Zum 100. Geburtstag des VfB Lübeck erschien kürzlich eine gediegene Chronik mit dem Titel "VfB Lübeck – Ein Jahrhundert Fußballgeschichte in der Hansestadt" eine gediegene Chronik. Im VfB-Emblem steht das Gründungsjahr 1919. Dieses und damit sein rundes Jubiläum verdankt der VfB dem Ballsportverein Vorwärts, der im Arbeiter-Turn- und Sportbund beheimatet war.
Mit freundlicher Genemigung von Autor Christian Jessen und dem Verlag Die Werkstatt präsentieren wir einen Buch-Auszug zu den Wurzeln des VfB Lübeck in der Arbeitersport-Bewegung.
Der Arbeiter-Turnverein Lübeck von 1893 (ab 1922 Arbeiter-Turn- und Sportverein, heute TuS 93) ist anfangs der einzige Lübecker Verein, der nicht der Deutschen Turnerschaft oder dem DFB angeschlossen ist, sondern dem Arbeiterturnerbund (ab 1919 Arbeiter-Turn- und Sportbund). Hier sind politisch aktive linksgerichtete Sportler beheimatet, die der Arbeiterschicht entstammen, meist der SPD nahe stehen und sich nicht den bürgerlich-konservativen Vereinen in DT oder DFB anschließen wollen. Seit 1911 ist im ATV bereits Fußball gespielt worden. Indirekt liegen hier auch Wurzeln des BSV Vorwärts – auch wenn der Verein im Gegensatz zur nahezu gleichzeitig entstehenden Freien Sportvereinigung Lübeck keine Abspaltung vom ATV ist.
Bereits im Jahr 1918 haben sich einige junge Arbeitersprösslinge aus dem Stadtteil St. Lorenz zum „wilden“ Straßenfußballclub „Hansa“ zusammengeschlossen. Ein Jahr später wird daraus mit dem Ballspielverein Vorwärts Lübeck ein „richtiger“ Verein. Auch wenn der nicht im offiziellen Vereinsregister eingetragen wird. Das ist damals nicht unüblich. Auch der zweite VfB-Vorläufer SV Polizei wird erst acht Jahre nach seiner Gründung als e.V. registriert. Als solcher wird übrigens selbst der ATSV Lübeck, durchgehend der mit Abstand größte Arbeiterverein in Lübeck, erst im Jahr 1930 eingetragen.
Das Gründungsdatum des BSV Vorwärts ist zuletzt an vielen Stellen mit dem 1. April 1919 angegeben worden. Dass der Verein wirklich an diesem Dienstag entstanden ist, ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch. Auch der 1. Oktober 1919 kommt in Betracht, die verbliebenen Vereinsgründer werden in den Mitgliederlisten der Nachkriegsjahre mit diesem Eintrittsdatum geführt. Zu Zeiten, als noch Gründungsmitglieder die Jubiläen mitfeiern, ist weder von April oder Oktober die Rede. Die Festschrift zum 30-jährigen Bestehen spricht von einer Entstehung „im Sommer“. Willi Burmeister, seit den späten 1920er-Jahren Vorsitzender beim BSV, datiert an gleicher Stelle die Vereinsgründung auf „August 1919“.
Im Spätsommer wird auch in den Nachkriegsjahren gefeiert. Sucht man nach einem genauen Tag, so ist die Gründung am ehesten auf Donnerstag, den 28. August 1919 zu datieren. So wird im Jahr 1959 am 28. August das 40. Stiftungsfest begangen. Möglicherweise auf Initiative der drei zu dieser Zeit noch dem Verein angehörenden Gründer. Das 50-jährige Jubiläum wird ebenfalls rund um diesen Tag eröffnet und die offizielle „Meldung“ des 75. Gründungstages durch den Vereinsvorstand an den DFB auch noch auf diesen Tag datiert.
Der "Kicker" benennt bis 1994 den 28. August als Gründungstag des VfB und geht erst dann zum 1. April über, der zuvor einzig im "Kicker-Almanach" genannt wird. Genaue Erklärungen dafür gibt es nicht mehr. Da keinerlei schriftliche Unterlagen zur Vereinsgründung existieren und die allermeisten Aufzeichnungen während der Nazi-Diktatur und im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen sind, ist hundertprozentige Gewissheit nicht mehr zu erreichen.
