Der Walter-Wächter-Sportplatz in Hamburg

Ehrung für einen Arbeitersportler und Widerstandskämpfer

 

Am 1. September 2018 hat der FC Alsterbrüder in Hamburg-Eimsbüttel den bisherigen Gustav-Falke-Sportplatz nach Walter Wächter umbenannt. Der Schriftsteller Gustav Falke (1853-1916) war Nationalist und Franzosenhasser, und er verherrlichte den Krieg. Der Walter-Wächter-Platz ist die erste Sportstätte in der zweitgrößten deutschen Stadt, die den Namen eines Antifaschisten und Arbeitersportlers trägt.

Dies mag Anlass sein, in diesem Beitrag einleitend auch einigen Benennungen von Straßen und Sportstätten in Hamburg nachzugehen. Der Name der an den Walter-Wächter-Platz grenzenden Gustav-Falke-Straße wird allerdings so bleiben. Der von SPD und Grünen regierte Stadtstaat Hamburg geht mit Umwidmungen von Straßennamen, auch im Hinblick auf Anlieger (Adressen-Änderungen!), sehr defensiv um. Man kann dies als Rücksicht der SPD auf ein aus ihrer Sicht vermeintlich konservatives Bürger-Milieu interpretieren, das sich durch das "Hamburger Abendblatt“ repräsentiert fühlen darf. Die Grünen haben das Interesse an solchen Diskussionen zwischenzeitlich verloren.

 

Glückliche Stunden im Arbeitersport: Walter Wächter (Mittelreihe, 4. v.l.) im Kreise seiner Sportgenossen von Fichte Eimbsbüttel, um 1932

Hochburg der Hindenburg-Verehrung

 

Es wimmelt jedenfalls in Hamburg nur so von Straßennamen in Erinnerung an Generäle der Kaiserzeit und umstrittene Repräsentanten einer verbrecherischen Kolonialpolitik. Und die Hansestadt ist geradezu eine Hochburg der Hindenburg-Verehrung. Der ehemalige Generalfeldmarschall und Reichspräsident, der bei Historikern heute als Schöpfer der „Dolchstoßlegende“ (Linke und Juden seien im 1. Weltkrieg der Front in den Rücken gefallen) und „Steigbügelhalter“ bzw. „Wegbereiter“ („Die Welt“, 14. Oktober 2015) Hitlers gilt, ist vielerorts verewigt.

So mit dem Hindenburg-Haus im Zentrum, so genannt vermutlich seit dem Umbau vom „City-Hotel“ zum Kontorhaus 1921. Die Hindenburg-Brücke über die Alster dürfte 1925 ihren neuen Namen erhalten haben. 1935 wurde der bis heute existente Gedenkstein im Stadtteil Wellingsbüttel gesetzt. Und es gibt weiter den Hindenburg-Park an der Elbchaussee. Hindenburg ist seit 1917 Ehrenbürger der Hansestadt. So soll es bleiben, befanden SPD, Grüne und FDP in der Hamburger Bürgerschaft 2015. Man wolle „kein aktuelles Bedürfnis nach politisch-moralischer Richtigstellung bedienen.

Und da wäre noch einer der längsten Hamburger Straßenzüge, die Hindenburg-Straße. Im zuständigen Bezirk Hamburg-Nord votierten 1988 SPD und Grüne für eine Umbenennung. Was der damals allein regierende SPD-Senat verwarf. Schließlich gab es 2013 einen scheinheiligen Kompromiss: Sozialdemokraten widmeten ein kleines Straßenstück dem SPD-Reichstags-Abgeordneten Otto Wels, der 1933 eine mutige Rede gegen die Nazis gehalten hatte. Dies betrifft aber lediglich eine postalische Adresse.

 

Jugendspieler des Hamburger SV um 1926, 4. von rechts Walter Wächter

 

Skagerrak, Sievert, Stöck

 

Doch nach diesem politischen Exkurs wieder zurück zum Walter-Wächter-Sportplatz. Der, wie geschrieben, eine Ausnahme darstellt. Denn Hamburgs Verantwortliche in diversen Ämtern und Bezirken haben sich nie gründlich und schon gar nicht nachfragend um die Benennung von Sportstätten gekümmert. Inzwischen sind sie allerdings durch den vermehrten Wohnungs-Neubau mancher Probleme enthoben worden. So verschwanden einige Bezeichnungen.

