichter, in diese bewundernden Augen, die vor Erregung glänzten, und spürte die billige Bitternis des
Ruhmes.“
1961 beginnt Günter Grass seine Novelle „Katz und Maus“ sogar mit Schlagball. „... und einmal, als Mahlke schon schwimmen konnte,
lagen wir neben dem Schlagballfeld im Gras“, berichtet der Erzähler Pilenz, der in seiner Mannschaft ein unverzichtbarer „Tickspieler“ ist – derjenige, der die gegnerischen Spieler kurz vorm Mal
abwerfen soll. Mit der Hauptfigur Jochen Mahlke spielt Pilenz „Katz und Maus“, indem er ihm eine Katze auf den hervorstechenden Adamsapfel setzt.
Die frühe Schlüsselszene der Novelle über die Jugend im Zweiten Weltkrieg wird von Spielschilderungen umrahmt: „Hotten Sonntag rieb
sein Schlagholz mit einem Wollstrumpf.“ „Studienrat Mallenbrandt pfiff: Wechsel Fangball Übergetreten.“ Auch hier ist der Schlagball Erinnerung, das mehrstündige Turnier („Wir
hatten hoch verloren und warteten nun auf das Gegenspiel“) hat um 1940 in Danzig stattgefunden.
Als die beiden späteren Literaturnobelpreis-Träger Grass und Böll über die einst allgegenwärtige Schul- und Freizeitbeschäftigung schreiben, ist aus dem
Schlagball die Luft fast schon raus. Auch bei Teutonia 10 wird das Sportspiel seit 1960 nicht mehr betrieben. Dabei sind die Teutonen – zumindest unter den Arbeitern – einmal führend in Altona,
Hamburg und 1925 sogar in der Welt gewesen. Damals kehrt die erste Schlagball-Mannschaft als Deutscher Meister und Arbeiter-Olympiasieger aus dem Frankfurter Waldstadion an die Allee
zurück.
Nach dem Ersten Weltkrieg nahm Teutonia auch Fußball mit ins Programm auf. Das Foto zeigt die Elf der Saison 1919/20.
Der Einschenker setzt sich durch
Der Triumph kommt nicht von ungefähr, denn in Altona steht die Wiege des modernen Schlagballs. Das 1796 von Guths Muths beschriebene Spiel wird 1894, ein knappes
Jahrhundert später, von Dr. Hermann Schnell, einem Lehrer am Altonaer Realgymnasium, entscheidend modernisiert. Der Verzicht auf den „Einschenker“ und das Verbot, mit dem Ball zu laufen, machen das
Spiel dynamisch und attraktiv.
„So trat das Schnell’sche Schlagballspiel, bald das ‚Altonaer Schlagballspiel’ genannt, seinen Siegeszug von Altona aus an. Über Eimsbüttel verbreitete es sich
nach Schleswig-Holstein und wurde bald in ganz Deutschland gespielt. Die ersten Vorführungen fanden auf der ‚Eisbahn’ statt, so hieß damals der Sportplatz an der heutigen Max-Brauer-Allee“,
schildert die Jubiläumsschrift der Altonaer Spielvereinigung (ASpV).
Nach Schnells Tod 1901 übernimmt der Altonaer Turninspektor und heutige Alleeplatz-Namensgeber Karl Möller den Vorsitz der Vereinigung. ASpV-Mannschaften und
Schüler-Mannschaften reisen zu Werbespielen nach Dresden, Leipzig, Zittau und Malmö. Nach der Dresdner Vorführung durch zwölf Altonaer Schüler im Juli 1903 zeigt sich der Münchner Schulrat Georg
Kerschensteiner begeistert: „Diese leuchtende Energie und Entschlossenheit auf den blühenden Gesichtern, die Kraft und Zucht und Selbstbeherrschung waren für Hunderte von Zuschauern aus ganz
Deutschland nicht nur ein einzigartiger Genuss, sondern gereichten auch allen vaterländischen Gesinnten zur höchsten Erbauung.“
Zur Beruhigung des Bürgerturms lässt sich das neue Spiel der wehrkräftigen Ausbildung der (männlichen) Jugend unterordnen. Um 1903 hält Schlagball auch an den
höheren Schulen Einzug. 1908 wird die erste Hamburger Meisterschaft für Vereine ausgetragen. Erster deutscher Meister wird 1913 der Harburger Turnerbund, der 1916 beim olympischen
Demonstrations-Wettbewerb für Deutschland an den Start gegangen wäre, wenn die nach Berlin vergebenen Spiele nicht aufgrund des Ersten Weltkriegs abgesagt worden wären.