Als Gründungsmitglieder werden Bruno Behrens, Otto Frahm, Friedrich Lemm, Louis Maas, Anton Meyer, Carl Meyer, Hans Nagewitz, Alfred Regel, Heinrich Roser und Otto Schulze benannt. Soweit ermittelbar sind fast alle noch im Teenager-Alter und nahe des neuen Hauptbahnhofs in den Vierteln rund um die Hansestraße und zwischen Schwartauer und Fackenburger Allee beheimatet. Der erst 17-jährige Regel wird zum ersten Vorsitzenden gewählt, später folgen ihm in diesem Amt Carl Meyer und Wilhelm Burmeister.
Die Vereinsfarben sind braun-weiß. Gespielt wird in braunen Hemden, weißen Hosen und braunen Stutzen. Das erste Vereinslokal befindet sich in der Schwartauer Allee 17b in Potzki's Restaurant. Später ziehen die BSVer einige hundert Meter weiter in die Katharinenstraße 41, wo das Restaurant Marienburg für die längste Zeit zur Heimat wird.
Über einen eigenen Platz verfügt der BSV nicht, gespielt wird zunächst meist auf dem Kasernenhof an der Fackenburger Allee, später auch auf dem benachbarten Kasernenbrink oder in seltenen Ausnahmefällen auf dem von der Lübecker Turnerschaft geschaffenen Sportplatz Dornbreite. Dem Dachverband ATSB tritt der Verein zwischen dem 1. Oktober und 31. Dezember 1919 bei, in der Auflistung der neuen Mitgliedsvereine in der "Arbeiter-Turn-Zeitung" wird die Mitgliederzahl des BSV Vorwärts am 7. Januar 1920 mit 44 angegeben.
Der Verein ist zunächst in erster Linie ein Fußballverein. Das erste überlieferte Spielergebnis datiert vom 28. September 1919: Beim ATV Kücknitz verliert der BSV Vorwärts mit 2:6 (2:3).
„Es gab anfangs sehr viele Schwierigkeiten zu überwinden“, erinnert sich der Vorsitzende Alfred Regel später. „Hatten wir Geld zusammengelegt, gab es keine Bälle und Geräte. Aber unsere Jugend half uns über alle Schwierigkeiten hinweg, unser Idealismus führte uns schließlich doch zum Ziele.“ Als wichtigen Moment für den jungen Verein hat Regel den Übertritt von rund 40 Mitgliedern des ATV Lübeck im Jahr 1920 in Erinnerung, die dem BSV Vorwärts auch sportliche Vielfalt bescheren: „Waren es doch alles aktive Sportler, tätig im Schlag- und Faustball, Geräteturnen und in der Leichtathletik, vor allen Dingen aber auch Fußballer.“
Eine Abteilung für Frauen kommt 1926 hinzu, die sich in der Leichtathletik und im Faustball betätigen. Sie besteht aber offensichtlich nicht lange. Zum 1. Januar 1929 meldet der Verein dem Dachverband ATSB, dass er über 88 Mitglieder verfügt, 20 Turner und 68 Fußballer – allesamt männlichen Geschlechts.
Im ATSB sind die Fußballer in vier regionale Verbände eingeteilt, die sich wiederum in Kreise und Bezirke untergliedern. Lübeck mit den umliegenden Gebieten der heutigen Kreise Ostholstein, Stormarn, Lauenburg und dem östlichen Teil des heutigen Landkreises Segeberg bildet den 3. Bezirk im 3. Kreis des ATSB (1. Bezirk: Hamburg, 2. Bezirk: Schleswig, 4. Bezirk: Mecklenburg). Diese Bezirke spielen jeweils in eigenen Staffel ihre Bezirksmeister aus, die dann um den Titel auf der nächsthöheren Ebene, um die Kreismeisterschaft kämpfen dürfen.
Im Vergleich zum DFB, in dem deutlich mehr Vereine organisiert sind, ist die Konkurrenz unter den Arbeitersportlern weniger groß. Doch zur Hochzeit des ATSB Mitte der 1920er-Jahre sind im Lübecker Bezirk immerhin 17 Fußball spielende Vereine gemeldet. Eine Statistik aus der Saison 1926/27 weist im Gebiet des heutigen Kreisfußballverbands folgende elf Arbeitervereine mit Fußballabteilung aus: ATSV Lübeck, FSV Lübeck, SV Viktoria 08, BSV Vorwärts, ATV Kücknitz, ATV Frisch Auf Moisling, ATSV Sereetz-Dänischburg, ATV Schlutup, ATSV Schwartau-Rensefeld, ATSV Stockelsdorf, FT Travemünde. Hinzu kommen sechs Arbeitervereine aus den umliegenden Kreisen.