Dies betraf die Skagerrak-Kampfbahn im Stadtteil Lokstedt, benannt nach der größten Seeschlacht im 1. Weltkrieg zwischen Kaiserlicher Marine und Royal Navy vor Jütland. Ebenso die Hans-Heinrich-Sievert-Kampfbahn in Lokstedt. Sievert (1909-1963) war Zehnkampf-Weltrekordler. Der Kriegsversehrte amtierte nach Ende der NS-Zeit u. a. als Amtsgerichtsrat, Regierungsdirektor, Ministerialbeamter und als Vorsitzender des Leichtathletik-Verbandes Hamburg. Die Gemeinschaft Deutscher Olympiateilnehmer verlieh seit 1971 den „Dr. Hans-Heinrich Sievert-Preis.“

Zuvor gehörte Sievert der NSDAP und dem NS-Rechtswahrerbund an. Bekannt wurde dies erst im Juli 2011 durch eine Veröffentlichung der Hamburger Sozialdemokraten Paul Busse und Peter Busse in der Zeitschrift „Leichtathletik Informationen“, die sich vor allem mit dem Speerwurf-Olympiasieger von 1936, Gerhard Stöck, befasste. Dem hatte Sievert bei der Entnazifizierung geholfen.

Stöck wurde nach seinem Zuzug aus Berlin 1946 in Hamburg Mitglied von SPD und Hamburger SV und leitete von 1950 bis 1975 das Sportamt. 1956 und 1960 fungierte er als Chef de Mission des gesamtdeutschen Olympia-Teams. Der Senat verlieh bis 2006 den „Gerhard-Stöck-Preis“ an erfolgreiche Hamburger Sportler. Inzwischen gibt es diesen nicht mehr; die Rugby-Frauen des FC St. Pauli gaben ihn zurück, nachdem ihrem Trainer Jens Michau die Rolle von Stöck in der NS-Zeit bekannt geworden war. Denn Gerhard Stöck trat am 5. Mai als Lehramtsstudent der SA bei (späterer Rang: Sturmbannführer) und 1937 der NSDAP. Was er später verschwieg, indem er u. a. sein Geburtsjahr fälschte.

Nicht hinterfragt wurde bislang der Name der Wolfgang-Meyer-Sportanlage nahe Hagenbecks Tierpark in Hamburg-Stellingen. Ehemals spielten dort die HSV-Fußballerinnen in der Bundesliga, jetzt treten dort in der 4. Liga (Regionalliga Nord) die Männer des HSV II an. Prof. Dr. Wolfgang Meyer war in der Weimarer Zeit Oberschulrat für die höheren Schulen und fungierte nach der NS-Machtübernahme vorübergehend als Landesschulrat. Der Gauführer der Deutschen Turnerschaft Hamburg war nie NSDAP-Mitglied, bot aber aufgrund „der vielen Kriegsbeorderungen“, wie er das nannte, noch kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs seine Dienste an.

 

Walter Wächter (links), Sieger über 100 Meter in 11,6 Sekunden bei der Norddeutsche Jugend-Meisterschaft 1927 in Magdeburg

 

Ein neuer Name auf St. Pauli

 

Die bundesweit am meisten beachtete Hamburger Sportstätten-Umbenennung betraf den FC St. Pauli, dessen Platz von 1970 bis 1999 Wilhelm-Koch-Stadion hieß. Koch war langjähriger Vorsitzender des Klubs. Seine Nachfahren handelten aufgrund beträchtlicher Schulden der Braun-Weißen den Namens-Deal aus. Nachdem der Journalist René Martens die Biografie von Koch in der NS-Zeit publizierte, gab es innerhalb des Vereins eine breite Debatte um den Stadion-Namen.

U. a. bei dem renommierten Historiker Frank Bajohr wurde eine Expertise in Auftrag gegeben, die zu folgendem Ergebnis kam: Wilhelm Koch war seit 1937 Mitglied der NSDAP, hatte aber keinerlei politische Aktivitäten gezeigt. Ein Teilhaber und er hatten eine jüdische Firma „arisiert“, doch wurden die früheren Eigentümer nie geschädigt. Dennoch entschied die Mitglieder-Versammlung weit nach Mitternacht mit 133:77 Stimmen für eine Umbenennung in Millerntor-Stadion. Der ehemalige Bundes-Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) trat daraufhin als Vizepräsident und Aufsichtsrats-Vorsitzender des Vereins zurück.