Reiner Schlagballverein
Der SC Teutonia gründet sich 1910 allein, um Schlagball zu spielen. Vom Fußball, in dem Altona 93 gerade Meister des bürgerlichen
Hamburg-Altonaer Fußball-Bunds wird, ist im Gründungsjahr an der Allee noch nicht die Rede. Doch auch im Lieblingssport ist aller Anfang schwer. 1910 und 1911 verlieren die Teutonen fast alle Spiele.
Doch dann geht es aufwärts – laut Vereinschronist Wulf „durch hartes Training, leichtathletische Übungen, Sprintstarts, Schlagballwerfen und Verbesserung des technischen Könnens“. Und wie!
1912 und 1913 wird Teutonia Hamburger Arbeiter-Schlagballmeister, gefeiert werden die Titel im Vereinslokal August Eckhoff in der Hospitalstraße 1.
Der Erste Weltkrieg unterbricht die Fortschritte, doch danach schlagen die Teutonen richtig zu und machen erstmals außerhalb
Hamburg-Altonas auf sich aufmerksam: Am 14. September 1919 erringt Teutonia mit einem Sieg gegen Flensburg die norddeutsche ATSB-Meisterschaft. 1922 wird es noch besser. Nach den Meisterschaften von
Groß-Hamburg und Norddeutschland, spielen die Teutonen auch auf dem 1. Bundes-Turnfest in Leipzig groß auf. Nach dem 63:59 gegen die Freien Turner Benneckenbeck (bei Magdeburg) darf sich Teutonia 10
Deutscher Meister im Arbeiter-Schlagball nennen.
Das zum 1. ATSB-Bundesfest errichtete Holzstadion auf dem Leipziger Messegelände, in dem Teutonia Altona 1922 Deutscher Meister im Arbeiter-Schlagball wurde
Volkssport mit der Keule
Das Spiel ist nach dem Krieg ungemein populär. „Wer sich von der Beliebtheit des Schlagballspieles an der Wasserkante überzeugen
will, braucht nur an einen Sommersonntag nachmittags nach dem Spielplatz an der Sternschanze und am Grevenweg in Hamburg oder nach dem Sportplatz an der Allee oder vor der Oberrealschule in Altona zu
gehen“, berichtet Dr. Paul 1920 im Altonaer Stadtkalender: „Der glühende Eifer der Spieler und die Begeisterung der Zuschauer wird ihm beweisen, dass hier in Hamburg-Altona – wie übrigens
ähnlich in ganz Schleswig-Holstein – das Schlagballspiel tatsächlich schon zum Volksspiel geworden ist. Überall wird es hier bei uns betrieben, von groß und klein, fast auf jedem Stückchen freien
Platzes. Die Schuljugend spielt es in ihren Mußestunden, die jungen Arbeiter, Angestellten und Lehrlinge nach Feierabend und zum Zeitvertreib am Sonntag nachmittags auf den Spielplätzen in der
Stadt, neuerdings auch auf der schönen Spielwiese im Volkspark.“
1925 erringt Teutonia die höchstmöglichen Weihen. Auf der ersten Arbeiterolympiade in Frankfurt am Main wird zunächst am 26. Juli durch
ein 75:37 gegen Vorwärts Fermersleben die ATSB-Meisterschaft errungen: „Leider waren die Magdeburger in dem Entscheidungsspiel nicht so von Glück begünstigt. Teutonia Hamburg war der Gegner. Dem
äußerst energischen Spiele waren die Magdeburger nicht gewachsen“, schildert die "Volksstimme" aus Magdeburg das Geschehen aus Sicht des Gegners.