Die Berichterstattung über die höchsten Fußball-Spielklassen fällt im Arbeitersport vergleichsweise spärlich aus. In den linksgerichteten Zeitungen, in der Hansestadt ist das der sozialdemokratische "Lübecker Volksbote", finden sich nur sporadisch Schilderungen der lokalen Spiele. Für heutige Verhältnisse gewöhnungsbedürftig ist zudem, dass die Spieler nie mit Namen benannt werden. Im offiziellen Verständnis des Sports zählt in Arbeiterkreisen das Kollektiv. Ruhm oder Lorbeeren für einzelne Akteure sind in den Mannschaftssportarten vollkommen unerwünscht.
„Alle Lobhudeleien und hervorhebenden Namensnennungen müssen weg! Im Rahmen des Arbeitersports soll es keinen Personenkultus geben“, weist die "Freie Sport-Woche", das offizielle ATSB-Organ für Fußball, Leichtathletik und Turnspiele, alle Berichterstatter deutlich an. Bei der Spielbeschreibung begnügt man sich mit Positionsbezeichnungen.
Besonders verpönt ist es zudem, wenn sich Spieler aus dem Arbeitersportler-Milieu dem „Klassenfeind“ zuwenden und ins bürgerliche Lager überwechseln. Leistungssportliche Motive gesteht man diesen Abtrünnigen dabei grundsätzlich nicht zu. Das ist auch in Lübeck nicht anders. „Nachdem wir Arbeitersportler hier in Lübeck längere Zeit von den bürgerlichen Aufkäufern verschont geblieben, scheinen Mitglieder des Lüb. Ballspiel-Vereins jetzt die Zeit für gekommen zu halten, aufs neue ihre schmutzige Tätigkeit wieder aufzunehmen“, schreibt A. Sternberg vom ATV Kücknitz, der Vorsitzende im ATSB-Bezirksspielausschuss, im Februar 1924 in einem Artikel im "Lübecker Volksboten". „Die große Arbeitslosigkeit und die dadurch hervorgerufene Not soll ausgenutzt werden, um neue Kräfte zu kapern“, glaubt er und benennt einen Fall, in dem einem Arbeitersportler für den Fall eines Wechsels zum LBV eine sofortige Anstellung in der Flender-Werft versprochen worden sein soll.
Gleichzeitig wird versucht, Stimmung zu machen. Bei den Vereinen des klassischen Bürgertums, beim LBV und bei der Lübecker Turnerschaft, soll man sich in Spielen gegen die zu größeren Teilen aus Arbeitern bestehenden, aber dem DFB angegliederten Vereine VfR Lübeck und TV Jahn Kücknitz gegenüber den Arbeitern despektierlich geäußert haben. Sternbergs Aufforderung ist klar: „Dem geschlossenen Angriff des Kapitals setzt die geschlossene Abwehr des Proletariats entgegen!“
Der Klassenkampf, den viele nach der Abschaffung der Monarchie überwunden geglaubt haben, wird von beiden Seiten fröhlich weiter geschürt. Bekanntester „Überläufer“ in Reihen der beiden VfB-Vorgänger ist übrigens Heino Steffens, der Ende des Jahres 1928 als 22-Jähriger vom BSV Vorwärts zur Sportvereinigung Polizei wechselt und in beiden Teams ein Leistungsträger ist.