 

 

Eimsbüttel ergreift die Initiative

 

In Eigenitiative, nach gründlicher historischer Forschung, hat der bedeutende Hamburger Großverein Eimsbütteler TV unweit der Alsterbrüder-Sportstätte Umbenennungen vollzogen. Die Julius-Sparbier-Sportplätze heißen nun Sportplätze an der Bundesstraße, denn der Namensgeber stand der NS-Ideologie nahe. Aus dem August-Bosse-Platz, der langjährige Vorsitzende des Norddeutschen Fußball-Verbandes war bereits vor 1933 NSDAP-Mitglied, wurde der Softballplatz an der Hohen Weide.

Die Robert-Finn-Halle heißt jetzt Große Halle. Robert Finn, seit 1940 in der NSDAP, war laut Historiker-Urteil „ranghoher Praktiker der Kriegswirtschaft.“ Vor dem ETV-Sitz erinnert heute eine Stele an verfolgte und ermordete jüdische Mitglieder. Gedenktafeln in diesem Sinne haben auch der FC St.Pauli und der HSV errichtet. 

 

Das Stadion des Hamburger SV am Rothenbaum, 1940er Jahre

 

Der Dichter Falke

 

Der FC Alsterbrüder, der wie erwähnt seine Sportanlage nach Walter Wächter benannt hat, ist kein ehemaliger Arbeiter-Sportverein, wurde er doch erst 1948 gegründet. Laut „Abendblatt“ hat sich der Bezirksligist (7. Liga) gegen Nazis, Rassismus und Homophobie positioniert. Weshalb Mitgliedern die Bezeichnung „Gustav-Falke-Sportplatz“ an der gleichnamigen Straße missfiel.

Dieser Dichter ist heute weitgehend vergessen. Er wird als „bürgerlich-volkstümlich“ eingeordnet. Wie auch immer sich das mit seinem Gedicht „Ekel“ von 1892 verträgt. Darin hieß es u. a.: „Die ihr umstolzt mich mit den vollen Taschen, krummnasig oder nicht, verfluchte Beter (...) Geht! Schachert, trügt und macht’s Geschäftchen weiter (...) Nur aus der Sonne (...) Sonst speit mein Zorn euch in die ekle Fratze.“

Krummnasige Schacherer“ – dies bedarf keiner weiteren Kommentierung. Mit seinen Werken nach Beginn des 1. Weltkriegs wird Gustav Falke als „nationalistischer Propagandist“ charakterisiert. Reime wie in seinem "Reiterlied" („Warum sind Husaren so rot? Von Blut! Wir schlugen viel tausend Franzosen tot!“) wurden im Krieg mit einem preußischen Orden belohnt.

Gustav-Falke-Straßen gibt es nicht mehr in Essen, in Stuttgart und im thüringischen Hildburghausen, wo der Dichter zeitweise lebte. Wohl aber in Lübeck und Kiel. Zur Benennung Gustav-Falke-Grundschule im Berliner Wedding befand die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“: Ein seltsamer Patron.

Im Herbstscher Park (Volksmund: „Falke-Park“) in Hamburg-Groß-Borstel erinnert eine Relief-Stele an ihn. Der Dichter konnte sich dort in einer Villa niederlassen, nachdem ihm 1903 der Hamburger Senat „wegen seiner Verdienste um die deutsche Literatur“ einen „lebenslangen Ehrensold“ widmete.

Die Stellungnahme des FC Alsterbrüder war eindeutig: „Gustav Falkes Einstellungen und Meinungen stehen in direktem Widerspruch zu den Werten unseres Vereins. Er war profilierter Nationalist, Kriegsverherrlicher und Ausländerfeind. Er hat mit nationalistischen Versen das Gedankengut des Nationalsozialismus vorbereitet.