Völkerschlachtdenkmal als Kulisse: Schlagball-Sieger Teutonia Altona beim ATSB-Bundesfest 1922 in Leipzig
„Teutonia Olympiasieger“
Am Tag darauf treten die Teutonen als deutsche Auswahl bei der Olympiade an. In der deutschen Domäne Schlagball hat nur noch die
Tschechoslowakei eine Mannschaft geschickt. Der Gegner aus Aussig, dem heutigen Ústí nad Labem, hat beim 89:57-Sieg der Teutonen keine Chance. „Im Schlagballspiel siegte Deutschland“,
resümiert Wettkampfleiter Max Schulze: „Die Mannschaft war im Gesamtspiel besser als die Tschechen, bei denen nur einzelne Spieler hervorragten, sie konnten es allein nicht schaffen. Der
Tschechen Spezialität waren Steilschläge und sicheres Fangen, auch das Feldspiel war bestechend. Die deutsche Mannschaft hatte außerdem noch ihre Kraft in den imponierenden Weitschlägen. Schläge von
140 Meter waren keine Seltenheit. Die Tausende Zuschauer kamen bei diesem Spiel voll auf ihre Rechnung.“
Noch deutlicher endet ein „Propagandaspiel“ gegen das tschechische Berg (heute: Hora Svatého Václava), das die Teutonen 110:36
gewinnen.
Wenn heute vom „Public Viewing“ bei Fußball-Großereignissen die Rede ist, dann hat Teutonia mit einem „Public Waiting“ in der
Gaststätte zum Weidenhof 1925 vielleicht die Grundlagen gelegt. „Als am Montag das Endspiel ausgetragen wurde, hatten sich viele Mitglieder im Vereinslokal versammelt“, schildert die
Vereinschronik 1960: „Alle warteten auf das Telegramm aus Frankfurt, denn der Rundfunk steckte noch in den Kinderschuhen. Dann kam das Telegramm! Zwei Worte: Teutonia Olympiasieger. Keine 24
Stunden später und unser Vereinslokal war ein Blumenmeer. Die Weidestraße, jetzt Virchowstraße, war geschmückt mit Fahnen und Girlanden. Unser Mannschaft war überwältigt von diesem herzlichen
Empfang.“
Die Arbeiter-Olympiasieger von Teutonia Altona beim Empfang in ihrem Vereinslokal "Gastwirtschaft Weidenhof"
13 lokale Helden aus Altona
Die 13 überragenden und überwältigten Olympiasieger, inklusive einem Ersatzspieler, heißen: Hans Piehl, Martin Rasmuß (Marten
Rasmussen?), Paul Plätz, Alwin Jordan, Wilhelm Gühlke, Hans Pilkowski, Hermann Pilkowski, Alfons Pfeffer, Hermann Hadeler, Gustav Nieswand, Wilhelm Molloisch (Willy Mellosch?), Franz Gröschel und
Robert Sprenger.
Viele Schlagball-Champions können bequem zu Fuß zu Teutonia 10 gehen. Piehl wohnt in der Wilhelmstraße (heute Chemnitzstraße) gut 400
Meter vom Platz entfernt. Der 30-jährige Plätz muss rund 600 Meter laufen, um von seiner Wohnung in der Bürgerstraße (heute Thedestraße) zu Teutonia zu kommen. Klempner Jordan würde seine Bleibe in
der Rolandstraße heute nicht mehr finden, denn inzwischen steht dort die City-Ikea-Filiale des schwedischen Möbelherstellers – auch weniger als einen Kilometer vom Allee-Sportplatz entfernt.
Teutonias „heroes“ sind tatsächlich „local heroes“.
Wie die Teutonen im Schlagball-Wettstreit mit den führenden bürgerlichen Mannschaften Germania Gleiwitz und München 1860 ausgesehen
hätten, bleibt Spekulation. Im Schlagball sei „der Arbeitersport wohl von keiner anderen Bewegung zu übertreffen“, wagt die "Hamburger Volkszeitung" 1927 allerdings einen Vergleich mit den
bürgerlichen Rivalen.
Volker Stahl, Folke Havekost
"'Die Olympiasieger von der Allee': Die Geschichte des SC Teutonia 1910 aus Altona"
Verlag Die Werkstatt, 1. Auflage 2019
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten, 24,90 €
ISBN-10: 3730704443
ISBN-13: 978-3730704448
Links:
Abbildungen: Archiv des SC Teutonia 1910 Altona, vielen Dank!
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