Erfolge in der Meisterschaft
Der BSV Vorwärts etabliert sich schnell neben ATSV und FSV, den Bezirksmeistern der frühen 20er-Jahre, dem ATV Kücknitz (Lübecker Meister 1924) sowie den weiteren Erstligisten Viktoria 08 und Moisling. Nachdem in den Jahren 1924/25 und 1925/26 die FSV Lübeck den Titel in der Hansestadt wieder erfolgreich für sich reklamiert, ist die Saison 1926/27 die bis dahin erfolgreichste in der BSV-Historie. „Im BSV Vorwärts hat der dritte Bezirk einen neuen Meister. Im Entscheidungsspiel musste der Titelhalter FSV der besseren oder jedenfalls durchschlagskräftigeren Mannschaft die Ehre des Jahres überlassen.“
In der Meister-Elf 1927 stehen noch drei Vereinsgründer: Otto Schulze, Anton Meyer und Hans Nagewitz. Meyer ist auch Schiedrichter-Obmann des ATSB-Bezirks und später noch im VfB Lübeck aktiv! Zum Team gehört mit Georg Lichtenstein auch der bedeutendste Lübecker ATSB-Auswahlspieler. Als linker Läufer ist er in der "Nordauswahl" (Repräsentativ-Elf des 3. ATSB-Kreises) am 14. August 1931 beim 5:5 gegen die dänische Arbeiterauswahl in Kopenhagen dabei.
In der Endrunde der vier Nordmark-Bezirksmeister haben die Braun-Weißen nach einem 4:3-Erfolg über Mecklenburgs Titelträger FSV Malchin und einer 3:4-Niederlage gegen Rasensport Kiel sogar noch eine kleine Chance auf den Kreistitel. Erstmals erwartet der BSV am 9. Januar 1927 einen richtig namhaften Gegner. Mit Hamburgs Bezirksmeister Lorbeer 06 ist die bekannteste norddeutsche Arbeitermannschaft, zu der auch Uwe Seelers Vater Erwin als 16-Jähriger bereits gehört, in Lübeck zu Gast.
„Ungefähr 600 Zuschauer hatten sich auf dem Kasernenhofe eingefunden, um dem Spiel Lorbeer 06 Hamburg gegen BSV Lübeck beizuwohnen“, berichtet der "Lübecker Volksbote". „Der Spielplatz war in denkbar schlechter Verfassung“, so die "Freie Sport-Woche". Abgesagt wird jedoch aus Kostengründen nicht. Sowohl in Lübeck als auch im ATSB-Blatt wird das Spiel in bislang ungekannter Ausführlichkeit geschildert. „Lorbeer bedrängt in der ersten Zeit Vorwärts Heiligtum. Jedoch V.s Verteidigung macht viele Angriffe zunichte. Bald kommt Vorwärts in Schwung und einige gefährliche Schüsse verfehlen ihr Ziel“, beschreibt der "Volksbote" und die "Freie Sport-Woche" stellt fest: „Die Lübecker entpuppen sich durch ihren Eifer vorerst als gleichwertiger Gegner.“
Der "Volksbote" schildert auch die Tore genau: „Plötzlich bekommt L.s Linksaußen den Ball (in Abseitsstellung). Ein kurzer Lauf – Schuß – erstes Tor für Lorbeer. Fast in derselben Minute gleicht Vorwärts aus. Lorbeers Sturm ist bedeutend schneller am Ball. V.s Verteidiger gibt den Ball zu langsam zurück, durch schneidiges Nachsetzen gelangt Lorbeer zum 2. Tor. Nach Wiederanpfiff dasselbe scharfe Tempo. Als bester Mann in der Fünferreihe entpuppt sich Halbrechts. Derselbe Spieler stellt auch durch scharfen platzierten Schuß den Ausgleich her. Vorwärts' Verteidigung macht einige Schnitzer, die der Torwart durch entschlossenes Eingreifen wieder gut macht. Lorbeer geht zur Offensive über und bekommt einen Elfmeter zugesprochen. Lorbeer läßt diese Torgelegenheit unausgenutzt. Vorwärts läßt wieder todsichere Sachen aus. Das dritte Tor für Lorbeer – errungen durch schneidigen Angriff – schießt Halbrechts platziert in die linke Ecke ein. Vorwärts' Verteidigung ist überlastet, der Sturm fällt dem scharfen Tempo zum Opfer. Ein Flankenlauf des Rechtsaußen von Lorbeer wird nach einigem Hin und Her zum 4. Tor verwandelt. Resultat 4:2 für Lorbeer. Eckenverhältnis 9:7.“
Als verdient erkennen beide Berichterstatter den Sieg der Hamburger an. Der "Volksbote" sieht ihn „durch die größere Energieentfaltung“ errungen, die "Freie Sport-Woche" spricht ihn „der größeren Routine“ zu und stellt fest: „Damit hat ein gutes Propagandaspiel in Lübeck werbend für unsere Zwecke gewirkt.“
Ein Jahr später steht die Vorwärts-Mannschaft erneut als Lübecker Bezirksmeister in der Endrunde der vier norddeutschen Titelträger, die diesmal im K.o-System ausgetragen wird. In einem Heimspiel schlagen die Lübecker zunächst Mecklenburgs Meister FSV Malchin mit 4:3 (2:3).