 

Knaben-Mannschaft des Berliner FC Preussen, Gegner der HSV-Jugend vor 18.000 Zuschauern zu Ostern 1926

 

Bezirksversammlung kontra Sportamt

 

Aus Publikationen zur Geschichte des HSV hatte der FC Alsterbrüder den Namen Walter Wächter kennen gelernt. Das zuständige Sportamt lehnte erst einmal ab: „Bezirkliche Sportanlagen werden grundsätzlich nur nach ihrer offiziellen Belegenheit benannt.“ Siehe oben: Skagerrak, Sievert, Stöck...
Die Bezirksversammlung Eimsbüttel allerdings entschied anders, und so konnte am 1. September 2018 der Walter-Wächter-Sportplatz unter zahlreicher Teilnahme, auch der Familie des Sohns Torkel Wächter aus Stockholm, eingeweiht werden. Alsterbrüder-Vorstandsmitglied Frank Vöhl-Hitscher: „Damit können wir auf einem Platz spielen, der stärker mit unseren Werten verbunden ist.

Walter Wächter wurde am 26. Mai 1913 in der Roonstraße 23 in Hoheluft-West geboren. Dieses Viertel war eigentlich Einzugsgebiet des traditionsreichen SC Victoria Hamburg. Der Schüler aber wuchs später im Eppendorfer Weg 40 auf. Die Stadtteile Rotherbaum und Eppendorf mit zahlreichen jüdischen Mitbürgern tendierten eher zum führenden, großbürgerlichen Verein Hamburgs, dem HSV. So schloss sich Wächter diesem Klub an. 

 

Hamburger Schulmeisterschaft am 16./17. September 1927, Sieger in der 6×100-m-Staffel: Anton-Ree-Realschule mit Weiß, Haßforter, Gülzow, Wächter (Staffel-Führer), Kaiser und Mähl (v.l.)

 

Von der 6. Jugend in die 1. Jugend

 

Die 1920er Jahre waren ein „Jahrzehnt des Sports“, weshalb auch der damals Zwölfjährige Walter in der 6. Fußball-Jugend (den "Knaben") des HSV als Rechtsverteidiger aktiv wurde. Groß gewachsen und schnell auf dem Rasen stieg er als sogenannter Halbstürmer in die 5. Jugend auf. Die wurde Gruppensieger, so gelangte Wächter in die 2. Jugend des HSV. Und hatte bald darauf einen Stammplatz als Rechtsaußen in der 1. Jugend des führenden Hamburger Sportvereins. Deshalb wirkte er auch im Vorspiel der Nordmeisterschafts-Partie 1926 zwischen dem HSV und Holstein Kiel mit, beim Spiel der Schülermannschaften von HSV und Berliner FC Preussen (0:1) – vor 18.000 Zuschauern im legendären Stadion Rothenbaum! 

Walter Wächter war im „Jahrzehnt des Sports“ ein Allrounder: Neben Fußball spielte er noch Handball und war Leichtathlet. 1927 gewann er in Magdeburg die Norddeutsche Jugend-Meisterschaft über 100 Meter in 11,6 Sekunden. Sein HSV-Trainer überzeugte ihn, sich wegen der Verletzungsgefahr vom Fußball fern zu halten. Dieser ehrenamtliche Trainer könnte Fritz Tachau (geb. 1904) gewesen sein, der 1943 im KZ Auschwitz ermordet wurde.

Dem Hamburger SV kehrte Walter Wächter allerdings den Rücken. Er sagte 1982 der schwedischen Tageszeitung „Örebro Kuriren“ in einem Interview: „1929 verließ ich meinen geliebten HSV. Beim jährlichen Vereinsfest hielt der Vorsitzende, ein Mediziner (...), eine Rede mit antisemitischen Einschlägen. Die Rede war außerdem ein Bekenntnis zu jener Art von nationaler Ideologie, die von der damals schon wachsenden nationalsozialistischen Bewegung vereinnahmt wurde.

Die entsprechende Rede ließ sich anhand der „Vereinsnachrichten“ des HSV nicht mehr feststellen. Vorsitzender des Vereins war zu diesem Zeitpunkt Emil Martens, kein Mediziner.