„Malchin lag mit 2:0 in Führung und konnte bis zur Halbzeit die Zahl auf drei erhöhen, wogegen Vorwärts nur zwei entgegensetzte“, heißt es im diesmal kurzen Bericht im "Volksboten". „Vorwärts, nach Halbzeit die bessere Seite und demzufolge auch mehr vom Spiel, konnte den Ausgleich sowie kurz vor Schluß den Sieg an sich bringen.“ Und auch im erstmals erreichten Finale genießt der BSV Vorwärts Heimrecht, und das überraschend nicht gegen den Hamburger Meister.
Am 5. Februar 1928 findet aber auch das größte Spiel in der Vereinsgeschichte, das immerhin 2500 Zuschauer auf den Kasernenhof lockt, nur auf wenigen Zeilen im "Lübecker Volksboten" statt: „Das Endspiel um den Kreismeister hat mit einer Sensation geendet. Der Favorit Hansa Kiel, der in bestechender Form den gewiß nicht schlechten Hamburger Meister Ottensen 93 mit 5:1 schlug und den man die allergrößten Siegeschancen gegen den Lübecker Meister zusprach, ist von diesem verdient mit 2:1 geschlagen worden. Der Lübecker Mannschaft ist der Sieg um die höchste Ehre des Kreises zu gönnen. Unsere herzlichsten Glückwünsche zur Erlangung der Kreismeisterschaft.“
Die "Freie Sport-Woche" vermittelt noch ein paar Informationen mehr: „Lübeck liefert ein großartiges Spiel. Hansa konnte sich mit dem schweren Boden nicht abfinden. Lübecks starke Stütze war die Läuferreihe, die das Spiel jederzeit beherrschte.“ Von der Meistermannschaft sind ausnahmsweise auch die Namen überliefert: Bruno Schnoor, H. Erdmann, M. Krasch, Georg Lichtenstein, Anton Meyer, Hans Nagewitz, Emil Plagemann, A. Schmidt, Otto Schulze, Heino Steffens, E. Vollmer.
Zum zweiten und letzten Mal (nach der FSV Lübeck im Jahr 1925) hat eine Lübecker Mannschaft das Halbfinale der Nordwestdeutschen Verbandsmeisterschaft des ATSB erreicht. Hier hat der BSV Vorwärts aber weder Losglück noch im Spiel Fortuna auf seiner Seite. Beim Bremer Titelträger ATS Buntentor ist das Lübecker Team ohne Chance. Am 18. März 1928 gewinnen die Gastgeber mit 7:1 (3:1). „Mit flottem Tempo fing es an und beim Stand von 2:0 für Buntentor schoß Lübeck das einzige Tor“, berichtet die "Freie Sport-Woche". „Bremen zeigte sich im zweiten Spielabschnitt derart überlegen, daß Lübeck in die eigene Spielhälfte gedrängt wurde.“
Der "Lübecker Volksbote" übt auf den wenigen Zeilen leise Kritik: „Vorwärts zeigte heute nicht in allen Punkten ein zufriedenstellendes Spiel. Die Hintermannschaft rückte zu weit auf und wurde vom Gegner überrumpelt, so daß derselbe freies Schußfeld hatte und manchen unhaltbaren Schuß anbringen konnte. Der Mittelläufer mußte eine Zeitlang wegen Verletzung ausscheiden und war nach Wiedereintritt nur noch Statist. Der Sturm war vorm Tor zu unbeholfen und ließ Schußsicherheit vermissen.“
Heftige Klatschen
In den folgenden beiden Jahren geht der Titel wieder an die Konkurrenz. 1929 sichert sich erstmals Viktoria 08 die Bezirksmeisterschaft (kassiert aber im Halbfinale auf Kreisebene ein 0:10 gegen Lorbeer 06), ein Jahr später steht erneut die FSV ganz oben. Für den BSV Vorwärts läuft es in der Saison 1930/31 wieder besser, in der die Braun-Weißen nach einem glücklichen 1:0 über den ATSV am vorletzten Spieltag in der Lübecker Staffel die Spitze erobern.