 

Walter Wächter, 3. v.l. im HSV-Nachwuchs auf dem Platz am Rothenbaum, ca. 1929

 

Vom Hamburger SV zum Arbeitersport


Sportbegeistert wie er war, schloss sich Wächter dem Freien Turn- und -Sport-Verein Fichte Eimsbüttel an. Dieser war benannt nach dem Philosophen Johann Gottlob Fichte (1762-1814) aufgrund dessen Zitat: „Gleich sei alles, was Menschenantlitz trägt.“ Der 1893 gegründete Eimsbütteler Arbeitersport-Verein zählte damals rund 800 Mitglieder und war in vielen Sparten aktiv. Er ist nicht zu verwechseln mit dem jüngeren Zentralverein Fichte Hamburg, der kommunistisch orientiert und daher Teil von "Rot Sport" war.

Fichte Eimsbüttel, heute SV Grün-Weiß Eimsbüttel, war sozialdemokratisch ausgerichtet. Der damalige Vorsitzende Max Raloff: „Noch im Februar 1933 rief ich alle Vereinsmitglieder in unserer Vereinszeitung auf, bei der kommenden Wahl zu verhindern, dass die Nazis an die Macht kamen, weil dies auch den Untergang der Arbeitersportbewegung bedeuten würde. Wie recht ich hatte!“

Politisch engagierte sich der 19-jährige Wächter in der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ), wie auch der spätere SPD-Bundeskanzler Willy Brandt. Gelegentlich wurde geschrieben, Wächter habe der KPD angehört, was nicht zutrifft. Da Walter Wächter Jude war, durfte er nach dem Abitur 1933 nicht studieren und begann im darauffolgenden Jahr eine kaufmännische Lehre im jüdischen Modehaus Gebrüder Robinsohn in der Hamburger Innenstadt.

Nach dem Verbot des Arbeitersports 1933, das auch Fichte Eimsbüttel betraf, blieb ihm nur noch eine Möglichkeit, weiter Sport zu treiben. Nämlich in einem jüdischen Sportverein. Wächter war fortan im zionistischen Jüdischen Turn- und Sportverein Bar Kochba in Hamburg aktiv. Simon bar Kochba führte 132-135 n. Chr. den jüdischen Aufstand gegen die römische Herrschaft an.

 

Walter Wächter (3. v.l., im Trikot von Fichte Eimsbüttel) zusammen mit Sportgenossen aus Hamburg (1. und 2. v.l.), Hannover (2. v.r.) und Bremen

 

 Im Widerstand gegen die Nazis

 

Erstmals inhaftiert wurde Walter Wächter im Sommer 1933 im Hamburger Gestapo-Hauptquartier Stadthaus und dort für drei Tage und zwei Nächte gefangen gehalten. Eine Anmerkung: Dieser Gebäude-Komplex wurde jüngst zu einer weiteren Luxus-Shopping-Zone umgestaltet. Es gibt darin eine eher bescheidene Erinnerung an das, was dort in der NS-Zeit geschah. Viel weiter ist da z. B. die Stadt Stuttgart mit ihrer Gedenkstätte „Hotel Silber“.

Der Nazi-Gegner wurde am 4. März 1935 erneut verhaftet. Vom erwähnten Stadthaus kam er in das KZ Hamburg-Fuhlsbüttel („KoLaFu“) und von Oktober 1935 bis Januar 1936 dann in das Untersuchungs-Gefängnis am Holstenglacis. Der Gefangene wurde schwer misshandelt (Brief des Vaters vom 4. Mai 1940: „Hoffentlich sind Walters Zähne bald wieder in Ordnung“).

Am 16. Januar 1936 wurde Wächter vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ und „Beteiligung am kommunistischen Widerstand“ zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Er kehrte nach „KoLaFu“ zurück, vom 27. Januar 1936 bis 8. März 1938 war er Gefangener im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen. Wie seine Briefe aus der Haft belegen, war er weiterhin sehr am Fußballgeschehen interessiert. 

Vermutlich noch vor 1927 hatte Walters älterer Bruder John Wächter (geb. 24. September 1902) als Fußballer zum HSV gefunden. Der Verwaltungssekretär im Statistischen Landesamt Hamburg gehörte seit 1929 der SPD und dem republikanischen Wehrverband "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" an und fungierte als Bezirksführer der Sozialdemokraten in Hamburg-Fuhlsbüttel. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft wurde er im Mai 1933 entlassen.

Am 20. März 1935 erfolgte die Festnahme von John Wächter wegen angeblicher Betätigung für die verbotene SPD. Das Urteil gegen ihn wegen „Verbrechen gegen § 2 Parteiverbotsgesetz vom 14. Juli 1933“ verhängte das Hanseatische Oberlandesgericht am 30. September 1935. Es lautete auf acht Monate Gefängnis. Im „KoLaFu“ sah John seinen jüngeren Bruder Walter wieder, der davon in Briefen an seine Eltern und später in seinen Memoiren berichtete.

Am 15. Juni 1938 wurde John Wächter erneut festgenommen und von Fuhlsbüttel in das KZ Sachsenhausen in Oranienburg deportiert, wo er bis zum 17. Dezember über ein halbes Jahr gefangen gehalten wurde. 

 

Reklameträchtiger Auftritt des FTSV Fichte Eimsbüttel zur Alster-Staffel der Arbeitersportler am 23. Juni 1929

 

Die Zukunft in Schweden

 

Am 23. März 1938 verließ Walter Wächter Deutschland. Über Italien, Jugoslawien und Ungarn fand er im November 1938 Asyl in Schweden und dort Beschäftigung in der Landwirtschaft. 1946 begann er in Stockholm ein Psychologie-Studium und war danach unter dem Namen Michaël Wächter als Autor, Journalist und Professor tätig, auch als fleißiger Debattierer in öffentlichen Diskussionen, aber nicht mehr als Sportler. Seine Fußball-Leidenschaft jedoch versiegte nie, Wächter war nach Auskunft seines Sohnes Torkel „ein glühender Fan des Arbeitersportvereins Stockholm AIK – Allgemeiner Sportverein Stockholm.“

Sein Bruder John flüchtete mit seiner Frau Elsa am 13. Januar 1939 auf der „General Osorio“ der Reederei „Hamburg-Süd“ nach Santos, Brasilien. 

Die Eltern von Walter und John, Gustav (*1875) und Minna geb. Sonnenberg (*1881), wurden am 6. Dezember 1941 mit Tante Johanna (Hanna) Löwe (*1872) vom Hannoverschen Bahnhof (heute Gedenkstätte im Hamburger Lohsepark nahe der Hafencity) nach Riga deportiert und dort ermordet. 

John und Elsa Wächter kehrten im Juni 1959 nach Hamburg zurück. John Wächter starb am 23. Mai 1970 im Kantonshospital Zürich in der Schweiz. Walter Michaël Wächter verstarb am 15. November 1983 im Alter von 70 Jahren im schwedischen Örebro.

Das Schicksal der Familie Wächter, die seit dem 17. Jahrhundert inHamburg ansässig war, hat der Sohn Torkel S. Wächter (*1961), umfangreich dokumentiert und publiziert: „Das Erinnern ist eine Aktivität, der man sich in der Gegenwart widmet und die in die Zukunft weist. Indem wir uns erinnern, halten wir die Vergangenheit lebendig.“

 

Enthüllung der Walter-Wächter-Gedenktafel am 1. September 2018 (Foto: FC Alsterbrüder)

 

Was den Walter-Wächter-Platz betrifft, so heißt er im Netz bei google maps und google earth nach wie vor Gustav-Falke-Sportplatz. Derlei zu ändern ist so einfach nicht. Das musste z. B. Oberbayern erfahren, denn lange Zeit führte google den „Hitlerberg“ (Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen) und die „Hitlerbrücke“ (bei Emmering) auf.

 

Dieser Beitrag mag als Anstoß dienen, für diese Website einmal zu untersuchen, wo andere Spielstätten nach Arbeitersportlern benannt sind bzw. waren. Gästebuch-Einträge dazu sind gerne willkommen!

Werner Skrentny, Hamburg

 

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Zum Weiterlesen

 

Interview mit Walter Michaël Wächter im "Örebro Kuriren" vom 8. Mai 1982
Interview im Örebro Kuriren vom 8. Mai 1[...]
PDF-Dokument [5.3 MB]
Laudatio von Torkel S. Wächter zur Platz-Benennung am 1. September 2018
Laudatio von Torkel S. Wächter zur Platz[...]
PDF-Dokument [44.2 KB]

 

Bildmaterial: Torkel S. Wächter, Werner Skrentny und FC Alsterbrüder 1948, vielen Dank!

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