In der erneut in einer Vierergruppe ausgespielten Kreismeisterschaft hat der BSV aber keine Chance. Nach einem 0:8 zum Auftakt beim FC Süd Kiel ist das bereits klar. Das zweite Pflichtspiel-Aufeinandertreffen mit Lorbeer 06 sorgt aber noch einmal für Aufmerksamkeit. Der Verein aus dem Hamburger Arbeiterstadtteil Rothenburgsort hat sich als bislang einziger norddeutscher Verein 1929 auch die Bundesmeisterschaft gegen die starke Konkurrenz aus Sachsen und Franken sichern können und ist Anfang 1931 in der Blüte seines Erfolgs angelangt.
Entsprechend chancenlos sind die Vorwärts-Kicker, als am 8. Februar 1931 das letzte wirklich große Spiel ihrer Vereinsgeschichte in Lübeck steigt. Es muss kurzfristig wegen der winterlichen Witterung vom „über Nacht in eine Eisbahn verwandelten“ Kasernenbrink auf den Sportplatz Dornbreite verlegt werden. Dennoch wollen sich 1200 Zuschauer die Partie nicht entgehen lassen.
Der "Lübecker Volksbote" widmet dem Spiel diesmal fast eine halbe Seite. So viel Aufmerksamkeit hat der lokale Fußball im SPD-Blatt noch nie bekommen. „Auf schneebedecktem Boden und bei nicht gerade angenehmer Temperatur stellten sich die Mannschaften um 3.15 Uhr dem Genossen Schartau, Kiel“, schildert der Bericht zunächst die Rahmenbedingungen. An den Kräfteverhältnissen lässt der Berichterstatter keinen Zweifel: „Lorbeer wies keinen schwachen Punkt in seiner Mannschaft auf.“
Trotz der ausführlichen Schilderung gibt es auch hier keine Namen. Selbst Erwin Seeler, als Spieler der ATSB-Bundesauswahl längst eine über Arbeiterkreise hinaus bekannte Fußballgröße (und ein Jahr später mit seinem Wechsel zum bürgerlichen SC Victoria wahlweise „Verräter“ oder „verirrter Proletarier“), wird nicht namentlich benannt, sondern nur als „Lorbeers bekannter Mittelstürmer“ bezeichnet. Er trägt mindestens zwei Tore zum 9:1 (4:1)-Erfolg der Hamburger bei.
Immerhin gelingt der Vorwärts-Elf beim Stand von 0:3 ein Ehrentreffer. „Die rechte Sturmseite der Hiesigen ist wieder einmal gut durchgekommen“, schildert der "Volksbote", „wieder flankt der Rechtsaußen wunderbar vors Tor, der Linksaußen ist zur Stelle und kann den Ball ins Tor köpfen.“ Die Mannschaftskritik der Gastgeber fällt trotz der hohen Niederlage nicht allzu scharf aus: „Die Vorwärtsleute sind durch zwei Mann Ersatz stark geschwächt, konnten nicht sonderlich überzeugen. Der Torwart hielt, was zu halten war, auch die Läuferreihe arbeitete gut, ließ allerdings die Zusammenarbeit mit dem Sturm stark vermissen. Im Sturm gefiel nur die rechte Seite.“
Der BSV Vorwärts verliert auch das letzte Spiel in der Endrunde beim mecklenburgischen Meister Vorwärts Teterow mit 4:7 (1:6). Lorbeer setzt sich nicht nur im Norden durch, sondern gewinnt auch zum zweiten Mal den Titel des ATSB-Bundesmeisters.
Das Jahr 1931 bietet für einige Mitglieder des BSV Vorwärts einen weiteren Höhepunkt: die Teilnahme an der 2. Arbeiter-Olympiade in Wien. Bereits 1925 in Frankfurt haben einige Vereinsmitglieder am ersten Zusammentreffen dieser Art von Arbeitersportlern aus ganz Europa teilgenommen. Die Fußballmannschaft ist nicht darunter, mit dem Lederball misst sich auch zu diesen Gelegenheiten die ATSB-Bundesauswahl als inoffizielle Arbeiter-Nationalmannschaft.
In den letzten beiden Jahren kommen die Vorwärts-Fußballer nicht mehr auf die norddeutsche Ebene. 1932 wird die FSV Bezirksmeister, 1933 erstmals der ATSV Schwartau-Rensefeld. Die Kreisendrunde kann jedoch schon nicht mehr abgeschlossen werden. Mit der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 werden die Zeiten für organisierte Arbeiter und Sozialdemokraten schwer. Die Kommunistische Partei und alle ihr zugehörigen Organisationen werden bereits nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar ausgeschaltet, als eine Notverordnung auch zahlreiche demokratische Grundrechte einschränkt.
Dem ATSB und den ihm angehörigen Vereinen und Sportlern hilft es nicht, dass die politische Linke schon zuvor keineswegs gemeinsame Sache gemacht hat und die Kommunisten 1929 sogar einen eigenen Sportverband („Kampfgemeinschaft für rote Sporteinheit“, kurz: „Rot-Sport“) geschaffen hatten. Die Repressalien nehmen im Frühjahr 1933 zu. Auf dem Weg zum totalitären Einparteienstaat, den Hitler mit allen Mitteln schaffen will, ist es eine Frage der Zeit, wann auch die Arbeitersportler als oppositionelle Gruppe verboten werden.
Am 8. Mai 1933 ist es schließlich soweit. Das Polizeiamt Lübeck teilt unter der Überschrift „Verbot“ unmissverständlich mit: „Auf Grund von §§ 1 und 4 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 werden hiermit sämtliche Arbeiter-Turn- und Sportvereine und -verbände (Kartelle) mit sofortiger Wirkung verboten. Unter dieses Verbot fallen insbesondere das Arbeiter-Sportkartell Lübeck e.V. und die folgenden Vereine.“
Unter den anschließend aufgelisteten 33 Lübecker Sportvereinen findet sich an Position 15 auch der Eintrag „Ballspielverein 'Vorwärts', Lübeck“. Weiterhin wird mitgeteilt: „Die Vereine haben sich sofort aufzulösen und dem Polizeiamt bis zum 15. d. M. anzuzeigen, daß dies geschehen ist. Den Mitgliedern ist es verboten, sich von neuem unter anderem Namen wieder zusammenzuschließen. Wer dieser Anordnung zuwiderhandelt oder zu einer solchen Zuwiderhandlung auffordert oder anreizt, wird auf Grund von §4 der Verordnung des Reichspräsidenten mit Gefängnis nicht unter einem Monat oder mit Geldstrafe von 150 bis 15000 RM bestraft.“
Die Mitglieder kommen der Aufforderung zur Auflösung nach. Sie wissen, dass Widerstand keine Aussicht mehr auf Erfolg hat. Am 13. Mai löst sich die Dachorganisation des Arbeiter-Sportkartells Lübeck auf, zwei Tage später folgen die ihm angeschlossenen Vereine. Auch die rund 140 Mitglieder des BSV Vorwärts lösen den Verein auf, dessen Vermögen inklusive der Sportgeräte vom Staat eingezogen wird. Der BSV Vorwärts hört nach 14 Jahren auf zu existieren.
So geht es auch den anderen Arbeitervereinen wie dem ATSV (dessen Mitglieder 1937 mit dem BSV Schwarz-Weiß unter einem Deckmantel einen neuen Verein gründen), der FSV oder der Viktoria. Sie alle entstehen im Herbst 1945 neu. Der BSV Vorwärts lebt ebenfalls zu dieser Zeit wieder auf – als Teil des neuen VfB.
1921: ATSV Lübeck von 1893
1922: ATSV Lübeck von 1893
1923: Freie Sportvereinigung von 1920 Lübeck
1924: ATV Kücknitz von 1919
1925: Freie Sportvereinigung von 1920 Lübeck
1926: Freie Sportvereinigung von 1920 Lübeck
1927: Ballspielverein Vorwärts von 1919
1928: Ballspielverein Vorwärts 1919 Lübeck, Kreisendspiel am 5. 2. 1928: BSV Vorwärts 1919 Lübeck – FC Hansa Kiel 2:1 (2:1) vor 2.500 Zuschauern auf dem Kasernenhof an der Fackenburger Allee
1929: Lübecker SV Viktoria von 1908
1930: Freie Sportvereinigung von 1920 Lübeck
1931: Ballspielverein Vorwärts von 1919
1932: Freie Sportvereinigung von 1920 Lübeck
1933: ATSV Schwartau-Rensefeld
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